Rede Hans-Jürgen Klein: Haushalt 2010 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010

Anrede,

beim Thema Haushaltspolitik widmet sich die Landesregierung ja bevorzugt der nostalgischen Betrachtungsweise. Das war so, als unser Finanzminister lange Zeit die Auswirkungen der Bankenkrise auf Niedersachsen nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Und das ist heute wieder so, wo man lieber den alten Schuldenreduzierungsplänen nachtrauert, als sich dem gegenwärtigen Schuldenrausch entgegenzustellen.

In der Tat hat sich ja wirklich etwas bewegt: In Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen hat Schwarz-Gelb es immerhin geschafft, nicht mehr ganz so viele Schulden aufzunehmen. "Sie haben sich bemüht" würde man in einem Arbeitszeugnis formulieren, denn eigentlich hätten Sie bei den hervorragenden Rahmenbedingungen mehr gekonnt. Das haben wir, der Landesrechnungshof und andere Ihnen auch immer wieder vorgehalten. Mit dem Haushalt 2010 sollte dann der Höhepunkt erreicht werden: Die vermeintliche Null-Neuverschuldung schien in greifbare Nähe gerückt. Sie wissen so gut wie wir, dass diese Null eben nur vermeintlich war: Die Stichworte Schattenhaushalte und ein noch ungelöstes strukturelles Defizit von einer Mrd. Euro gehören auch zur finanzpolitischen Wirklichkeit der jüngeren Vergangenheit.

Zur finanzpolitischen Wirklichkeit der Gegenwart der Landesregierung und der Koalitionsfraktionen gehört der Offenbarungseid, wie er bereits mit dem 3. Nachtrag 2009 geleistet wurde und wie er sich jetzt in einem besonders ideenlos und handlungsunwillig präsentierten Haushaltsentwurf 2010 wiederholt.

Dass Sie frustriert sind, Herr Möllring, konnte man ja unlängst erst der BILD entnehmen. Aber muss das dann gleich so weit gehen, dass Sie Kolleginnenschelte betreiben und im typischen Möllring-Sprech die arme Frau Ross-Luttmann für die 50 Kilo Kartoffeln verantwortlich machen, die jetzt bei Ihnen im Keller liegen? Es ist richtig: Dieses Malheur mit dem Impfstoff wird uns eventuell ein 30-Mio.-Euro-Loch in die Haushaltskasse reißen. Nur dieses Impfchaos ist schließlich eines der berühmt-berüchtigten "Gesamtkunstwerke" der schwarz-gelben Mehrheiten in Bund und Ländern. Daran hat doch auch der niedersächsische Finanzminister seinen Anteil. Er war doch bei der Haushaltsausschuss-Sitzung im August dabei, als behauptet wurde, dass die Bundesregierung die nicht verbrauchten Impfstoffe möglicherweise zurückkaufen wird.

Warum hat er als Finanzminister nicht gleich dafür gesorgt, dass vernünftige Vereinbarungen zwischen Bund und Land geschlossen wurden? Rücksichtnahme auf die Bundesregierung ist doch erst die Losung seit dem 27. September.

Rücksichtnahme auf die Bundesregierung – das ist auch die Losung für Ihren Haushaltsentwurf und für den so genannten Änderungsantrag der Regierungsfraktionen, auf den ich später noch zurückkomme. Herr Ministerpräsident, gehören Sie jetzt neben dem Andenpakt auch dem Nichtangriffspakt mit der Bundeskanzlerin an? Es scheint so! Auch Ihr neuestes Grummeln gegen separate Friedensverhandlungen dient wohl eher der Domestizierung Ihres Amtskollegen in Schleswig-Holstein, als dass man es als Drohung gegen die Bundesregierung verstehen könnte. Jetzt muss man wohl jeden Unsinn mitmachen, koste es das Land was es wolle.

