Rede Ina Korter: Keine Zustimmung zur Weservertiefung – Niedersachsen muss ökonomisch unsinniges und ökologisch schädliches Vorhaben ablehnen

Landtagssitzung am 14.09.2006, TOP 22

Anrede,

es ist die siebte Vertiefung der Weser seit 1970, über die wir heute reden. Nach der letzten Vertiefung der Außenweser von 1998/99 auf 14 m soll sie jetzt auf 15,50 m vertieft werden. Zusätzlich soll die Fahrrinne verbreitert und die Unterweser bis Bremen um ca. 1 m vertieft werden. Jedes Mal ist den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort erzählt worden, die Maßnahme habe so gut wie keine Auswirkungen, so auch jetzt wieder. Dabei wird natürlich immer nur der gerade geplante Vertiefungsschritt betrachtet, damit es nicht so gravierend aussieht.

Die Menschen in der Wesermarsch glauben den Beruhigungspillen der Vertiefungsstrategen mit ihren Modellrechnungen und all den verharmlosenden Gutachten, die ihnen im Schnitt alle drei bis vier Jahre verabreicht werden, schon lange nicht mehr. Sie sehen nämlich, was passiert: Sie sehen die Uferabbrüche und die Verschlickung an den Stränden. Die Landwirte merken, dass das Salzwasser immer weiter in das Binnenland vordringt und sie deshalb ihre Viehtränken nicht mehr nutzen können, die Be- und Entwässerung immer schlechter funktioniert. Die Betroffenen kriegen genau mit, dass der Tidenhub immer weiter steigt und die Strömungsgeschwindigkeit der Weser zunimmt.

Da wird dann gesagt: "Das sind doch nur drei Zentimeter mehr, was macht das schon?" Aber, meine Damen und Herren, wegen der Salamitaktik der letzten Jahre: "Noch etwas tiefer und noch etwas tiefer" – ist ja nur ein bisschen – sprechen wir nicht über drei Zentimeter, sondern insgesamt jetzt über 25 bis 30 cm Tidenhub, und das ist eine ganze Menge.

Anrede,

ein besonders trauriges Kapitel ist die dramatische Verschlickung des Fedderwarder Priels. Den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern in Butjadingen wird auch jedes Mal erzählt, die nächste Weservertiefung habe keinen Einfluss auf den Priel. Vor der letzten Vertiefung wurde der Gemeinde Butjadingen hoch und heilig versprochen, Badestrand und Hafenzufahrt zu erhalten. Ich will Ihnen vorlesen, was der Landtag hier Ende 1997 einstimmig beschlossen hat.

In der Drucksache 13/3419 heißt es:

"Es wird durch geeignete Maßnahmen sichergestellt, dass die durch ständige Weservertiefungen eingetretene und zukünftig entstehende Verschlickung der Strände und Hafeneinfahrten in Butjadingen und Land Wursten beseitigt sind, damit ein ungehinderter Badebetrieb und eine uneingeschränkte Hafennutzung möglich bleiben."

Anrede,

vom uneingeschränkten Badebetrieb kann schon lange keine Rede mehr sein, von einer uneingeschränkten Hafennutzung auch nicht. Herr Wulff, Sie haben das im Landtagswahlkampf doch selbst erlebt, als sie mit dem Ausflugsschiff "Wega II" gefahren und auf Grund gelaufen sind. Damals haben Sie genau wie Herr Hirche hoch und heilig versprochen, die Hafenzufahrt auf jeden Fall zu erhalten. Werden Ihre Treueschwüre allmählich zu Meineiden, Herr Wulff und Herr Hirche?

Der Priel verlandet  immer mehr und Sie tun nichts! Sie halten die Menschen mit weiteren Untersuchungen hin, die komischerweise vor der Kommunalwahl nicht veröffentlicht werden durften.

Herr Wirtschaftsminister Hirche,

statt endlich durch vernünftige Maßnahmen gegenzusteuern, statt die so genannte Wega-Rinne zumindest prüfen zu lassen, fabulieren Sie, gegen die Natur könne man halt nicht anarbeiten, weder beim Priel, noch bei den driftenden ostfriesischen Inseln.

Herr Hirche, so einen Quatsch können Sie vielleicht Herrn Sander erzählen.

Selbst Ihre Parteifreunde in Butjadingen verwahren sich gegen solche Einlassungen. Sonst hätte der Butjadingen FDP-Sprecher Helmut Siefken ja kaum den offenen Brief an Sie vom 5. September unterzeichnet, mit dem Sie eindringlich aufgefordert werden, endlich etwas für die Freihaltung des Priels zu unternehmen. Mit Maßnahmen zur Freihaltung des Priels wird nicht gegen die Natur gearbeitet, Herr Hirche, sondern gegen die Auswirkungen der Weservertiefungen der letzten Jahrzehnte. Die sind und waren gegen die Natur.

