Rede Ina Korter: Mehr Integration für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf

Anrede,

Noch immer werden Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf  viel zu oft ausgegrenzt und auf Extra-Schulen geschickt.

Daran hat sich auch seit der Umbenennung der Sonderschulen in Förderschulen nichts geändert.

Die Gründung von Sonderschulen war einmal ein unbestreitbarer Fortschritt, weil damit der Bildungsanspruch von behinderten Kindern anerkannt wurde.

Aber bereits seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass diesem Bildungsanspruch nicht mit gesonderten Einrichtungen entsprochen werden muss, sondern besser mit einem gemeinsamen Unterricht in der allgemeinen Schule.

Nur mit einem gemeinsamen Unterricht kann Diskriminierung und gesellschaftliche Ausgrenzung verhindert werden.

Es stimmt eben nicht, Herr Minister, dass es nur auf die Förderung an sich ankommt und nicht auch auf den Ort der Förderung.

Mit Ihrer Presseinformation von der vergangenen Woche haben Sie nur bewiesen, dass Sie von der Diskussion über Integration, die vor bereits über 30 Jahren begonnen hat, herzlich wenig mitbekommen haben.

Schon 1973 hat der Deutsche Bildungsrat Leitsätze und Organisationsvorschläge zur integrativen Beschulung herausgegeben.

Die Schulen sollen die Schülerinnen und Schüler in ihrer Unterschiedlichkeit anerkennen und fördern, damit Diskriminierung vermieden wird.

Seit 20 Jahren gibt es in Niedersachsen Integrationsklassen.

Sehr schnell hat sich erwiesen, dass in diesen Klassen alle Kinder vom gemeinsamen Unterricht profitieren und besser gefördert werden können.

1993 ist der § 4 in das niedersächsische Schulgesetz aufgenommen worden, der verlangt, dass in der Regel Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülern erzogen und unterrichtet werden sollen.

Dennoch stagniert seit 1994 die Integration.

260 Kinder mit geistiger Behinderung besuchen Integrationsklassen, aber 6.150 eine Förderschule.

Das ist eine Integrationsquote von ganzen 4 %.

Insgesamt wurden im vergangenen Schuljahr nur 771 der Kinder mit besonderem Förderbedarf in Integrationsklassen gemeinsam mit anderen Kindern unterrichtet, während fast 40 000 eine Förderschule, früher Sonderschule, besuchten.

Meine Damen und Herren,

das ist beschämend wenig an Integration, finde ich.

Integrationsklassen sind noch immer die Ausnahme und nicht die Regel.

Auch am Konzept der sonderpädagogischen Grundversorgung, mit dem Schülerinnen und Schüler Schülerinnen und Schülern mit Problemen beim Lernen, im emotionalen und sozialen Bereich, in der Sprache und beim Sprechen integrativ gefördert werden sollen, nehmen nur 19% der Grundschulen teil.

Anträge auf die Aufnahme weiterer Schulen in dieses Integrationskonzept, z.B. von der Stadt Bramsche, liegen schon seit Jahren im Kultusministerium auf Eis.

Dagegen ist seit 1995 der Anteil der Kinder, die in den Klassen 1 bis 10 eine Förderschule besuchen, von 3,4% auf 4,4% angestiegen.

Tatsächlich haben wir also einen deutlichen Rückschritt bei der Integration.

Nachdem die Integrative Erziehung in den Kindertagesstätten hervorragend läuft, stehen die Eltern dieser erfolgreich geförderten Kinder beim Wechsel in eine Grundschule vor einem immensen Problem, wenn es  darum geht, einen integrativen Schulplatz zu suchen.

Noch immer müssen sie als Bittsteller auftreten.

Und in den meisten Fällen bleiben sie erfolglos.

Wenn sie es tatsächlich doch irgendwann geschafft haben, bleibt die integrative Schulzeit oft auf die Primarstufe beschränkt, danach kommt ihr Kind doch auf eine Sonderschule.

