Rede Hans-Albert Lennartz: "Keine Hilfspolizisten in Niedersachsen ? die öffentliche Sicherheit der Polizei überlassen, Zivilcourage stärken."

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Herr Innenminister, haben Sie zufällig gestern die Hannoversche Allgemeine Zeitung gelesen? Dann haben Sie den Kommentar mit der Überschrift "Gegenverkehr" lesen können. Dort hieß es: "An vielen Stellen der Regierungsarbeit werden Schwächen und Mängel sichtbar .... Vieles ist der großen Eile in den ersten beiden Jahren der Regierung von Ministerpräsident Christian Wulff geschuldet. ... Deutlich wird die geänderte Stimmung an vielen aufgewühlten Debatten über Reformen. Betroffen ist davon hauptsächlich Innenminister Uwe Schünemann ..., der ein Faible hat für schnelle Entscheidungen."
Herr Schünemann, Sie machen sich unbeliebt. Die Leitstellendebatte sorgt für böses Blut bei den Kommunen und in Ihrer eigenen Fraktion, die Vorratsdatenspeicherung für ein Jahr, die Sie fordern, vergrätzt die Unternehmerverbände und Ihren Kabinettskollegen Hirche, mit Ihren Plänen zur Hilfspolizei ecken Sie bei der Polizei im Lande und auch ihrem Koalitionspartner an.
Herr Rösler hat gesagt, Sie könnten den Text der Nationalhymne nicht. Es heißt: "Einigkeit und Recht und Freiheit". Sie singen: "Einigkeit und Recht und Ordnung"!
Herr Ripke, Ihr CDU-Generalsekretär sagte Anfang des Jahres bereits: "Wir brauchen keine Bürgerstreifen".
Wir stimmen mit denen in der CDU, mit denen in der FDP und mit der SPD-Fraktion überein, dass es für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit keiner Hilfspolizisten bedarf.
Die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit ist Aufgabe einer gut ausgebildeten professionellen Polizei.
Sie haben heute die Gelegenheit, diese Aussage zu bestätigen, indem Sie sich dahin erklären, dass Ihr Projekt einer Hilfspolizei in Niedersachsen nicht weiter verfolgt wird.
Die Erfahrungen mit dem hessischen Modell des so genannten freiwilligen Polizeidienstes sind nicht sehr positiv. Die wissenschaftliche Begleitung des Modellversuchs durch die Universität Gießen kommt zu Ergebnis, dass der unabweisbare Nutzen des Polizeidienstes für die öffentliche Sicherheit oder ein Zugewinn an Sicherheit nicht bestätigt werden kann. Auch vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob es verantwortungsvoll ist, Bürgerinnen und Bürger Situationen und Gefahren auszusetzen, für die sie weder vorgesehen noch entsprechen ausgebildet sind.
Polizeihilfsdienste stellen deshalb auch keine Antwort auf die Forderung nach mehr Zivilcourage dar. Zivilcourage wie wir sie verstehen als politische Tugend der Bürgergesellschaft setzt nicht auf die Delegierung an Dritte, sondern setzt auf den oder die interventionsfähigen Einzelnen. Zivilcourage ist also Ansatz und Produkt der politischen Bildung und nicht der "Hilfsdienst-Bildung." Ein tatsächlicher Gewinn für die öffentliche Sicherheit ist – neben der Arbeit der professionellen und gut ausgebildeten Polizei im Land – nur durch vermehrte Anstrengungen zur Stärkung der Zivilcourage zu erreichen.
In der Summe der Argumente würde mit einem freiwilligen Polizeidienst ein sicherheitspolitisch höchst umstrittenes Placebo installiert. Zudem würden Landesaufgaben auf die Kommunen abgewälzt. Begleiterscheinung der Pläne des Innenministers wäre außerdem die Etablierung "Freiwilliger erster und zweiter Klasse" in Niedersachsen. Die angedachte Aufwandsentschädigung für alle Mitglieder der freiwilligen Hilfspolizei würde eine ungerechtfertigte Privilegierung z.B. gegenüber ehrenamtlichen Brandschützern und Katastrophenhelfern bedeuten. Auch aus diesen Gründen lehnen wir die Einführung derartiger Dienste ab.

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