Rede Hans-Albert Lennartz: Keine heimliche Onlinedurchsuchung privater Computer und keine zentralen biometrischen Dateien!

Anrede,

der neuste Schrei bei konservativen Innenpolitikern, an ihrer Spitze Bundesinnenminister Schäuble und natürlich Innenminister Schünemann, ist das so genannte Online-Hacking. Das ist die technische Möglichkeit, PC durchsuchen zu können, ohne selbst am Standort des Gerätes anwesend zu sein.

Diese Technik existiert und sie wurde auch bereits eingesetzt.

In einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage des Abgeordneten Wieland, erklärte die Bundesregierung, dass die Geheimdienste des Bundes in rechtlich zulässiger Weise Online-Hacking betrieben. Zwischenzeitlich ist bekannt geworden, dass der Online-Zugriff der Geheimdienste rechtlich unzulässig war.

Nach dem der Bundesgerichtshof in Strafsachen mit Beschluss vom 31.1.2007 festgestellt hat, dass eine solche Maßnahme im Bereich der Strafverfolgung rechtswidrig sei, rudert nun Bundesinnenminister Schäuble zurück und fordert, Rechtsgrundlagen bis hin zu einer Änderung des Grundgesetzes zu schaffen.

Auch Innenminister Schünemann lässt nach Aussagen in der Hannoverschen Neuen Presse derzeit überprüfen, welche Regelungen in das Gesetz über den Verfassungsschutz eingefügt werden müssen, damit bei Verdacht auf extremistische Aktivität solch eine Maßnahme möglich wäre.

Eine heimliche Onlinedurchsuchung greift tief in die Privatsphäre ein. Die auf einem Computer gespeicherten Daten können aufgrund ihrer Vielzahl und besonderen Sensibilität Einblick in die Persönlichkeit der Betroffenen geben. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird damit gefährdet, wenn der Staat heimlich in private Computer eindringt, um dort personenbezogene Daten auszuspähen. Dies gilt umso mehr, wenn Nachrichtendienste die Möglichkeit heimlichen Zugriffs auf diese Informationen erhalten, obwohl ihnen noch nicht einmal die offene Erlangung durch eine Beschlagnahmung gestattet ist.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Privatheit würde unvertretbar eingeschränkt, wenn Durchsuchungsmaßnahmen zugelassen würden, bei denen aufgrund ihrer Heimlichkeit keine Person wissen kann, ob, wann und in welchem Umfang sie von ihnen bereits betroffen ist oder in Zukunft betroffen sein wird.

Ein entscheidender Unterschied zwischen dem Online-Hacking und den bereits jetzt rechtlich zulässigen Maßnahmen der Telefonüberwachung, der Observation, des Lauschangriffs besteht unter anderem darin, dass bei diesen bereits jetzt rechtlich unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen Maßnahmen eine Benachrichtigung beim Betroffenen nach einer bestimmten Frist vorgesehen ist, die in der Praxis allerdings häufig sehr weit aufgeschoben wird. Bei einer Online-Durchsuchung würde im Zweifel eine solche nachträgliche Benachrichtigung schon deswegen nicht erfolgen, weil ansonsten der Betroffene Möglichkeiten zu realisieren beabsichtigt, die für die Zukunft jedenfalls entsprechende Durchsuchungen verunmöglichen.

Anrede,

Man muss diese Planungen – wie auch die zur Zentraldatei für Fingerabdrücke – in den Gesamtzusammenhang rücken:

Der Umbau des Rechtsstaats in einen so genannten Präventionsstaat ist in vollem Gange.

Seit Jahren werden immer wieder neue technische Möglichkeiten der Überwachung eingeführt und von jedem dafür notwendigen Gesetz bzw. der entsprechenden technischen Maßnahme hing angeblich jeweils die Zukunft der inneren Sicherheit ab. So war es beim Lauschangriff, bei der Ausweitung der Telefonüberwachung, beim Luftsicherheitsgesetz, beim biometrischen Personalausweis, bei der Schleier- und Rasterfahndung, bei der Anti-Terror-Datei und beim heimlichen Zugriff des Verfassungsschutzes auf private Bankkonten. So ist es jetzt bei der Videoüberwachung, bei der automatischen Gesichtserkennung, bei der Verwendung von Mautdaten zur Fahndung, so ist es auch bei der Vorratdatenspeicherung der Telefon- und Internetdaten, wie schließlich auch der evtl. zentralen Fingerabdruck- und Passfotodatei aller Bürger.

Der Staat baut sein Sicherheitssystem jenseits und im Vorfeld des Strafrechts aus, weil dort dessen strenge Prinzipien zum Schutz des möglicherweise unschuldigen Einzelnen nicht gelten.

Es geht nicht mehr primär um Verfolgung von Straftaten, auch nicht primär um die Verhinderung einzelner krimineller Handlungen. Es geht vielmehr darum, schon im Vorfeld der Realisierung Risiken zu erkennen und zu bekämpfen. Und dazu werden Mittel und Methoden angewendet, die im Strafrecht nur gegen Verdächtige möglich waren.

Die besondere Brisanz ergibt sich nicht unbedingt schon aus der Ermöglichung der einzelnen Maßnahme, sondern aus der Ermöglichung der Summe aller Maßnahmen.

Das neue Sicherheitsrecht verlässt die bisherigen rechtlichen Anknüpfungspunkte: im Strafrecht den konkreten Tatverdacht, im Polizeirecht die konkrete Gefahr.

Anrede,

Wenn selbst ein Konservativer wie Helmut Rieger im rundblick kürzlich schrieb: "Trotzdem (”¦) ist es dem Freiheitsbedürfnis einer auf Freiheit angelegten Gesellschaft nicht dienlich, wenn der Bundesinnenminister ihr (”¦) mit Instrumenten zu Leibe rückt, die auf Überwachung bis ins tief Private hineinzuzielen scheint.", dann heißt das, dass bis weit ins bürgerliche Lager hinein das Gefühl entsteht, dass der Staat übermächtig wird.

Die Funktionäre und Mechaniker der inneren Sicherheit nehmen das nicht wahr. Sie handeln rollenkonform oder arbeiten an ihrer eigenen Selbstprofilierung getreu dem Motto "Wer ist der schärfste Hund".

Und manchmal schießen auch Polizeipräsidenten über das Ziel hinaus, so z.B. Rolf Springmann aus Osnabrück, der bei der Vorstellung der regionalen Kriminalstatistik die Kritik an "angeblich bedenklicher Zunahme staatlicher Überwachung" als "völligen Quatsch" bezeichnete.

Wer mit Tunnelblick den Feind überall wittert und danach handelt, stellt die Fundamente unserer Demokratie in Frage.

Zurück zum Pressearchiv