Meine Damen und Herren,

wenn Integrationsklassen und regionale Integrationskonzepte nicht weiterhin nur Alibifunktion haben sollen, dann sind dringend und sofort Konzepte erforderlich, wie der in unserem Grundgesetz durch den Gleichheitsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot formulierte Anspruch der beeinträchtigten Kinder auf Unterricht an Regelschulen flächendeckend verwirklicht werden kann.

Wir brauchen anspruchsvolle Ziele für deutlich mehr

Integration in der Sekundarstufe -

und wir brauchen Konzepte, wie nach und nach die
Kinder aus den Primarstufen der Förderschulen in die allgemeinen Grundschulen überführt werden können.

Die Fachkräfte der Förderschulen sollen dabei als Unterstützung an die Grundschulen gehen.
Grundschulklassen mit Integrationsschülern müssen abgesenkte Klassenfrequenzen bekommen.

Meine Damen und Herren,

die Förderung von Kindern mit besonderem Bedarf muss im Primarstufenbereich bereits in den nächsten 5 Jahren von der Ausnahme zur Regel werden.

Diese Kinder gehören von Anfang an dazu, und nicht an andere Schulen sortiert.

Der Ausbau der Integration wird gerade im Primarbereich durch die deutlich zurückgehenden Schülerzahlen erleichtert.

Von den 184 Förderschulen in Niedersachsen mit dem Schwerpunkt Lernhilfe haben 45 weniger als 20 Kinder in den Klassen 1 bis 4.

Das bedeutet: sehr kleine Klassen, dazu weite Transporte, in den ländlichen Regionen manchmal von einzelnen Kindern mit Taxen- hohe Kosten für das Land und für die Schulträger.

Dabei ginge es doch ganz einfach:

alle Kinder gehen in die Grundschule vor Ort mit  den Kindern aus der Nachbarschaft gemeinsam. Ausgebildete Förderkräfte unterstützen die Kinder, Kollegen und Eltern in der Grundschule, weite Wege und lange Fahrtzeiten für die Kleinsten werden vermieden, alle profitieren voneinander.

Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, das wird nicht teurer als das jetzige selektive System sondern sogar kostengünstiger.

In der Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 26.07.06 konnte die Landesregierung keine Auskunft über die tatsächlich beim Land und bei den Schulträgern entstehenden Kosten für die Primarstufen der Förderschulen geben.

Eine umfassende Darstellung der finanziellen Auswirkungen, die auch die Schülertransportkosten und die baulichen Leistungen einschließlich der Folgekosten der Kommunen einbeziehen, würde jedoch zeigen, dass insbesondere für die Kommunen die Integrative Beschulung finanziell günstiger, zumindest nicht teurer sein wird als die Aufrechterhaltung des gesonderten Förderschulwesens.

Ich fasse zusammen:

Wir möchten, dass die Landesregierung innerhalb von 3 Monaten ein Konzept vorlegt, wie die Primarstufen der Förderschulen nach und nach in die Grundschulen überführt werden können.

Wir fordern, dass ehrgeizige Ziele der integrativen Beschulung für den Bereich der weiterführenden Schulen ab Klasse 5 entwickelt und umgesetzt werden.

Der grundgesetzliche Anspruch auf Gleichheit, das Verbot der Diskriminierung und der Integrationsauftrag unseres Schulgesetzes müssen endlich ernst genommen werden.

Meine Damen und Herren,

lassen Sie mich zum Schluss auf den Antrag der SPD – Fraktion eingehen.

Der ist gut gemeint, aber zu kurz gesprungen.

Warum wollen sie nur die Lernhilfekinder integrieren, nicht aber die Kinder mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung? Und auch nicht die mit dem Förderschwerpunkt Sprachliche oder Geistige Entwicklung, Hören oder Sehen?

Entweder will man echte Integration, besser Inklusion, oder man will sie nicht.

Da müssen Sie schon klar sein.

Basisschulen für alle Kinder mit individueller Förderung und Leistung

statt Lernen im Gleichschritt,

Anerkennung für jedes Kind ohne Aussortierung  - das muss die Regel sein.

Darauf hat jedes Kind ein Anrecht.

Dafür stehen wir als Grüne.

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