Rede Ina Korter: Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien in den Kindertagesstätten und Schulen in Niedersachsen

Anrede,

die Debatte zu unserer Großen Anfrage zu den Bildungschancen von Kindern aus Migrantenfamilien in Niedersachsen findet leider in einer zeitlichen Randlage dieser Plenarsitzung statt.

Dabei geht es keinesfalls um ein Randthema der Schulpolitik.

Im Gegenteil: die Bildungschancen der Kinder aus Migrantenfamilien zu verbessern ist eine der zentralen Herausforderungen der Bildungspolitik.

Die Landesregierung führt in ihrer Antwort auf unsere Anfrage zu Recht aus, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund bei den unter-25-Jährigen bei 27,2% liegt, bei den bis-zu-6-jährigen Kindern sogar bei 32,5%.

Es ist skandalös, dass diese Kinder von Anfang an viel schlechtere Bildungschancen haben.

Auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für unsere wirtschaftliche Entwicklung ist es unerlässlich, die Bildungspotentiale der Kinder mit Migrationshintergrund voll auszuschöpfen und zu fördern.

Bereits heute müssen weitere Migranten ins Land geholt werden, um den Fachkräftemangel zu beheben.

Es ist widersinnig, gleichzeitig ganze Generationen von Migranten, die bereits im Lande leben, bildungspolitisch weitgehend abzuschreiben.

Anrede,

Kinder von Migranten werden in Niedersachsen vollkommen unzureichend gefördert. Die große Mehrheit von ihnen landet in Bildungssackgassen.

Das zeigen die Zahlen aus der Antwort der Landesregierung deutlich.

Es beginnt schon im Kindergarten.

32,5% der Unter-6-Jährigen stammen aus Familien mit Migrationshintergrund.

Trotzdem macht ihr Anteil in den Kindertagesstätten nur etwa 20% aus. Obwohl eine frühe Förderung, insbesondere auch Sprachförderung für sie so wichtig ist, sind sie schon in den Kitas deutlich unterrepräsentiert.

Weiter geht es bei der Einschulung.

Etwa dreimal so viele ausländische Kinder wie es ihrem Anteil an den 6-Jährigen entspricht – Gesamtzahlen für alle Kinder mit Migrationshintergrund gibt es hier leider nicht – werden vom Schulbesuch um ein Jahr zurückgestellt.

Das spricht nicht gerade für eine besonders erfolgreiche Förderung in den Kitas.

Die nächste große Hürde kommt beim Übergang von der Grundschule in das gegliederte Schulwesen der Sekundarstufe I.

14% der ausländischen Schülerinnen und Schüler besuchten 2006 im 5. Schuljahrgang eine Förderschule.

Dieser Prozentsatz ist mehr als doppelt so hoch wie bei der gesamten Schülerschaft.

24,5% gingen auf eine Hauptschule, wiederum fast doppelt so viele wie bei der Schülerschaft insgesamt.

Nur 19,2% der ausländischen Schülerinnen und Schüler hingegen gingen auf ein Gymnasium.

Hier ist der Anteil weniger als halb so groß wie bei der gesamten Schülerschaft.

Anrede,

Auch wenn sie diesen Begriff nicht hören mögen:

Hier beim Übergang in das gegliederte Schulwesen findet eine soziale Selektion statt, bei der die Kinder aus Migrantenfamilien eindeutig schlechtere Chancen haben. Schon deshalb ist die frühe Trennung nach angeblichen Begabungen falsch.

Die Folgen dieser frühen Selektion zeigen sich dann bei den Abschlüssen:

18,9% aller Jugendlichen ohne Schulabschluss haben eine ausländische Staatsangehörigkeit, also zweieinhalb mal so viele, wie es ihrem Anteil an der gesamten Schülerschaft entspricht.

Am Ende der Sekundarstufe II stellen die ausländischen Schülerinnen und Schüler nur 2,7% derjenigen, die eine abgeschlossene Berufsausbildung erlangen, und nur 2,1% der Jugendlichen mit Hochschulreife,

Anrede,

viel zu viele Kinder aus Einwandererfamilien verlassen unser Bildungssystem ohne Schulabschluss und ohne abgeschlossene Berufsausbildung.

Viel zu viele Talente bleiben ungenutzt.

Es ist ein Armutszeugnis für unser öffentliches Schulangebot, wenn nun Migrantenverbände damit beginnen, ihre eigenen Schulen aufzubauen, um die Bildungschancen für ihre Kinder zu verbessern.

Was macht nun diese Landesregierung?

Anrede,

etwas bitter möchte ich sagen: vor allem macht Herr Busemann viele schöne Worte.

Fünfeinhalb Seiten Vorspann, bevor er zur Antwort auf die erste Frage kommt – ich vermute, das ist neuer Rekord.

Leider ist es wie immer, wenn Herr Busemann so viele Worte macht:

Er versucht, dahinter die magere Bilanz seiner Arbeit zu verbergen.

Die Landesregierung setzt vor allem auf Sprachförderung.

Das ist sicherlich richtig, denn ohne Beherrschung der deutschen Sprache haben die Jugendlichen von vornherein keine Chancen, weder in der Schule noch später auf dem Arbeitsmarkt.

Aber zum einen stellt der Kultusminister auch für die Sprachförderung zu wenig Ressourcen bereit.

Und zum anderen ist dieser Ansatz zu einseitig.

Anrede,

Der CDU-Kultusminister hat die Sprachförderkonzepte der Vorgängerregierung aufgegriffen und zum Teil sogar – nicht zuletzt auf unser Drängen und unsere Vorschläge hin – weiterentwickelt.