Was bedeutet dieses Schuldenerhöhungs-, Kommunenstrangulierungs-, CSU/FDPbefriedungs-, Klientelbedienungsgesetz – kurz, aber völlig unzutreffend, auch "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" genannt in Zahlen: Der Bund soll mit 4,63 Mrd. Euro, die Länder mit 2,28 Mrd. Euro und die Kommunen mit 1,57 Mrd. Euro belastet werden. Auf den Landeshaushalt von Niedersachsen kämen auf Basis dieser Zahlen damit allein in 2010 Belastungen in Höhe von 264 Mio. Euro und auf die niedersächsischen Kommunen 68 Mio. Euro zu. Und was springt für uns alle dabei heraus? Der Satz des Jahres 2009 ist heute schon für mich Peter Harry Carstensens "Ihr habt sie doch nicht alle!". Erst fehlt es an Verstandesklarheit und später an Geld in der Landeskasse.

Statt Geld für Zukunftsinvestitionen in Bildung und den ökologischen Umbau unserer Wirtschaft auszugeben, verschenken Union und FDP Steuermilliarden an Hoteliers und Erben, die es nicht nötig haben. Sie graben Ländern und Gemeinden deren ohnehin schon klammen Mittel ab. Dieser schwarz-gelbe Steuersenkungsunsinn ist teuer, wirkungslos und unsozial.

Als wirkungslos muss man auch die Haushaltsvorschläge der Regierungsfraktionen bezeichnen. Dass Sie so blank sind im Finanzbereich, liebe Kollegen von der CDU und FDP, macht mich schon etwas nachdenklich. Ihr missglückter Ausflug neulich ins Grimmsche Märchenreich Herr Hilbers hat mich gleich wieder an ihre pompöse Haushalts-Pressekonferenz erinnert: "Sieben auf einen Streich" haben Sie der Presse als Haushaltsexperten präsentiert. Die Herren McAllister, Dürr, Thümler, Grascha, Hilbers, Rickert und Rolfes traten auf und das Ergebnis zeigte reziproke Proportionalität. Ich habe Ihre Änderungsvorschläge mal schnell zusammengerechnet – die Betonung liegt auf schnell: Sie haben die gigantische Summe von gut 32 Mio. Euro bewegt und nach eigenen Aussagen dabei 5 Mio. Euro eingespart, bzw. umgewidmet. Respekt! Wenn Sie sich zwischen den Feiertagen nach guter Lektüre sehnen, sollten Sie sich mal unseren Änderungsantrag vornehmen. Da finden Sie nämlich Haushaltsvorschläge die diesen Namen auch verdienen.

Die Regierung Wulff/Rösler/Bode und die sie tragenden Regierungsfraktionen wollen mit diesem Haushalt und dem erst im Oktober beschlossenen 3. Nachtrag die unvorstellbare Summe von 4.600 Millionen Euro an neuen zusätzlichen Schulden zu Lasten des Landes Niedersachsen beschließen. Somit haftet jedes einzelne Mitglied dieser Regierungskoalition, jeder der hier rechts vor mir und rechts und links neben mir sitzt, für eine Kreditsumme von mehr als 85 Millionen Euro pro Kopf - in so kurzer Zeit wahrlich eine unglaubliche Leistung! Das diesjährige Weihnachtsgeschenk von Schwarz-Gelb an jeden Menschen in Niedersachsen ist damit ein zusätzlicher Schuldschein über 580 Euro. Selbst die die am meisten von Ihren Steuerplänen profitieren sollen, die besser verdienenden Eltern, werden nur mit 413 Euro pro Kind entlastet. Da kann ich nur sagen: Frohe Weihnachten! Und vergessen Sie nicht ihre Schuldenuhr am Donnerstag endlich umzustellen.

Die grüne Landtagsfraktion dagegen legt Ihnen heute einen Änderungsantrag vor, der über 310 Mio. Euro für grüne Projekte umschichtet und der uns in die Lage versetzt, mit weiteren 380 Mio. Euro Ihre Neuverschuldung auf gut 1,9 Mrd. Euro zu drücken. Damit wollen wir die zwingend erforderliche Haushaltskonsolidierung bereits im Haushalt 2010 einleiten. Sie legen derweil die Hände in den Schoß und verfahren nach dem Motto: Was Möllring heute kann verschieben, das lässt er auch noch morgen liegen.

