Rede Hans-Albert Lennartz: Große Anfrage: Bezirksregierungen abgeschafft und was sonst noch?

(es gitlt das gesprochene Wort)

Anrede,

in der Vorbemerkung Ihrer Antwort sagen Sie: " Es gibt zur Verwaltungsmodernisierung in Niedersachsen keine Alternative" (Seite 1).
Das stimmt so nicht. Natürlich hätte es Alternativen gegeben. Ich verweise nur auf den Weg, den das Land Baden-Württemberg mit dem Modell der so genannten integrierten Dreistufigkeit gegangen ist.

Die Schlüsselfrage ist: Abschaffung der Mittelbehörden mit dem Ziel einer zweistufigen Verwaltung oder Integration der Landesämter in die Mittelbehörden gleich Abschaffung der Landesämter.

Ihr bevorzugter Gutachter Prof. Hesse hat sich in Baden-Württemberg für integrierte Dreistufigkeit, in Niedersachsen für Zweistufigkeit ausgesprochen. Ist das konsequent?
Unterscheiden sich die beiden Länder gravierend? Nein! In Bezug auf die Einwohnerzahl liegt Baden-Württemberg vorn, in Bezug auf die Flächenausdehnung Niedersachsen.

Anrede,

in der Anhörung von Innenausschuss und Umweltausschuss Anfang Mai zum Elbehochwasser haben Sie, Herr Schünemann, die Dreistufigkeit in der Katastrophenschutzverwaltung des Landes als besonderen Erfolgsmaßstab für die Bewältigung der Hochwasserkatastrophe an der Elbe vor Ostern dieses Jahres angeführt.
Wenn`s "politisch brennt", dann pfeifen Sie auch schon mal auf die Zweistufigkeit.

Wissenschaftlich bewertet, bedeutet die Zweistufigkeit die Stärkung der politischen Exekutive, nämlich Stärkung der Fachaufsicht in den Ministerien; Sie bedeutet aber auch, dass das operative Geschäft in den Ministerien stärker in den Vordergrund tritt, als die strategische Steuerung.

Eine Stärkung der politischen Exekutive erfolgt aber auch in soweit, als durch das Fehlen einer allgemeinen Mittelbehörde für die Ministerien mehr Freiräume entstehen, da die von den Ministerien wenig geliebte Bündelungsfunktion entfällt. Damit besteht die Gefahr, dass die Gesamtschau über alle Ressorts hinweg verloren geht und einzelne Fachinteressen in der Landespolitik ein Übergewicht erhalten (vgl. Bogumil/Kottmann, Verwaltungsstrukturreform – Die Abschaffung der Bezirksregierungen in Niedersachsen, Gutachten, 2006, 65).

Anrede,

Finanzielle Bilanz:

Ihre Zahlen sind so gut, dass sie unglaubwürdig werden. Wir hatten nach dem reformbedingten Stellenabbau gefragt, waren also von 5.438 Stellen (GFA zum Gesetz zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung in Niedersachsen) ausgegangen. Sie haben die Zahlen der Zielvereinbarung II in Höhe von 6.743 als Referenzgröße herangezogen. Bezogen darauf haben Sie nach eigener Aussage bislang 2.731 Stellen eingespart. Zieht man die ca. 750 Stellen ab, die durch § 109 NBG veranlasst wurden, haben Sie knapp 2.000 Stellen eingespart. Mit dieser Antwort verschleiern Sie, wie viele Stellen tatsächlich reformbedingt in 2005 eingespart werden konnten. Das aber genau war unsere Frage.

Die größte Schwachstelle in Ihrem Umsetzungsprozess ist aber offensichtlich die Job-Börse.
Sie sagen, die Job-Börse habe sich insgesamt bewährt. Zum 26.4.2006 seien 1.225 Personen gemeldet gewesen (Seite 15).
Innerhalb eines halben Jahres, bis zum 26.4.2006, seien 332 Vermittlungen geleistet worden. Wenn Sie die Zahl der Vermittlungen mit der Zahl der Beschäftigten in der Job-Börse in Relation setzen, dann kommen Sie zu einem sehr niedrigen Vermittlungsergebnis. Wenn man dieses Ergebnis auf die Arbeit der Bundesanstalt für Arbeit sinngemäß übertragen würde, würde sofort der Ruf nach deren Abschaffung laut werden.

Da die Zahl der hier zu erbringenden Stellen mit der 1/5-Regelung weiter steigt - in den Jahren 2006-2009 wird mit mindestens weiteren 1.800 vermittlungsbedürftigen Personen zu rechnen sein - wird es immer schwieriger werden, Versetzungen zu erreichen.
Ergebnis: die Job-Börse löst den Stellenumbau/Stellenabbau nicht ansatzweise.