Mit dem großen Getöse, Herr Busemann, das Sie darum machen, können Sie jedoch nicht davon ablenken, dass Sie die Mittel für diese Sprachförderkonzepte zum Teil erheblich gekürzt haben.

Das fängt schon an bei der Sprachförderung im Kindergarten. Hier haben Sie die Mittel gegenüber 2004 um 1,2 Millionen € bzw. 16,7% reduziert.

Heute stellen Sie 25% weniger zur Verfügung, als von der Vorgängerregierung geplant war.

Es geht weiter an der Grundschule. 0,9 Millionen € für die Hausaufgabenhilfe sind seit 2004 völlig gestrichen.

Und die Sprachförderung vor der Einschulung geht zu einem erheblichen Teil auf Kosten der Förderung in der Schule.

Es gibt heute 14% Förderstunden pro Woche weniger als im Jahr 2000. Die Zahl der Förderstunden pro gefördertem Schüler ist seit 2004 sogar um 19% zurückgegangen.

Die Anerkennung und Förderung der Herkunftssprache gibt es praktisch nur auf dem Papier. Nur an zwei Schulen im ganzen Land, einer Gesamtschule und einem Gymnasium, wird Unterricht in Türkisch als Fremdsprache oder Wahlunterricht anerkannt.

Die Wochenstunden für herkunftssprachlichen Unterricht hat die Regierung seit 2003 um ganze 43% gekürzt. Ausscheidende Lehrkräfte für herkunftssprachlichen Unterricht werden nicht mehr ersetzt.

Anrede,

quantitativ hat die Landesregierung bei der Sprachförderung also eher gekürzt als dazugelegt.

Aber auch den qualitativen Erfolg hat sie nicht überprüft.

Es gibt keine wissenschaftliche Evaluierung der Sprachförderkonzepte und ihrer Fördererfolge.

Anrede,

ein weißer Fleck ist für die Landesregierung noch immer die interkulturelle Bildung. Man versucht, den Migrantenkindern die deutsche Sprache zu vermitteln und meint, damit sei alles getan.

Offenbar verkennt der Kultusminister noch immer das zweite große Problem, das es den Kindern aus Zuwandererfamilien erschwert, sich in unserem Bildungssystem zurecht zu finden und erfolgreich zu sein: ihr Leben zwischen den Kulturen, zwischen ihrer Herkunftskultur und der deutschen Kultur.

Vielen Migranten ist die deutsche Schule fremd, aber den Schulen ist oftmals auch die Lebenswelt ihrer Schülerinnen und Schüler, die aus Migrantenfamilien stammen, fremd Offenbar verkennt der Kultusminister noch immer das zweite große Problem, das es den Kindern aus Zuwandererfamilien erschwert, sich in unserem Bildungssystem zurecht zu finden und erfolgreich zu sein: ihr Leben zwischen den Kulturen, zwischen ihrer Herkunftskultur und der deutschen Kultur und das mangelnde Verständnis oder schon die mangelnde Kenntnis der deutschen Bildungsinstitutionen für diese ihre Lebenssituation.

Die interkulturelle Bildung muss gerade hier ansetzen. In der Aus- und Fortbildung der ErzieherInnen und der Lehrkräfte muss die interkulturelle Bildung ein viel größeres Gewicht und verbindlichen Stellenwert bekommen.

Anrede,

Innenminister Schünemann hat am Montag die Kommunen dazu aufgefordert, mehr Migranten als Mitarbeiter einzustellen.

Bei seinem Kollegen Busemann als dem größten Arbeitgeber im Lande ist dieser Appell offenbar noch nicht angekommen.

Weniger als 1% der Lehrkräfte in unseren Schulen sind nichtdeutscher Staatsangehörigkeit.

Der größte Teil von ihnen unterrichtet als native speaker aus Frankreich, Spanien und Großbritannien an Gymnasien.

Lehrkräfte aus den hauptsächlichen Herkunftsländern der Migrantenkinder finden sich nur vereinzelt und im Wesentlichen an Grundschulen.

Wenn wir wollen, dass die Kinder aus Migrantenfamilien in unserem Bildungssystem ankommen können, dann müssen wir auch ErzieherInnen und Lehrkräfte, die aus ihren Herkunftsländern stammen, in die Kitas und Schulen holen.  

Anrede,

die amtierende Landesregierung hat immerhin erkannt, dass die Bildungschancen der Kinder aus zugewanderten Familien verbessert werden müssen.

Aber ihre Konzepte sind unzureichend und einseitig, und die bereitgestellten Ressourcen sind für diese anspruchsvolle Aufgabe zu gering.

Die Bilanz ist deshalb deutlich negativ.

Auf den UN-Sonderberichterstatter für Bildung Vernor Muñoz will ich hier nur verweisen.

Sie kennen die Kritik.

Ich möchte die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zitieren, die in ihrem Bildungsmonitor 2007 für Niedersachsen festgestellt hat:

"Probleme zeigen sich besonders bei den Bildungsabschlüssen von Ausländern. Von 6.400 ausländischen Schulabsolventen im Jahr 2005 erreichten 1.600 keinen Abschluss. 25 Prozent beträgt damit die Schulabbrecherquote unter ausländischen Jugendlichen. Nur Sachsen-Anhalt weist einen schlechteren Wert auf."

Gegenüber dem Bildungsmonitor 2004 hat sich Niedersachsen in diesem Punkt sogar verschlechtert.

Herr Busemann,

wenn Sie die Bildungschancen von Migrantenkindern wirklich  verbessern wollen, dann müssen Sie nicht nur davon reden, dass kein Kind verloren gehen soll, dann müssen Sie auch danach handeln.

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