Wir wollen starten eine massive Bildungsoffensive starten und eine stabile gesamtstaatliche Bildungsfinanzierung vorantreiben. Hier wollen wir bei entsprechender Umsetzung gemeinsam mit der Bundesebene gut 420 Mio. Euro bereitstellen. Dass die Bundesebene nicht einmal unwillig ist, etwas für die Bildung zu tun, wird ja aktuell diskutiert. Voraussetzung wäre natürlich, dass der neue Bildungsgipfel nicht wieder so ein Rohrkrepierer wird wie der letzte.

Zusätzliche Krippenplätze, ein ausgeweitetes Kindergartenangebot, ein verbesserter Personalschlüssel und eine bessere Ausbildung im gesamten Kita-Bereich unterstreichen die besondere Bedeutung der frühkindlichen Betreuung und Bildung in unserem Antrag. Im Schulbereich setzen wir auf die Ganztagsschule als zentrales Projekt und auf eine Qualifizierungsoffensive für individuell fördernden Unterricht. Die Abschaffung der Studiengebühren, Qualitätsverbesserungen im Studium und ein Stipendienprogramm das diesen Namen verdient runden das Konzept ab. Im Wirtschaftsbereich setzen wir auf ökologische Innovation statt auf Autobahnen und wirkungslose Mitnahmeeffekte. Unsere fachpolitischen SprecherInnen  werden Ihnen in den nächsten Tagen die Einzelheiten dazu präsentieren.

Vorab ein gesonderter Blick auf den Personalbereich: Neben der Fortschreibung unseres Bildungsfinanzierungskonzeptes ist die heutige und künftige Finanzierung der Personal- und Versorgungsausgaben eine zentrale Aufgabe, der sich die Landespolitik stellen muss. Wir haben bereits im letzten Jahr Reformen im Beamtenrecht angeregt, die nicht bei jedem auf Gegenliebe gestoßen sind. Wer jedoch seine Verantwortung für das gesamte Landeswohl wahr- und ernst nimmt, der muss sich auch unliebsamen Themen stellen. Wir tun dies, allerdings sozial ausgewogen: Mit unserem Vorschlag, die für 2010 vorgesehenen Stellenhebungen ab A 11 zunächst ins nächste Jahr zu verschieben, lassen sich 600.000 Euro einsparen. Das betrifft aber eben nicht die Hebungen bei den Gehaltsklassen darunter! Im Gegenteil: In diesem Bereich haben wir auch in diesem Jahr wieder ein eigenes Stellenhebungsprogramm in Höhe von 3 Mio. Euro aufgenommen.  5 Mio. Euro werden wir für die Gesundheitsvorsorge der Landesbediensteten bereitstellen. Und mit weiteren 55 Mio. Euro machen wir eine Abführung für jeden neueingestellten Beamten möglich, um den Anstieg der Versorgungsleistungen wenigstens zu mindern. Diese zentrale Aufgabe konnten Sie ja seit 2003 nicht lösen, Herr Wulff, und mit diesem Haushalt verabschieden Sie sich endgültig von einem Pensionsfonds. Jetzt müssen die nächsten Generationen die Zeche zahlen. Dass die Personaleinsparungen Ihrer Verwaltungsreform, Ihre Zielvereinbarungen II weitgehend eine Nullnummer geblieben sind, haben wir inzwischen schwarz auf weiß dokumentiert in der diesjährigen Denkschrift des Landesrechnungshofes.

Stichwort Verwaltungsreform! Da frage ich zum wiederholten Male: Was treibt eigentlich den Finanzminister um. Er weigert sich wider besseren Wissens die Organisationsruine Oberfinanzdirektion entsprechend den Vorschlägen des Landesrechnungshofes zu verschlanken. Im Gegenteil: Er versucht die OFD durch eine nicht nachvollziehbare und nicht sachgerechte Fusion mit dem NLBV in ihrer mangelhaften Form zu konservieren.

