Rede Helge Limburg: Extremismus in Niedersachsen

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

die uns vorliegende Große Anfrage zum Thema "Extremismus" macht eines deutlich: Die ganze Struktur der Fragestellung und der Antwort entstammt den Theorien der Professoren Backes und Jesse aus Sachsen, enge Berater der dortigen CDU. Deren Lehre ist aber keineswegs so unumstritten, wie Sie es hier glauben machen wollen. Die Auffassung, dass es in unserer Gesellschaft rechtsextreme, linksextreme und dazwischen die Verfassungstreuen Bürgerinnen und Bürger gebe und Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat demnach nur von den "Rändern" her drohen, ist zu platt, zu pauschalierend und damit völlig ungeeignet, um die gegenwärtige Lage zu erklären. Die platte Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus wird der Realität nicht gerecht.

Der Reihe nach: Aus dem Kapitel über Rechtsextremismus geht deutlich hervor, dass wir in Niedersachsen eine feste und teilweise regional sehr starke rechtsextreme Szene haben. Das zeigt die Anzahl der Straftaten, und auch die Zahlen der sonstigen Aktivitäten. Dies erfordert von Landesseite her entschlossenes und dauerhaftes Handeln gegen Rechtsextremismus, meine Damen und Herren.

Und wie sieht es damit seitens dieser Landesregierung aus?  Dazu sollte man sich die Reaktion der Landesregierung in vergangenen Landtagsdebatten anschauen: Egal, welche Maßnahmen die Opposition gefordert hat, stets haben Sie, Herr Schünemann, betont, dass Sie bereits alles notwendige tun, dass es überhaupt keinen Bedarf für neuere Maßnahmen gibt. Nun kündigen Sie immerhin Lehrerfortbildungen und eine Broschüre zur Unterstützung der Polizei an. Es freut mich, dass wir Oppostionsparteien zum Erkenntnisgewinn von Ihnen, Herr Schünemann, beitragen konnten!

Doch Ihre Maßnahmen sind nur einzelne Tropfen auf den heißen Stein!

Es fehlt dieser Landesregierung die große Linie im Kampf gegen Rechtsextremismus!

Es fehlt dieser Landesregierung an einem ressortübergreifenden Landesprogramm gegen Rechtsextremismus!

Es fehlt an einer differenzierten Auseinandersetzung mit Freund und Feind unserer Verfassung!

Zum Thema Linksextremismus:

Mir ist nach wie vor nicht klar, was nach Ihrer Definition Linksextremismus ist. Damit es keine Missverständnisse gibt: Wenn wir mit Linksextremen diejenigen meinen, die Steine oder Molotowcoctails auf Polizisten oder andere schmeißen, dann sind wir uns in der Ablehnung und Verurteilung einig. Wir haben ein staatliches Gewaltmonopol und wir haben ergänzend dazu die Notwehr und die Nothilfe. Wer darüber hinaus Gewalt anwendet, sei es gegen Polizisten, sei es gegen Nazis oder andere, der steht nicht auf dem Boden unserer Rechtsordnung und von solchen Leuten distanzieren wir uns scharf.

Die Zeit reicht nicht aus, um auf die Antworten im einzelnen einzugehen, deshalb nur ein paar Beispiele, wer bei ihnen alles als linksextrem fungiert: Globalisierungskritiker, die Maßnahmen der der Bundesanwaltschaft kritisieren, die vom BGH später als rechtswidrig eingestuft worden sind. Laut Schünemann "linksextrem". Antifaschisten, die auch den Kapitalismus ablehnen: laut Schünemann linksextrem, obwohl das Grundgesetz keine Wirtschaftsordnung vorgibt.

