Rede Helge Limburg: Aktuelle Stunde (GRÜNE) zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen

- Es gilt das gesprochene Wort -

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Am 15.Juli 2015 wurde Oskar Gröning vom Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in dreihunderttausend Fällen zu 4 Jahren Haft verurteilt. Gröning hatte mehrere Jahre als SS-Unteroffizier in Auschwitz Dienst getan und war während der Ermordung der ungarischen Jüdinnen und Juden dort anwesend. Er tat Dienst an der Rampe und in der Häftlingsgeldverwaltung. Er war also sowohl für Bewachung der Gefangenen als auch für deren Ausplünderung zuständig. Am 28. November dieses Jahres gab der Bundesgerichtshof bekannt, dass die Revisionsanträge im Strafverfahren gegen Oskar Gröning zurückgewiesen worden sind. Das Urteil aus 2015 ist damit rechtskräftig. Das, meine Damen und Herren, ist ein Stück Rechtsgeschichte.

Es hat schon früher durchaus eine ähnliche Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs gegeben. Aus verschiedenen Gründen setzte sich bei deutschen Staatsanwaltschaften aber die Auffassung durch, einzelne Beiträge zu Morden müssten individuell nachgewiesen werden. Dies hatte zur Folge, dass tausende Verfahren eingestellt wurden. Damit haben die Staatsanwaltschaft Hannover, die Nebenklägerinnen und Nebenkläger, das Landgericht Lüneburg und der Bundesgerichtshof nun gemeinsam Schluss gemacht. Sie haben klargestellt: Wer sich zum Teil einer Mordmaschinerie macht – und was anderes war Auschwitz? – der wird zum Mörder. Und der wird in einem Rechtsstaat bestraft.

Unser Dank und Respekt gilt den Nebenklägerinnen und Nebenklägern und ihren Anwälten. Es ist nicht leicht, die Last auf sich zu nehmen und von dem widerfahrenen Leid und der Barbarei zu erzählen. Teilweise haben diese Menschen weite Reisen unternommen. Sie haben ganz erheblich dazu beigetragen, dass dieser Prozess und dieses Urteil möglich wurden.

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

viele NS-Täterinnen und Täter sind davongekommen. Die deutsche Justiz hat sich nicht mit Ruhm bekleckert bei der Strafverfolgung der NS-Verbrechen. Viel zu zögerlich wurde ermittelt. Wenn überhaupt. Dazu mag der hohe Anteil früherer Nazis in der deutschen Justiz in den 50iger Jahren beigetragen haben. Bemerkenswert ist, dass, abgesehen vom Nürnberger Juristenprozess kein einziger Richter oder Staatsanwalt für die zahlreichen begangenen Justizmorde unter dem NS-Regime zur Verantwortung gezogen wurde. Niemand. Und das es Justizmorde waren und nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hatte hat nicht zuletzt die bemerkenswerte Veranstaltung der Justizministerin in der Villa Seligmann im vergangenen Jahr verdeutlicht. Aus dem Nürnberger Juristenprozess stammt das treffende Zitat: „Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen“.

Aber es gab immer auch die andere Seite. Bereits 1945 wurde, ebenfalls in Lüneburg, der Bergen-Belsen-Prozess gegen SS-Leute des KZ Bergen-Belsen durch die Britische Armee durchgeführt. Dann natürlich die Nürnberger Prozesse. Ein leuchtendes Beispiel war ohne Frage Fritz Bauer, der frühere Braunschweiger Generalstaatsanwalt, der mit nicht nachlassender Energie für die Strafverfolgung der NS-Mörder gekämpft hat.

Die Staatsanwaltschaft Hannover hat sich mit dem Lüneburger Prozess in diese die Menschlichkeit und die Menschenrechte verteidigende und achtende Juristische Tradition gestellt. Weil sie ihre Aufgabe in diesem Rechtsstaat gewissenhaft erledigt hat.

Manche fragen, ob und warum es wirklich nötig ist, Prozesse gegen alte Männer und Frauen zu führen. Kein Opfer kommt dadurch zurück, keine Tat wird ungeschehen. Darauf gibt es mehrere Antworten. Die Juristische ist kurz und eindeutig: Mord, §211 Strafgesetzbuch, verjährt gemäß §78 Abs. 2 StGB nicht. Deshalb muss er verfolgt werden, solange Täterinnen und Täter noch leben.    

Und es gibt die Antworten, die Nebenklägerinnen und Nebenkläger in Lüneburg gegeben haben. Eva Pusztai-Fahidi: „Ich muss wirklich sagen, dass ist eine Art von Genugtuung, dass ich vor einem deutschen Gericht aussagen kann. Das, was damals ein Verbrechen war ist es auch heute noch und in alle Ewigkeit.“ William Glied: „Ich habe die Verpflichtung, den Menschen meine Geschichte zu erzählen, damit Unmenschliches dieser Art nicht wieder passieren kann.“ Max Eisen: „Gerechtigkeit muss ihren Platz haben, auch wenn es 70 Jahre später erfolgt.“

Meine Damen und Herren, der Lüneburger Prozess ist eine Erinnerung und Mahnung an uns alle. Und er unterstreicht: Die Justiz muss der Menschlichkeit, den Menschenrechten, der Gerechtigkeit dienen. In Lüneburg hat sie das getan. Vielen Dank.

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