Krasseste Verlierer sind die Arbeiter – Stand 11/05: 372, wegen begrenzter Verwendungsmöglichkeiten. Das Innenministerium räumt selbst ein, dass dies zu einer gravierenden Belastung für die betroffenen Dienststellen werden könnte. Das Innenministerium empfiehlt in einem Bericht an die Staatskanzlei vom 30.12.05, man müsse Ausscheiden durch Abfindungen vor Erreichen der Regelaltersgrenze praktizieren.

Damit würde für den Arbeiter- (und Angestelltenbereich) das System der im Beamtenbereich angewendeten § 109er – Regelung übertragen bzw. fortgesetzt werden. Mit Hilfe der 109er – Regelung haben Sie bisher tatsächlich nach eigener Aussage 746 Stellen abgebaut. Die Kostenersparnis aus diesen 746 Stellen beziffert sich nach eigener Aussage auf 8,455 Mio. Euro. Dies ist eine - im Verhältnis zum Verlust an überwiegend hochqualifizierten Arbeitsplätzen - miserable Bilanz. Nimmt man noch die sehr hohe Anzahl an Ausnahmen in Bezug auf den seit 18.3. 2003 erlassenen Einstellungsstopp hinzu, nämlich 2.530 Fälle insgesamt, so muss man hier prognostizieren, dass Sie Ihr Ziel des Stellenabbaus in Höhe von 6.741Stellen bis 2009 nicht erreichen werden.

Regierungsvertretungen:

Zu Frage 1 führen Sie in der Antwort (Seite 41) folgendes aus: "Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Regierungsvertretungen sollen als Ansprechpartner für die regionalen Interessen dienen und die regionalen Innovationen und Aktivitäten vor Ort beobachten bzw.  unterstützen."

Selbst der ansonsten von Ihnen geschätzte Gutachter Prof. Hesse attestiert in einem Gutachten, dass diese Durchweichung der Verwaltungsstrukturen seines Erachtens kontraproduktiv sei. Es handelt sich ausweislich der konzeptionellen Beschreibung nicht um Verwaltungsbehörden, sondern um Moderationsteams. Auch das ist sicherlich eine wichtige Aufgabe. Aber die Landespolitik wäre stärker, wenn sie in den Regionen vor Ort mit konkreten Entscheidungszuständigkeiten vertreten wäre.

In Ihrer Antwort zu Frage 10 (Seite 47) sagen Sie, dass die Regierungsvertretungen im Bereich von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen die Kommunen in mehr als 1.200 Fällen beraten und unterstützt haben sollen. Mit Verlaub: diese Größenordnung erscheint für die Zeitdauer eines Jahres doch erheblich überzeichnet zu sein. Fragwürdig ist auch die Größenangabe für den Aufgabenbereich des öffentlichen Auftragswesens. Dort behaupten Sie, seien ca. 630 Nachprüfverfahren und/oder Beratungen durchgeführt worden.

Abschaffung Widerspruchsverfahren:

Die Justizministerin hatte am 10.11.2005 in der Beantwortung einer Großen Anfrage der SPD-Fraktion die Zahl der Verfahren bei den niedersächsischen Verwaltungsgerichten für das Jahr 2005 mit ca. 1.600 mehr als im Vorjahr prognostiziert, induziert durch die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens. Der Verwaltungsrichterverband hatte von geschätzten 4.000 Klageeingängen zusätzlich gesprochen. In der Antwort auf unsere Große Anfrage müssen Sie jetzt (Seite 38) einräumen, dass sich die Gesamtzahl aller Verfahren bei den niedersächsischen Verwaltungsgerichten in 2005 gegenüber dem Vorjahr um 5.226 erhöht hat.

Gleichwohl seien weitere Personalaufstockungen derzeit nicht geplant. Das bedeutet im Endeffekt, dass die Verfahrensdauer an den Gerichten steigen wird. Das bedeutet zugleich, dass die Klägerinnen und Kläger bzw. Antragstellerinnen und -steller länger auf eine Entscheidung warten werden müssen. Das ist weder im Sinne der Rechtswegegarantie des Artikel 19 Grundgesetz, noch im Sinne einer Kundenfreundlichkeit zu rechtfertigen.

Denkmalpflege:

Die Beantwortung unserer Fragen fasse ich folgendermaßen zusammen: Der Denkmalschutz wird vernachlässigt.
Nicht nur die Präsidentin des Landesamts für Denkmalschutz hat kürzlich (HAZ vom 15.5.06) vor dem Verfall des Kulturerbes in Niedersachsen gewarnt. Auch der niedersächsische Heimatbund hat bei der Übergabe der Roten Mappe beim 87. Niedersachsentag 2006 entsprechend kritisch Stellung genommen. Ihre Antworten spiegeln die geringe Wertschätzung und Vernachlässigung der staatlichen Denkmalpflege wider. Es ist schon bemerkenswert, dass eine konservative Landesregierung für den Erhalt historisch bedeutender Baudenkmale so wenig Interesse bekundet.