Und es geht weiter: Clowns, die sich zunehmend auf Demos finden und in der Tat ein Phänomen sind, dass die manchmal aggressive Stimmung lockert, manchmal aber auch sehr provozierend agiert, laut Schünemann "linksextrem". Wenn es nicht so ernst wäre, Herr Schünemann, müsste ich Sie fragen, wann Sie den Verfassungsschutz in Marsch setzen, um hier in Hannover die Clownschule als "Brutstätte des Linksextremismus" überwachen zu lassen. Und schließlich: Die Warnung vor den Castortransporten und dem vermutlich linksextremen gewalttätigen Widerstand. Herr Schünemann, hören Sie auf, die Atomkraft zu rechtfertigen indem Sie die Gegner diskreditieren. Die Menschenkette am vergangenen Wochenende hat eindrucksvoll gezeigt, wie friedlicher Protest von über 100.000 Menschen gegen Atomkraft funktionieren kann. Das sollten Sie anerkennen, anstatt durch Ihre Aussagen die Stimmung vor den Castortransporten anzuheizen.

Auf die Frage nach "linksextremen Demonstrationen" werden einfach pauschal alle Demonstrationen aufgelistet, bei denen nach Auffassung der Landesregierung Linksextreme mitgelaufen sind. Darunter auch etliche Demonstrationen, die von GRÜNEN, SPD und Linken getragen worden sind. Auch sie müssen eines Tages lernen Herr Schünemann: Friedliche Demonstrationen bedrohen nicht die Demokratie, sie sind der Ausdruck dieser Regierungsform. Nicht jeder, der einen schwarzen Kapuzenpulli trägt, ist gewaltbereit, nicht jede Gruppe, die antifaschistisch arbeitet, möchte Nazis mit rechtswidrigen Mitteln bekämpfen. Hier wäre Differenzierung und Taktgefühl angebracht, Herr Innenminister, stattdessen packen Sie wieder einmal den Holzhammer aus und dreschen verbal auf junge Menschen ein. Sie grenzen aus, stempeln junge Menschen, die sich gegen Nazis engagieren, ab und spalten die Gesellschaft. Protest und Ablehnung gehören zur Sozialisation vieler junger Menschen dazu. Statt sie dafür auszugrenzen und abzustempeln sollten Sie ihnen Wege im Rahmen der Verfassung aufzeigen, Herr Schünemann.

Zum Kapitel Ausländerextremismus gilt: Auch hier beherrscht Pauschalität das Bild, wo Differenzierung angebracht wäre. Schon der Begriff scheint der Mottenkiste zu entstammen. Geht es hier denn wirklich überwiegend um "Ausländer", um Zusammenschlüsse von Personen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit? Oder handelt es sich hier bei den allermeisten Organisationen und Vereinen nicht vielmehr um solche, die von Deutschen getragen und organisiert werden und die zum Teil auch ausländische Mitglieder haben? Mit Ihrer Begriffswahl suggerieren Sie, dass es sich hierbei um Problembereiche handelt, die gewissermaßen "von außen" nach Deutschland hereingetragen werden und eigentlich gar nicht zu uns gehören. Schon mit dieser Wortwahl stigmatisieren Sie, Herr Innenminister.

Dass Sie Maßnahmen gegen die vorhandene islamistisch-terroristische Bedrohung ergreifen, ist zweifellos notwendig und angemessen. Doch warum setzen Sie hier auf eine Politik der Angst und nicht der Vernunft? Ihre Aufgabe ist es nicht, der Bevölkerung Angst zu machen, sondern Ihre Maßnahmen gegen die Bedrohungslage aufzuzeigen. Außerdem vermisse ich eine echte Kultur der Anerkennung eines demokratischen und toleranten Islam. Ihre rechtswidrigen Moscheekontrollen und nicht zuletzt die scharfen Töne in der Debatte um die Kruzifixe machen das Vertrauen in muslimischen Kreisen kaputt, mit bester Unterstützung des Herrn Ministerpräsidenten Christian Wulff.

Abschließend bleibt zu wünschen, dass Differenzierung und Feingefühl von dieser Landesregierung möglichst bald als Mittel der Wahl entdeckt werden, damit die Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsorgie ein Ende hat. Vielen Dank.

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