Rede Hans-Jürgen Klein: Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010

Anrede,

in fünf Tagen - am Montagmorgen, werden wir in einem anderen Land aufwachen. So hat es jedenfalls die Wirtschaftwoche vor kurzem formuliert und ich könnte es nicht besser ausdrücken. Dann wird konkreter werden, was Steinbrück und zu Guttenberg im ARD-Sonntagstalk vorsichtig andeuten mussten, weil ihnen die Alles-wird-gut-Sprüche ohnehin niemand mehr glaubt. Diese neue Wirklichkeit wird sich einstellen; unabhängig davon, wer am Sonntag die Bundestagswahl gewinnt und welche Koalitionen sich bilden oder nicht bilden werden.

Die Rahmenbedingungen für diese neue Wirklichkeit  lassen sich schon relativ sicher beschreiben.

Steuerausfälle in Höhe von 152 Milliarden Euro reißen Riesenlöcher in die öffentlichen Haushalte. Schon jetzt sind für die kommende Wahlperiode unvorstellbare 320 Milliarden Euro neue Schulden in den Finanzplanungen vorgesehen. 450.000 Menschen sind zurzeit nur deshalb nicht arbeitslos, weil Kurzarbeit sie schützt. Ab Montag wird sich erweisen, wie hoch der Anteil ist, bei dem es um die längerfristige Sicherung der erforderlichen Fachkräfte über die Krise geht und wie hoch der Anteil der Unternehmer-Wahlkampfhilfe für Schwarz-Gelb war. Für die Kosten der steigenden Arbeitslosigkeit sind bereits 20 Prozent des Bundeshaushalts prognostiziert. Bei diesen Zahlen sind die 7 Milliarden Euro, die im untauglichen Gesundheitsfonds fehlen, fast zu vernachlässigen.

Allen Wahlkampfversprechungen und -argumenten von Schwarz-Gelb zum Trotz ist sich die wissenschaftliche Fachkompetenz, bis weit ins Lager der konservativen Professorenschaft hinein, einig in den Bewertungen der politischen Handlungsspielräume:

  1. Es wird keinen Spielraum für Steuersenkungen geben!
  2. Im Gegenteil: Einnahmeerhöhungen des Staates werden unausweichlich sein!
  3. Das FDP- und CSU-Mantra von der sich selbst finanzierenden Steuersenkung ist falsch. Die Effekte sind allenfalls minimal!
  4. Wer nur auf eine neue weltweite Hochkonjunktur hofft und verweist, hat keine Chance die Zukunftsprobleme zu lösen!

Zum letzten Punkt sei nur darauf verwiesen, dass die Finanzkrise global einen geschätzten Wohlfahrtsverlust von 15 Billionen Euro verursacht hat.  Das sind 35mal unserBundeshaushalt oder 600 niedersächsische Landeshaushalte. Das ist Geld, welches für Konsum und Investition nicht mehr zur Verfügung steht. Unsere Wohlstandquelle, der Importweltmeister USA, fällt in dieser Funktion bis auf weiteres aus. Wer glaubt China und Indien könnten diese Bresche dauerhaft ausfüllen, verkennt den Eigenentwicklungswillen dieser Staaten oder wird spätestens an der nächsten Asienkrise scheitern.

Wer also glaubt und sein Haushaltskonzept darauf baut, dass ab 2011 eine explodierende Konjunktur die öffentlichen Kassen zum Überlaufen bringt, sollte sich möglichst nicht an einer künftigen Regierungskoalition beteiligen.

Mein Fazit: Die nächste Regierung wird nicht auf das Prinzip Hoffnung setzen können. Sie wird sich ernsthaft mit einer Agenda 2020 beschäftigen müssen. Allerdings eine Agenda die sich von ihrer Vorgängerin wesentlich unterscheidet. Ein Schwerpunkt muss sich damit befassen, wie die wirklich Leistungsfähigen in diesem Land dazu beitragen können, dass der Staat im Klimaschutz, bei der Bildung und bei der sozialen Gerechtigkeit seine Aufgaben weiter und besser erfüllen kann und trotzdem die nachfolgenden Generationen nicht über Gebühr belastet.

Bis jetzt hat die Landesregierung diese Entwicklung noch nicht antizipiert. Sie leckt Wunden und trauert ihrem Traum von einem Haushalt ohne Neuverschuldung ab 2010 hinterher. Der ist genauso geplatzt, wie einige andere Versprechungen in der schwarz-gelben Koalitionsvereinbarung. Einen landeseigenen Pensionsfonds wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Damit bleibt eines der größten Haushaltsrisiken, die explodierenden Versorgungslasten, unbearbeitet. Im Gegenteil, die Zuführungen zum bundesrechtlich angesparten Sondervermögen "Versorgungsrücklage" werden eingestellt und diese Rücklage, die ab 2017 zur Verfügung stehen sollte, wird bereits mit dem Nachtrag 2009 geplündert. Die Blütenträume einer Innovationsstiftung sind verdorrt.  Die Entsorgung der Treuhand-Altlasten  wird auf die lange Bank geschoben und der kostenlose Kita-Besuch bleibt Illusion. Nebenbei: Auch die FDP-Schulleiter-Akademie wird wohl das Schicksal der FDP-Mondmission teilen und weiterhin nur in den Sternen stehen.

