Rede Heiner Scholing: Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes

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 - Es gilt das gesprochene Wort -

 Anrede,

 diese Schulgesetznovelle verfolgt keinen Selbstzweck. Sie ist die Antwort auf pädagogische und bildungspolitische Herausforderungen. Wir werden die Weichen stellen für eine kindgerechte pädagogische Weiterentwicklung der Schulen:

  • Wir geben Lernen mehr Zeit.
  • Wir nehmen Druck aus der Schule.
  • Wir ermöglichen mehr gemeinsames Lernen.
  • Wir bauen Verbotsschilder ab, die die schwarz-gelbe Vorgängerregierung aufgebaut hat.

Die wichtigste Änderung, die wir mit dieser Schulgesetznovelle vornehmen, ist die Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren. Damit korrigieren wir einen der größten schulpolitischen Fehler der Vorgängerregierung.

 Lernen benötigt Zeit, und Lernen verträgt sich nicht mit einem allgegenwärtigen Zeit- und Leistungsdruck. Wir haben die Alarmhinweise der Wissenschaft aber auch der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern aufgenommen.

 „Schule darf nicht krank machen.“ Das haben wir vor der Wahl gesagt, und das lösen wir ein.

 Die Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren bedeutet:

  •  Mehr Zeit zum Lernen
  • Mehr Zeit zur Vertiefung
  • Mehr Zeit für Freizeit
  • Mehr Zeit für Fehler
  • Mehr Raum für individuelle Förderung
  • Mehr Raum für Berufsorientierung

 Ich freue mich, dass diese Rückkehr zu einem Abitur nach 13 Jahren jetzt von einer ganz breiten Mehrheit getragen wird.

 Bildungspolitik trifft auf Pädagogik!

 Die zweite große Änderung ist, dass wir Ganztagsschulen einen gesicherten gesetzlichen Rahmen geben. Eine Formulierung macht den Unterschied:

 Auf der Grundlage des Ganztagsschulkonzepts (Absatz 6) verbindet die Ganztagsschule Unterricht und außerunterrichtliche Angebote zu einer pädagogischen und organisatorischen Einheit.

 Das ist der Abschied von der Ganztagsschule light: Hier wurde das Nachmittagsangebot auf den vormittäglichen Unterricht aufgepropft. Mit einem solch schlichten Konzept konnten die pädagogischen Chancen einer Ganztagsschule jedoch nicht ausgeschöpft werden.

 Wir wollen Ganztagsschulen mit Qualität, die die Kinder in ihrer gesamten Entwicklung besser fördern und Benachteiligungen ausgleichen können.

 Und auch hier gilt: Bildungspolitik trifft auf Pädagogik.

Drittens werden wir Druck auch aus der Grundschule nehmen und pädagogische Weiterentwicklungen ermöglichen.

 Wir werden die bisherige Schullaufbahnempfehlung durch Beratungsgespräche mit den Erziehungsberechtigten ersetzen. Damit mindern wir den Druck, unter dem schon Grundschulkinder stehen, deutlich. Den Eltern ermöglichen wir eine fundierte Entscheidung. Diese Änderung wird von allen Verbänden der Grundschullehrkräfte ausdrücklich unterstützt.

In einem weiteren Schritt werden wir es den Grundschulen wieder zu ermöglichen, die Ziffernzensuren durch differenzierte Lernentwicklungsberichte zu ersetzen. Auch hier werden wir ein Verbotsschild der konservativen Bildungspolitik abbauen. Wir trauen es den Grundschulen zu, selbst zu entscheiden, welche Form der Leistungsbewertung sie für die pädagogisch sinnvollste halten.

Mit der Schulgesetznovelle werden wir es den Grundschulen darüber hinaus ermöglichen, nicht nur im 1. und 2. Jahrgang, sondern auch im 3. und 4. Jahrgang jahrgangsübergreifend zu unterrichten.

Und wieder gilt: Bildungspolitik trifft auf Pädagogik.

Viertens werden wir die Inklusion weiterführen.

Mit der Verabschiedung des Schulgesetzes 2012 bzw. der Einführung der inklusiven Schule war verbunden, die Förderschule Lernen im Primarbereich auslaufen zu lassen. Das war eine richtige und im übrigen historisch gewachsene Entscheidung. Diese Entscheidung ist übrigens von keinem, der sich ernsthaft mit der Thematik auseinandergesetzt hat, als Abqualifizierung der Arbeit der Förderschulen verstanden worden.

Förderschulen bieten besondere Fördermöglichkeiten und eine besondere Fachlichkeit. Das bestreitet hier niemand.

Die Fachwelt hat auch immer die Nachteile gesehen:

  • Verlust von positiven Lernvorbildern
  • Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls
  • soziale Stigmatisierung

Wir wissen schon lange, dass die Überweisung in die Förderschule Lernen sehr stark an die soziale Herkunft gekoppelt ist

Der Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund ist signifikant hoch.