Die Fakten sprechen eine andere Sprache: Der nach Rückzug der Bundeszuständigkeiten verbliebene OFD-Torso hat viel zu viele Hierarchieebenen und könnte mit 115 statt 300 Stellen auskommen: Wenn die OFD sich als zentrale Leitung der niedersächsischen Finanzämter verstünde und nicht als einfache aber teure Telefonauskunft für die Beamten, denen der schnelle Griff zu Hörer besser gefällt, als ein Blick in die Unterlagen. Deshalb hat dieser Landtag beschlossen, dass zunächst eine Wirtschaftlichkeitsberechnung erfolgt, bevor Entscheidungen fallen. Diesen Beschluss hat die Landesregierung missachtet und auf Druck der Opposition eine Unterrichtung nachgeschoben, die man getrost als Realsatire bezeichnen kann. Das ist unverfroren!

Finanzielle Vorteile hat die Landesregierung nach eigenen Aussagen gar nicht im Sinn, sondern sie erwartet – ich zitiere: "Verbesserte Qualität des Verwaltungshandelns durch intensivierte Kommunikation mit einem wechselseitigen Lernen".  Das erinnert doch sehr an "des Kaisers neue Kleider"!  Wie funktioniert denn die intensivierte Kommunikation zwischen dem Beihilfesachbeabeiter in Aurich und dem  Erbschaftssteuerfachmann in Hannover. Die können ja nicht einmal zusammen Mittagessen gehen. 

Mit dieser inhaltslosen und aufgeblähten Sprechblase könnten Sie auch die Fusion der Landwirtschaftskammer mit den Schulämtern begründen.

Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass Schwarz-Gelb weder auf Landes- noch auf Bundesebene für die Kommunen eine lösungsorientierte Perspektive bietet, sondern im Gegenteil eine Bedrohung darstellt. Die schon beschlossenen Einnahmereduzierungen bei der Gewerbesteuer und die noch diskutierte komplette Abschaffung dieser wichtigen Einnahmequelle für die Kommunen machen das überdeutlich. Und die angedrohte Besteuerung der kommunalen Daseinsvorsorge zeigt, dass die FDP ihre Privatisierungsideologie weitertreiben will, als hätte es die Finanzkrise nie gegeben.

Diese Haltung der FDP erstaunt ja noch nicht einmal. Umso erstaunlicher fand ich allerdings eine Meldung der vergangenen Woche, in der ausgerechnet die FDP Finanzminister Schäuble zum Sparen aufforderte. Da hat wohl mal wieder jemand im FDP Sparbuch geblättert, aber Achtung: Sparen heißt bei der FDP vor allem bei den anderen. 6 Mrd. ihrer 10 Mrd. Einsparvorschläge sollen allein im Bereich Arbeit und Soziales umgesetzt werden. Neoliberalismus ist eben doch ein Schimpfwort.

Im gleichen Fahrwasser war übrigens der Ministerpräsident gestern Abend bei Anne Will unterwegs. Die Milliardengeschenke an die Hotellobby hat er als "zu schluckende Kröte" bezeichnet. Haben Sie sich bei den Koalitionsverhandlungen nicht getraut, dem Bayern Horst genau so energisch entgegen zu treten wie jetzt dem Peter Harry? Sie haben die höchst umstrittene Steuersenkung u. a. mit dem Hinweis auf den Sanierungsstau bei vielen Hotels entschuldigt. Die privatwirtschaftlichen Interessen der Hotelbranche damit in einen inhaltlichen Zusammenhang mit den täglichen Sorgen vieler SchulleiterInnen in unserem Land zu bringen, die um die marode Heizungsanlage fürchten oder mit undichten Decken zu kämpfen haben ist, mit Verlaub Herr Ministerpräsident, eine grobe Dreistigkeit. Wir fordern Sie auf: Schützen Sie die Kröten statt sie zu schlucken und lehnen Sie im Bundesrat das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ab.

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