Das Trio "Wulff, Möllring, Rösler" macht weiter auf Optimismus und möchte "den Wachstumspfad wieder herstellen".  Mit dem Nachtrag 2009 und dem Haushaltsentwurf 2010 gelingt Ihnen das auch. Allerdings nur bei den Schulden! Diese Schulden will man uns schön reden, indem man behauptet, man nähme in dieser Wahlperiode nicht mehr neue Schulden auf, als die Steuermindereinnahmen betragen. Zum einen ist das kaum ein Trost, sondern eher eine Bankrotterklärung der eigenen politischen Handlungsfähigkeit. Zum zweiten stimmt es nicht: In diesem Jahr werden deutlich mehr Schulden gemacht. Ein bisher bekannter aber ungelöster Handlungsbedarf von rund einer Milliarde Euro wird mal nebenbei im Zuge der Finanzkrise beseitigt. Die Zahlen der Finanzplanung von 2011 bis 2013 sind Mondzahlen, mit denen sich alles behaupten aber nichts verifizieren lässt.  Inzwischen lässt man ja auch - zumindest über den Rundblick - erklären, dass die neuen Schulden, jeweils 2,3 Milliarden Euro 2009 und 2010, zur Finanzierung der Konjunkturpakete erforderlich seien. Eine dreiste Lüge, denn die wurden bereits im 1. Nachtrag im Februar finanziert.

Eine Bildungsoffensive, die diesen Namen verdient, ist weit und breit nicht in Sicht. Ein Entwicklungsansatz, der Zukunftstechnologien mit Klimaschutz verbindet - Fehlanzeige! Stattdessen: Nachkriegsstrategien wie Autobahnen und Atomkraftwerke! Damit wird Schwarz-Gelb nur eins erreichen: Das Ende der selbstgewählten Sackgasse!

Finanzminister Möllring erklärt weiterhin die Finanzkrise für überwunden und verkündet: "Es geht wieder bergauf". Ich bin gespannt, ob auch er ab Montag die neue Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen wird. Ich habe allerdings den Verdacht, dass er weiterhin Niedersachsen zum "kleinen gallischen Dorf" erklärt, dass sich mit einem hohen Zaun und dem Möllringschen Zaubertrank gegen die hässlichen nationalen und globalen Einflüsse wehren kann. Dann muss aber in den Zaubertrunk etwas mehr hinein, als die Streichung der Zuschüsse für die Landesgartenschau und den Tag der Niedersachsen. Das reicht vielleicht um die Erhöhung der Ministereinkommen zu finanzieren, die sich Schwarz-Gelb wünscht und die wir ablehnen werden. Ein ernsthafter Beitrag zur Haushaltskonsolidierung und zur Umsetzung der neuen Schuldenbremse ist das aber nicht. Sicher ist es auch keine Lösung für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass es zu signifikanten Zinserhöhungen kommt. Das droht spätestens, wenn die Notenbanken die enormen Geldmengen, die sie ausgeschüttet haben, wieder einsammeln, um Inflationsgefahren vorzubeugen.

Ich bin auch gespannt, was die niedersächsischen Kommunen zu diesen Alles-halb-so-schlimm-Parolen sagen werden. Nicht einmal die sprudelnden Steuereinnahmen der vergangenen Hochkonjunktur haben dort in der Summe die Verhältnisse nachhaltig verbessern können. Nach wie vor sind die Kommunen mit rund 4 Milliarden Euro Kassenkrediten belastet. Um jeweils knapp 10  Prozent verringert sich ihr Anteil an der Einkommenssteuer in diesem und im nächsten Jahr. Durchschnittlich 17,3 Prozent weniger Gewerbesteuer 2009 und 2010 über 20 Prozent weniger Schlüsselzuweisungen sind angesagt. Bis 2012 werden weitere 4 Milliarden Steuerausfälle erwartet. So sieht das derzeit bekannte Horrorszenario aus. Vor der Krise ging die Landesregierung noch davon aus, dass bei höchsten Anstrengungen 25 Jahre erforderlich sind, um die Kassenkredite abzubauen. Jetzt soll nach der Finanzplanung des Landes alles bis 2017 wieder im Lot sein. Das ist Realitätsverweigerung!

Die kann man beispielsweise den Kommunen Braunschweig, Göttingen, Celle, Nienburg, Weyhe, Schortens und Salzgitter sicher nicht vorwerfen. Die mussten allesamt Haushaltsperren für dieses Jahr aussprechen, mehrheitlich sicher schmerzhafter als das Vorbild des niedersächsischen Finanzministers, das über die symbolische Wirkung eines erhobenen Zeigefingers wohl nicht hinauskommt.

Anrede Finanzminister: Im letzten Jahr hatte ich Ihnen gesagt, dass Ihr Haushalt 2009 bereits Makulatur ist und spätestens bei der Mai-Steuerschätzung 2009 im Papierkorb landet. Ich gebe zu: Mit "Mai" lag ich falsch. Es war schon drei Monate vorher so weit und heute liegt uns bereits der dritte Nachtrag vor. Da sie damit vorsichtshalber schon mal eine Milliarde mehr Schulden aufnehmen wollen als notwendig, kann dieses Jahr hoffentlich nichts mehr schief gehen. Für den Haushalt 2010 sehe ich allerdings schwarz. Im letzten Jahr habe ich die Papierkorbreife erst in der Dezemberhaushaltssitzung prognostiziert. Jetzt traue ich mich schon bei der Einbringungssitzung: Ihr Haushaltsentwurf 2010 verkörpert politischen Stillstand, politische Ideenlosigkeit und Schulden als einzige Antwort auf die Krise. Deshalb wird er die Erfordernisse des nächsten Jahres nicht überleben. Auch die neue Mipla hat nur ein äußerst begrenztes Haltbarkeitsdatum. Zu den abenteuerlichen und realitätsfremden Prognosedaten ab 2011 verweise ich auf meine Ausführungen am Anfang und im letzten Plenum. Die Zeit der Wirtschaftswunder ist vorbei. Damit können und werden diese schwarz-gelben Konzepte auch keine Modelle für die nächste Bundesregierung sein. Denn aus der Krise hilft nur Grün!

Zurück zum Pressearchiv