Zudem zeigen zahlreiche Studien,  dass Schüler_innen mit Unterstützungsbedarf im Bereich Lernen in Regelschulen deutlich größere Lernerfolge zeigen als in gesonderten Förderschulen, trotz der anerkanntermaßen sehr guten und engagierten Arbeit der Lehrinnen und Lehrer in diesen Schulen.

(Das haben Studien des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen IQB und die BiLief-Studie der Uni Bielefeld deutlich gezeigt.)

Die Überweisung auf eine Förderschule führt viel zu häufig in eine Bildungssackgasse.

Die Entwicklung der Inklusion ist eine große Herausforderung. Das wurde hier schon hinlänglich formuliert. Meine Damen und Herren von der Opposition: Sie verlässt schon nach der ersten Runde der Mut.

Mit der Verabschiedung der Schulgesetznovelle setzen wir das Auslaufen der Förderschule Lernen in der Sekundarstufe fort. Mir konnte bis heute niemand erklären, warum es sinnvoll sein soll, Kinder in den ersten vier Schuljahren inklusiv zu fördern und sie dann beim Übertritt in den 5. Jahrgang doch wieder auf eine Förderschule Lernen zu schicken. Und viele Erfahrungen zeigen, dass dies in der Regel auch den betroffenen Eltern nicht erklärt werden kann. Wir werden deshalb den eingeschlagenen Weg fortsetzen und die Förderschule Lernen jahrgangsweise auch im Sekundarbereich auslaufen lassen. Es wird aber kein Kind, das heute noch die Förderschule Lernen besucht, gezwungen sein, diese vor dem Abschluss zu verlassen.

Eine weitere Tatsache bleibt festzuhalten: Ein Parallelangebot von inklusiven Schulen und Förderschulen Lernen ist inhaltlich und organisatorisch für die Schulen nicht darstellbar.

Und auch hier gilt: Bildungspolitik trifft auf Pädagogik!

Fünftens schließlich werden wir die Schulstruktur weiterentwickeln.

Vor der Wahl haben wir versprochen, dass wir die Hürden für die Neugründung von Gesamtschulen absenken werden. Das tun wir!

Ein Jahrzehnt lang ist  der Wunsch vieler Eltern nach einer gemeinsamen Schule ignoriert worden. Noch immer gibt es in jedem vierten Landkreis in Niedersachsen kein Angebot einer Integrierten Gesamtschule.

[Wir Grünen sind überzeugt, dass eine gemeinsame Schule unter pädagogischen Gesichtspunkten große Chancen bietet Schülerinnen und Schüler angemessen auf künftige  Herausforderungen  vorzubereiten. Das zeigen die Erfolge dieser Schulformen auch in  anderen Ländern.]

Aber um es ganz deutlich zu sagen: wir akzeptieren und berücksichtigen, dass viele Eltern ihr Kind auf ein Gymnasium schicken wollen. Der Bestand der Gymnasien wird mit dieser Schulgesetznovelle gesichert. Überall, wo eine ausreichende Nachfrage vorhanden ist, werden die bestehenden Gymnasien erhalten bleiben. Das ergibt sich weiterhin aus §106, Absatz 1.

Und selbst dort, wo die Anmeldungen für ein Gymnasium nicht mehr ausreichen, gibt es im neuen Schulgesetz die Garantie, dass auch dann der Besuch eines Gymnasiums unter zumutbaren Bedingungen gewährleistet sein muss. Eine solche Garantie gibt es für keine andere Schulform des Sekundarbereichs, auch für die Gesamtschulen nicht.

Mit der Schulgesetznovelle werden wir die Schulträger von dem Zwang befreien, Schulformen auch dann anbieten zu müssen, wenn es dafür überhaupt keine ausreichende Nachfrage mehr gibt. Wir werden es ihnen damit erleichtern, Gesamtschulen zu gründen.

Mit dieser Schulgesetznovelle werden wir sowohl den Wünschen der Eltern gerecht, die für ihr Kind eine gemeinsame Schule wünschen, als auch den Wünschen der Eltern, die ihr Kind auf ein Gymnasium schicken wollen.

Im Ausschuss haben wir eine umfängliche Anhörung durchgeführt. Natürlich haben wir Kritik gehört, mit der wir uns sowohl im Ausschuss als auch in der Öffentlichkeit intensiv auseinandergesetzt haben. Aber wir haben auch viel Zustimmung erfahren, die uns darin bestärkt hat, dass wir auf einem guten Weg sind.

Wir formulieren gesetzliche Rahmenbedingungen für eine Bildungslandschaft , in der keiner verloren geht, in der die Bildungschancen aller Schülerinnen und Schüler ihren Platz haben.

 

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