Rede Ina Korter: Diskriminierung und Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien im Bildungssystem abschaffen – Alle Talente fördern und Chancen endlich nutzen!

Anrede,

Wir freuen uns, dass wir heute einen Antrag vorlegen können, dem auch die Regierungsfraktionen zustimmen werden

Die Landesregierung hat nämlich auf ihrer Klausur am 2. September 2008 beschlossen, dass sie den Anteil der Schulabbrecher bei ausländischen Jugendlichen von 24,9 Prozent auf unter 10 Prozent senken will.

Das ist ein Ziel, das wir unbedingt unterstützen.

Leider hat es die Landesregierung in ihrem Beschluss versäumt zu erklären, mit welchen Maßnahmen sie dieses ehrgeizige, aber richtige Ziel erreichen will.

Da helfen wir Ihnen gerne weiter mit unserem Antrag.

Anrede,

Kinder aus Zuwandererfamilien sind in unseren Schulen noch immer massiv benachteiligt, ja vielfach sogar diskriminiert.
Ihre Chancen sind drastisch geringer als diejenigen von Kindern deutscher Herkunft.
Das hatte bereits die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage im vorigen Jahr gezeigt:

Nach der Grundschule gehen 24,5 Prozent der Migrantenkinder auf die Hauptschule. Auf eine Förderschule werden13,9 Prozent geschickt. Das ist jeweils ein doppelt so hoher Prozentanteil wie bei den Kindern deutscher Herkunft.

Auf das Gymnasium gehen nur 19,2 Prozent der Zuwandererkinder. Hier ist die Übergangsquote weniger als halb so hoch wie bei den Kindern mit deutschen Eltern.

18,9 Prozent der Zuwanderkinder bleiben ohne Hauptschulabschluss. Diese Quote ist wiederum doppelt so hoch wie bei der Schülerschaft insgesamt.

Diese Bildungsbenachteiligung der Migrantenkinder ist eine schreiende soziale Ungerechtigkeit.

Und glauben Sie nicht, es sei nur eine kleine gesellschaftliche Minderheit betroffen: Inzwischen hat jedes vierte Kind in Niedersachsen eine ausländische Herkunft.

Wir können und dürfen es uns nicht länger leisten, die Talente dieser Kinder zu vergeuden.

Anrede,

wir sind uns einig, dass die Sprache der Schlüssel zur Integration der Kinder aus Zuwandererfamilien ist.

Es war deshalb richtig, dass die letzte SPD-Landesregierung erste, wenn auch zu zaghafte Schritte eingeleitet hat, die Sprachförderung im Kindergarten und vor der Einschulung zu intensivieren.

Die amtierende schwarz-gelbe Landesregierung hat diese Ansätze fortgeführt, aber nicht mehr qualitativ weiterentwickelt.
Sie hat die Mittel für die Sprachförderung im Kindergarten auf viel zu niedrigem Niveau eingefroren und die Förderstunden in der Schule reduziert.

Anrede,

Ist das alles was Ihnen dazu einfällt?

Dieses Minimalprogramm wird nicht reichen, wenn Sie ernsthaft die Zahl der Migrantenkinder, die keinen Schulabschluss erlangen, mehr als halbieren wollen.

Was wir brauchen, ist ein ganzheitliches Sprachförderkonzept in den Kindertagesstätten, mit dem die Sprachförderung im täglichen Ablauf verankert wird und nicht die Kinder mit Sprachproblemen immer herausgenommen werden.

Und das beste Sprachförderkonzept kann nur greifen, wenn die Kita-Besuchsquote auch bei den Zuwandererkindern deutlich erhöht wird.

In der Schule muss die Sprachförderung über die ersten vier Schuljahre hinaus fortgeführt werden.
Es reicht nicht, wenn die Kinder sich alltagssprachlich auf Deutsch verständigen können, sie müssen auch in der Fachsprache, in den Schulfächern der Sekundarstufe I die deutsche Sprache beherrschen, wenn sie Erfolg haben sollen.

