Rede Ina Korter: Schule darf nicht krank machen – Druck aus dem Turbo-Gymnasium nehmen

Anrede,

gestern haben wir hier über die Absenkung des Wahlalters auf 14 Jahre debattiert.

Wenn Sie schon heute die Schülerinnen und Schüler als Wähler ernst nehmen müssten, dann würden Sie sich nicht trauen, hier so erbärmliche Ergebnisse Ihres Runden Tisches zum Turbo-Gymnasium vorzulegen.

Ich habe den Eindruck, dass Sie noch immer nicht begriffen haben, was in der Mittelstufe unserer Gymnasien los ist.

Mit dem Aktionsplan für das Turbo-Gymnasium, den Sie vorgestern vorgelegt haben, werden die Schülerinnen und Schüler in den Klassen 5 bis 10 jedenfalls kaum entlastet.

Anrede,

Frau Heister-Neumann, Ihr Aktionsplan enthält einige Punkte, die überhaupt nichts Neues bringen.

In der Oberstufe soll die Zahl der Klausuren verringert werden. Das ist richtig, bringt aber den belasteten Schülerinnen und Schülern in der Mittelstufe gar nichts.

In der Sekundarstufe I soll der Nachmittagsunterricht vor verlagert werden in die 5. und 6. Klasse.

Die Kinder sollen nach dem Übergang von der Grundschule auf das Gymnasium, wenn sie sich mit den neuen Lernanforderungen an dieser für sie neuen Schulform erst neu zurechtfinden müssen, sofort mit einer Wochenstundentafel von 30 bis 32 Stunden konfrontiert werden.

Vor der Einführung des Turbo-Gymnasiums waren es noch 28 bzw. 29 Stunden.

Das verschiebt nur die Belastungen von den Pubertierenden auf die 10- bis 11-Jährigen.

Was bedeutet das wohl für die Durchlässigkeit? Sie wird noch geringer.

Beim warmen Mittagessen schiebt die Kultusministerin das Problem weiterhin völlig auf die Kommunen ab. Nach dem Motto "Wer bestellt – nämlich den Nachmittagsunterricht -, der muss auch zahlen", ist jedoch eindeutig auch das Land in der Pflicht.

Wir fordern Sie auf, unverzüglich einen Investitionsplan vorzulegen, damit an allen Schulen ein warmer Mittagstisch angeboten werden kann.

Anrede,

nichts getan hat die Kultusministerin auch zur Verringerung der Klassengrößen. 32 Schülerinnen und Schülern sitzen heute in viel zu engen Räumen. In vielen Fällen sind es auch noch mehr.

Es ist beschämend, dass Sie nicht einmal in den künftigen 10. Klassen, die erstmalig zur Einführungsphase der Oberstufe werden, generell die Klassenfrequenzen herabsetzen wollen.

Anrede,

die Landesregierung tut nicht einmal dort etwas, wo es gar nichts kosten würde.

Bayern und Hessen haben die Regelung eingeführt, dass es an Tagen mit Nachmittagsunterricht nicht auch noch Hausaufgaben zum nächsten Tag geben darf. In Niedersachsen: Fehlanzeige.

Von einem Ausbau der Gymnasien zu echten Ganztagsschulen, zu denen selbstverständlich auch ein entsprechendes Personalbudget gehören muss, ist bei Ihnen keine Rede.

Stattdessen wollen Sie uns auch Schulen, in denen nur wenige einzelne Klassen ein Nachmittagsangebot haben und die noch nicht einmal über eine Mensa verfügen, als Ganztags-Gymnasien verkaufen. Das ist nichts als schlichter Etiketten-Schwindel.

Zu einer pädagogischen Weiterentwicklung der Gymnasien würde auch gehören, dass die Schülerinnen und Schüler je nach ihrem individuellen Lerntempo unterschiedliche Zeit bis zum Abitur bekommen.

Sie sind nicht einmal bereit, die eigenverantwortlichen Schulen selbst entscheiden zu lassen, ob sie das Abitur nach 12 oder 13 Jahren vergeben wollen.

Auch da ist Ihr hessischer Kollege bereits weiter, Frau Heister-Neumann.

Anrede,

in der ersten Beratung unseres Antrages habe ich hier zwei Schülerinnen der 8. und 9. Klasse zitiert. Herr Klare hat damals dazwischen gerufen. Er wollte einfach nicht wahrhaben, wie der Schulalltag aus Sicht der Schülerinnen aussieht.

Heute möchte ich aus einem Brief zitieren, den mir der Vater einer 13-jährigen Schülerin geschrieben hat:

"Unsere Tochter ist in der 8. Klasse. Ich glaube kaum, dass die Kolleginnen und Kollegen an ihrer Schule ahnen, welcher Belastung die Kinder ausgesetzt sind: 35 Stunden Schule, locker 3 Stunden Hausaufgaben am Tag, Samstag und Sonntag jeweils 4 bis 6 Stunden Schularbeiten. (”¦) Meines Erachtens", so schreibt der Vater, "macht unser Schulsystem aus frohen, lernfreudigen, wissbegierigen Kindern überangepasste Lernmaschinen, die dann spätestens im oder nach dem Studium ausgebrannt sind."

Anrede von CDU und FDP,

unseren Antrag gegen den Turbo-Stress am Gymnasium mit einem ganzen Entlastungs-Paket haben Sie im Kultusausschuss abgelehnt.

Sie wollten nichts darüber hören, was unsere Vorschläge der kleineren Klassen und der Umwandlung der Gymnasien in Ganztagsschulen denn kosten würden. Auch nicht, welche Entlastungsmaßnahmen andere Bundesländer bereits ergreifen.

Mit Ihrer schwarz-gelben Mehrheit haben Sie sogar den Antrag auf Unterrichtung im Ausschuss abgelehnt.

Deutlicher kann man es nicht machen, dass man gar nicht an echten Lösungen interessiert ist.

Die SPD hat unsere Vorschläge zum Teil kritisiert, aber keine eigenen vorgelegt.

Jetzt, wo das Schuljahr fast abgelaufen ist, kommen Sie mit einer Neuauflage unseres Antrags, indem Sie vier Punkte herausgreifen.

Die sind alle richtig, ich frage mich nur: Wann hatten Sie gedacht, dass der Landtag Beschlüsse fasst und sie umzusetzen soll?

Für das nächste Schuljahr schaffen Sie das nicht mehr.

Aber vielleicht begreifen die Regierungsfraktionen den Antrag als zweite Chance, und wir kommen doch noch zu gemeinsamen Maßnahmen, mit denen die Schülerinnen und Schüler wirklich entlastet werden.

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