Die oberste Denkmalschutzbehörde – das MWK – scheint nach der Verwaltungsmodernisierung kaum noch Interesse am Thema zu zeigen. Sie vertraut den unteren Denkmalschutzbehörden, die im Zuge der Reform Kompetenzen übertragen bekommen haben. Sie ignoriert aber, dass den Kommunen kaum noch Fachpersonal für diesen Bereich zur Verfügung steht. Sie trägt zwar die Fachaufsicht formell und ist damit für die Einhaltung des Denkmalschutzes verantwortlich, scheint aber kaum Interesse an der Erhebung und Kontrolle von Maßnahmen, die Eingriffe in Kulturdenkmale betreffen, zu haben. Als Alibi dient die Anzeigepflicht beim niedersächsischen Landesamt für Denkmalschutz mit anschließender Unterrichtung des MWK in Fällen von Rechtswidrigkeit. Zeitgleich wird das Landesamt personell als auch finanziell ausgetrocknet.

Naturschutz/Umwelt:

Die Beantwortung unserer Fragen lässt sich auf folgenden Nenner bringen:
In der Wasserwirtschaft und im Naturschutz wurden durch die Verwaltungsreform Aufgaben auf die untere Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte verlagert, ohne dass es eine Kontrolle darüber gibt, wie diese Aufgaben jetzt wahrgenommen werden. Populär: Aus den Augen – aus dem Sinn!
Aufgaben werden heruntergegeben, um sie abzuwickeln, aber nicht wirklich zu verlagern.

Wenn alte Instrumente abgeschafft werden - und wir Grüne sind an dieser Stelle für viele Innovationen offen – dann müssen sie durch neue effektive und auch kostengünstige Instrumente ersetzt werden. Diese Landesregierung schafft aber nur  Altes ab, ohne es durch neue Ideen, neue Wege, neue Instrumente zu ersetzen.

Wir beobachten eine ALDIsierung des Umweltschutzes: Hauptsache billig.

Als Grüne setzen wir weiter auf Qualität – auch im Naturschutz. Wir wollen neue Formen – neue Wege – neue Instrumente im Umweltschutz. Diese Landesregierung bietet keine Innovation, sondern nur eine schlechte Qualität in neuer Verpackung.

Als ausdrückliches Ziel der Verwaltungsreform – im Zusammenhang mit dem Naturschutz - wird benannt, den "Kommunen eine eigenverantwortliche und flexible Aufgabenwahrnehmung zu ermöglichen und die Zusammenarbeit auf der Basis einer Kultur des Vertrauens zu pflegen." (S. 23) Fakt ist aber, so ist es den Antworten zu entnehmen, dass der Gesetzesvollzug – verlagert von den Bezirksregierungen auf die Kommunen - nicht mehr kontrolliert wird. Wenn man – neudeutsch und im Sinne einer bürgernahen Verwaltung nicht mehr von Gesetzesvollzug spricht, sondern von Zielerreichung – müssen wir klar feststellen, dass die Umsetzung der Ziele des Natur- und Umweltschutzes nicht mehr nachvollziehbar ist.

Vier Beschäftigte wurden im Zuge der Aufgabenverlagerung im Naturschutz an die Kommunen abgeordnet, eine Übernahme erfolgt "voraussichtlich zum 1.1.2007" (S. 21 oben). Wir bezweifeln, dass die Kommunen mit ihrem vorhandenen Personal die neu übertragenen Aufgaben in Naturschutz und Wasserwirtschaft wahrnehmen können.

Für ein Land, dass in starkem Maße seine Naturschönheiten touristisch vermarkten will, für ein Land, in dem der Tourismus eine erhebliche wirtschaftspolitische Bedeutung hat, ist die Vernachlässigung des Naturschutzes nicht nur ein Armutszeugnis, sondern auch wirtschaftspolitisch kontraproduktiv.

Bilanz:

In Ihrer Vorbemerkung zur Antwort sagen Sie: "Wir haben Verwaltungsstrukturen geschaffen, die bessere Ergebnisse bei kürzeren Bearbeitungszeit mit besserer Qualität und niedrigeren Kosten erbringen."

Diesen Beweis bringen Sie nicht. Niedrigere Kosten, das mag vielleicht stimmen. Nebenbei bemerkt kommt die Übertragung von Aufgaben an die Kommunen das Land wesentlich teurer als die Übertragung an Dritte und Private. Von besseren Ergebnissen bei kürzerer Bearbeitungsdauer kann nicht die Rede sein, zumindest versuchen Sie überhaupt nicht den Beweis anzutreten. Insoweit ist aus Ihrem magischen Viereck der Verwaltungsreform nur eines der entscheidenden Kriterien vermutlich bislang erfüllt. Ob es auf Dauer, nämlich bis zum Jahr 2009 realisiert sein wird, wagen wir begründet zu bezweifeln.

Insider der Landesverwaltung sagen: Verwaltungsreform, war da was? Allgemein macht sich der Eindruck breit, dass diese Reform jedenfalls nicht zu größerer Klarheit, zu besseren Dienstleistungen und zu schnellerer abgestimmter Kooperation im Hinblick auf das jeweilige Produkt geführt hat.

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