Aber neben der deutschen Sprache ist es auch wichtig, die Herkunftssprache stärker zu fördern.
Das ist von der amtierenden Regierung sträflich vernachlässigt worden.

Die Förderung der Herkunftssprache ist nicht nur eine notwendige Grundlage, um auch Deutsch als Zweitsprache zu beherrschen, sondern ist auch ein Signal, dass wir die besonderen Fähigkeiten der Zuwanderer wertschätzen und brauchen.

Anrede,

die Verbesserung der Bildungschancen der Zuwandererkinder wird nur gelingen, wenn wir die ErzieherInnen und die Lehrkräfte hierfür wesentlich besser qualifizieren.
Deutsch als Zweitsprache und interkulturelle Bildung müssen deshalb zur verpflichtenden Ausbildung der ErzieherInnen und der LehrerInnen gehören.

Daneben muss sich Niedersachsen verstärkt  darum bemühen, Migranten als Erzieherinnen und Erzieher und als Lehrkräfte in die Bildungseinrichtungen zu holen.
Gerade sie können wichtige Vorbilder für die Kinder sein und die Eltern dabei unterstützen, Zugang zur ihnen manchmal fremden deutschen Schule zu finden.
Nach der Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage haben ganze 0,8 Prozent der Lehrkräfte eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit, und von denen unterrichten die wenigsten in einer Grund- oder Hauptschule, sondern die meisten als Native Speaker in einem Gymnasium.

Für die Kitas gibt es gar keine Zahlen, aber nur 1,7 Prozent der SchülerInnen an der Fachschule Sozialpädagogik haben eine nichtdeutsche Familiensprache.
Hier muss dringend mehr getan werden.

Anrede,

intensivere Sprachförderung und bessere interkulturelle Bildung sind notwendige Voraussetzungen, wenn die Integration der Zuwandererkinder gefördert und ihre Bildungschancen verbessert werden sollen.

Letztlich wird die Diskriminierung dieser Kinder aber nicht

überwunden werden können, so lange die Landesregierung am selektiven Schulsystem festhält.

Denn ganz besonders die Zuwandererkinder scheitern an den Übergängen im gegliederten Schulsystem.
Auch bei gleichen Leistungen werden sie deutlich häufiger für eine Hauptschule und seltener für ein Gymnasium empfohlen als Kinder deutscher Herkunft.

Deshalb brauchen wir eine Schule, die diese Kinder nicht länger diskriminiert, sondern ihnen Zeit lässt, ihre Talente zu entwickeln und zu zeigen, eine Ganztagsschule mit längerer gemeinsamer Schulzeit, ohne frühe Selektion nach Klasse 4.

Als ersten Schritt dahin müssen die offenkundig diskriminierenden Schullaufbahnempfehlungen abgeschafft und durch eine individuelle Lernbegleitung und –beratung ersetzt werden.

Anrede,

wenn wir Ihren Bekundungen glauben dürfen, sind wir uns im Ziel einig, Migrantenkinder in unserem Bildungssystem endlich wesentlich besser zu fördern. Wir möchten gern zu unserem Vorschlägen auch die Migrantenverbände im Kultusausschuss anhören.
Ich hoffe, dass wir uns dann auch auf Maßnahmen einigen können, mit denen wir dieses Ziel erreichen wollen.

Meine Fraktion unterstreicht die Bedeutung dieses Themas dadurch, dass wir parallel zu diesem Antrag eine Stellungnahme zum Grünbuch der EU formuliert haben. Meine Kollegin Filiz Polat wird die Details im Fachausschuss mit Ihnen diskutieren. Lassen Sie uns die Chance nutzen, uns ernsthaft mit dieser großen Herausforderung auf allen politischen Ebenen zu befassen, damit es endlich Fortschritte für die Kinder aus Zuwandererfamilien gibt.

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