Anrede,

wir reden hier nicht über ein bisschen Folklore. Wir reden über wirtschaftliche Existenzen in der Fischerei, im Tourismus, in der Landwirtschaft; wir reden über die Zukunft der ganzen Gemeinde. Der Kreistag des Landkreises Wesermarsch hat nur die Folgekosten einer Verschlickung des Fedderwarder Priels auf 46 Millionen Euro beziffert.

In der im Juli dieses Jahres einstimmig vom Kreistag verabschiedeten Resolution wird die Landesregierung aufgefordert, endlich die lange zugesagten Maßnahmen umzusetzen. Diese Resolution bedeutet die Aufforderung an die Landesregierung, das erforderliche Einvernehmen zur Weservertiefung zu versagen. Der Kreisausschuss hat eine Stellungnahme zur Weservertiefung beschlossen, aus der klar hervorgeht, dass das Vorhaben aus Gründen des Naturschutzes so nicht genehmigt werden darf und erhebliche Mängel an den Antragsunterlagen bestehen.

Herr Thümler, Sie haben bei der Resolution mitgestimmt. Ihre Fraktion hat im Kreisausschuss auch der Stellungnahme zugestimmt. Stehen Sie jetzt auch dazu!

Anrede,

die Hafenzufahrt und die Verschlickungen an den Stränden sind längst nicht der einzige Aspekt. Immer neue Weservertiefungen sind ein "Seiltanz mit immer weniger Netz", wie es der  BUND-Vorsitzende aus der Wesermarsch zutreffend beschrieben hat. Dass das Netz unheimlich dünn wird, hat der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung zu Globalen Umweltveränderungen noch im Mai dieses Jahres in einem Sondergutachten aufgezeigt: Danach wird der Anstieg des Meeresspiegels aufgrund der globalen Klimaveränderung schneller vonstatten gehen und viel stärker ausfallen, als bisher angenommen.

Hinzu kommen deutlich häufigere und stärkere Sturmfluten. Davon werden die Mündungsbereiche der großen Flüsse besonders betroffen sein. So eine Wasserautobahn, zu der die Weser immer stärker ausgebaut wird, ist keine Einbahnstraße: Je tiefer und je breiter der Fluss ist, je mehr natürliche Barrieren beseitigt werden, desto höher und weiter kann die Sturmflut in das Binnenland vordringen. Eine weitere Weservertiefung ist deshalb auch aus Gründen der Deichsicherheit und damit aus Gründen des Schutzes von Leib und Leben der betroffenen Menschen unverantwortbar.

Anrede,

Und unter schifffahrtspolitischen Gesichtspunkten macht die Vertiefung der Außenweser erst recht keinen Sinn. Wenn alles so läuft, wie geplant, geht 2010 der Jade-Weser-Port in Betrieb. Wir haben also in absehbarer Zeit einen Tiefwasserhafen, den auch die Containerriesen der neuen Generation tideunabhängig problemlos erreichen können. Weshalb dann noch Weser und Elbe vertiefen, damit wir 3 Tiefwasserhäfen haben? Das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene aktuelle Gutachten "Nachhaltigkeitsaspekte der nationalen Seehafenkonzeption" bemängelt insbesondere die Kleinstaaterei in der deutschen Seehafenpolitik.

Anrede,

das läuft doch nach dem Motto: Die Länderfürsten aus Bremen, Niedersachsen und Hamburg können sich auf keine vernünftige Zusammenarbeit der Hafenstandorte verständigen und fordern stattdessen alles: Jadeport, Weservertiefung, Elbvertiefung, und der Bund bezahlt. Da werden die Zig-Millionen verbaggert, die wir für die Bildungspolitik dringend brauchen.

Anrede,

die Landwirte sind gegen die Weservertiefung, die Deichverbände sind dagegen, der Landkreis Wesermarsch hat erhebliche Bedenken, die Gemeinde Butjadingen, die Gemeinde Stadland, die Umweltverbände und und und. Vor Ort gibt es massiven Widerstand, das zeigen auch die ca. 850 Einwendungen, die erhoben wurden. Soviel Widerstand gegen die Vertiefung wie nie zuvor! Für den Hafen Fedderwardersiel könnte diese neue Vertiefung der Todesstoß werden.

Nehmen Sie die große Sorge der Betroffenen ernst, werden Sie Ihrer Verantwortung für die Deichsicherheit gerecht, machen Sie endlich eine länderübergreifende, vernünftige Hafenpolitik. Wenn Sie das alles tun, gibt es nur eine Konsequenz: Lehnen Sie die von Bremen geplante Weservertiefung ab!

Vielen Dank!

Zurück zum Pressearchiv