Rede Hans-Albert Lennartz: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung

...

Anrede,
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juli 2005 war eine schallende Ohrfeige für die niedersächsische Landesregierung.
Mit ihm wurde der Verfassungsbeschwerde eines Oldenburger Richters statt gegeben und die Möglichkeit der vorbeugenden verdachtsunabhängigen Telefonüberwachung gemäß §33a Abs. 1 Nr. 2 und 3 des Polizeigesetzes für nichtig erklärt.
In einem Kommentar in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 19.4.2005 unter der Überschrift "Gegenverkehr" hieß es: "An vielen Stellen der Regierungsarbeit werden Schwächen und Mängel sichtbar, die beseitigt werden müssen. Vieles ist der großen Eile in den ersten beiden Jahren der Regierung ... geschuldet. Die Minister fühlten sich wie im nächtlichen Geschwindigkeitsrausch auf einer leeren Autobahn: Bei der freien Fahrt in hohem Tempo hörte man Kritiker nicht, Bedenkenträger sah man nicht; es ging mit Vollgas voran. ... Dazu passt auch das von CDU und FDP im Landtag beschlossene neue Polizeigesetz, dass erstmals in Deutschland eine Telefonüberwachung Verdächtiger ohne konkreten Anlass erlaubt. Im vergangenen Jahr ist man im Reformeifer über Einwände hinweggegangen. Nun, nachdem in der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht erhebliche Einwände laut wurden, fallen die Mängel auf. Mutig wäre es, wenn die Regierung ein womöglich vernichtendes Urteil aus Karlsruhe gar nicht erst abwartet, sondern gleich die umstrittenen Vorschriften abändert."
Anrede,
Mut hat diese Landesregierung bisher nur bei Verstößen gegen höherrangiges Recht unter Beweis gestellt, sei es das Polizeirecht oder auch das Mediengesetz.
Da die Landesregierung diesen Mut nicht aufgebracht hat und nicht einmal jetzt schnelle Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu ziehen bereit war, ist der Antrag der SPD genau richtig platziert, wenn er fordert, unverzügliche Konsequenzen zu ziehen. Meines Erachtens geht er allerdings nicht weit genug. Denn im Lichte dieses Urteils vom 27. Juli sowie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 zum so genannten großen Lauschangriff müssten eine ganze Reihe weiterer Bestimmungen des Nds. SOG sowie des Gesetzes über den Verfassungsschutz einer Korrektur unterworfen werden.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im März 2004 hat meine Fraktion bereits im April letzten Jahres einen Antrag zum so genannten großen Lauschangriff eingebracht und die Änderungen nicht nur des §33a, sondern auch des §35 Nds. SOG und des §6 des Gesetzes über den Verfassungsschutz gefordert.
Dieser Antrag ist bis heute nicht abschließend im Innenausschuss beraten, sondern von CDU- und FDP-Fraktionen regelmäßig geschoben worden.
Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes war nach Aussage der Landesregierung §33a nur in wenigen Fällen angewendet worden, nach Aussagen von Staatssekretär Koller ausschließlich in solchen Fällen, in denen Verdächtige mit islamistischem Hintergrund abgehört wurden. Inzwischen ist bekannt, dass zumindest auch im Fall eines Göttinger Studenten, der als Anti-Atom-Aktivist verdächtigt wurde, eventuell Straftaten im Zusammenhang mit Castortransporten begehen zu wollen, Telefonüberwachungsmaßnahmen, aber darüber hinaus auch Observationen, durchgeführt wurden.
Wie unverhältnismäßig die Anwendung des §33 a in diesem Fall war, ergibt sich schon daraus, dass ein Strafverfahren gegen den Betreffenden nicht eingeleitet wurde.
Anrede,
wer jetzt allerdings Einsicht von Minister Schünemann erwartet, irrt. Vor wenigen Wochen hat er auf Nachfrage, welche Konsequenzen er aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ziehen wolle erklärt, "Wir brauchen die Telefonüberwachung zur Bekämpfung des Terrorismus." Damit ignoriert er die Feststellung des BVerfG, dass die vorbeugende Telefonüberwachung gegen das Fernmeldegeheimnis im Grundgesetz verstoße. Die verfassungswidrige Telefonüberwachung soll also offensichtlich durch Umformulierung gerettet werden. Hätte der Minister das Urteil des BVerfG zur Kenntnis genommen, so hätte er auf Seite 61 der Entscheidung folgendes lesen können: "Die Regelungen des §33a Abs. 1 Nr. 2 und 3 Nds. SOG sind danach mit Artikel 10 GG unvereinbar und nichtig. Hinreichende Möglichkeiten einer einengenden Auslegung zur Vermeidung des Verfassungsverstoßes bestehen nicht. Eine Rechtfertigung, die Normen auch nur teilweise weiterhin anzuwenden ist nicht erkennbar."
Interessanterweise haben wir von der FDP nach dieser Aussage des Innenministers keine korrigierende Erklärung gehört. Die FDP hatte das Polizeigesetz bekanntlich mit beschlossen.
Es war schon ein tolles Stück, als der Fraktionsvorsitzende Phillip Rösler nach dem Urteil erklärte, er sei erfreut, dass eine von seiner Fraktion mitbeschlossene verfassungswidrige Regelung vom Gericht gestoppt worden sei. Noch paradoxer wird das Verhalten der FDP allerdings, wenn die selbsternannte Bürgerrechtspartei, die vor Verabschiedung des Polizeigesetzes von ihrer Bundestagsfraktion gewarnt worden war, nicht einmal jetzt Klartext redet, sondern mit Hilfe der Floskel, man prüfe das Urteil des BVerfG sorgfältig, über die Bundestagswahl am kommenden Sonntag hinweg kommen will. Wer für seine Wahlentscheidung am Sonntag bei der Bundestagswahl wissen will, wie eine schwarz-gelbe Bundestagsmehrheit funktionieren würde, muss sich nur in Niedersachsen umschauen. Die FDP lässt sich am Nasenring durch die politische Arena ziehen.
Sie opfern die eindeutige Verfassungslage der Koalitionsdisziplin und sind nicht einmal jetzt in der Lage die Aussage von Generalstaatsanwalt Range aus der Anhörung des Innenausschusses für sich zu akzeptieren, dass die Regelungen des §33a in jeder Hinsicht kontraproduktiv und rechtlich unhaltbar seien.
Meine Damen und Herren,
es gibt nur eine Lösung: Nicht umformulieren, sondern ersatzlos streichen.

Zurück zum Pressearchiv