Rede Hans-Albert Lennartz: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes

 

Anrede,

es geht um das Spannungsverhältnis zwischen dem Grundrecht einer vertraulichen Kommunikation und den Eingriffsbefugnissen der Polizei, die zunehmend mit der Gefahr terroristischer Bedrohung begründet werden.

Die 15.Wahlperiode des Niedersächsischen Landtages endet im Bereich der Polizeigesetzgebung so, wie sie 2003 begonnen hatte. Damals hatte der Landtag mit Mehrheit eine Änderung des Niedersächsischen Gefahren Abwehrgesetzes (NGefAG) beschlossen. Das Gesetz wurde zum Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (NSOG) umfirmiert und eine Reihe von erweiterten Eingriffbefugnissen der Polizei geschaffen. Zur Erinnerung nenne ich nur die Wiedereinführung des Ordnungsbegriffs, die Möglichkeit einer Verlängerung der Ingewahrsamnahme, die Möglichkeit einer vorbeugenden Telefonüberwachung, ohne dass bereits ein konkreter Tatverdacht besteht. Bezogen auf diese Norm hat das Bundesverfassungsgericht im Juli 2005 auf die Verfassungsbeschwerde eines niedersächsischen Richters hin den Paragrafen 33a des Niedersächsischen Gesetzes über die Öffentliche Sicherheit und Ordnung teilweise für nichtig erklärt. In dieser Entscheidung hat es seine Rechtssprechung zum sogenannten Großen Lauschangriff vom April 2004 fortentwickelt. Beide Urteile stellen Grundsätze auf, die Korrekturen über die Bestimmungen des Paragrafen 33a zur vorbeugenden Telefonüberwachung hinaus erfordern. Mit unserem Gesetzentwurf, der am 22. März 2006 erstmals beraten wurde, hatten wir Konsequenzen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes für das Polizeigesetz und das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz gezogen.

Über ein Jahr später, nämlich am 29. Mai 2007, hat die Landesregierung endlich einen aus ihrer Sicht angemessenen Entwurf zur Änderung des Polizeigesetzes - nicht aber des Verfassungsschutzgesetzes - ins parlamentarische Verfahren eingebracht.

Wir stellen fest, dass die Landesregierung und die Fraktionen von FDP und CDU aus den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes nicht lernen wollen. Beispielsweise sollen in Zukunft nach dem Willen der Landesregierung selbst bei Bagatelldelikten polizeiliche Überwachungsmaßnahmen in Niedersachsen zulässig sein, und nicht nur wenn es um die Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung geht.

Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hatte in seiner Vorlage 8 dazu ausgeführt: "Bei einem Teil dieser Maßnahmen bestehen Zweifel, ob die Rechtssprechung sämtliche aufgeführten Straftaten für ausreichend gewichtig halten wird, um den damit verbundenen Eingriff in die Privatsphäre zu rechtfertigen, z.B. bei der Observation, dem Einsatz technischer Mittel und der öffentlichen Bekanntgabe ”¦" (Seite 8).

Im Bereich der vorbeugenden Telefonüberwachung nach § 33a soll das Abhören nur dann untersagt sein, wenn das abzuhörende Gespräch sich "ausschließlich" um private Lebenssachverhalte der Gesprächspartner drehe. In seiner Entscheidung zum Großen Lauschangriff von 2004 hatte das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass Abhörmaßnahmen dann zu unterbrechen oder gar zu beenden seien, wenn der Kernbereich privater Lebensgestaltung Gegenstand des abgehörten Gesprächs sei. Mit der jetzt gefundenen einschränkenden Formulierung von "ausschließlich" gehen die Landesregierung und die Fraktionen von CDU und FDP erneut das rechtliche Risiko einer nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes entsprechenden Regelung ein.

Dies ist umso bemerkenswerter, als dass die FDP-Fraktion nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2005 bedauerte, das Polizeigesetz mit beschlossen zu haben und gleichzeitig Besserung für die Zukunft gelobte.

Angesicht ihres erneuten Kotaus vor den Hardlinern der CDU sollte jedenfalls die niedersächsische FDP in Zukunft darauf verzichten, sich als Bürgerrechtspartei zu bezeichnen. Das nimmt Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, niemand mehr ab.

Anrede,

eine Reihe weiterer Bedenken seien nur kurz angesprochen:

In § 32 Abs.3 wird die Befugnis der Polizei zur Datenerhebung durch den Einsatz technischer Mittel (Videoaufzeichnungen) ausgedehnt auf Objekte, für die tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dort terroristische Straftaten begangen werden sollen. Abgesehen davon, ob für die Befugnis zur Videoüberwachung überhaupt eine Gesetzgebungskompetenz des Landes besteht, ist insbesondere fraglich, ob die zitierte Bestimmung die Gebote der Normenklarheit und Normenbestimmtheit achtet.

Umstritten bleibt schließlich die in § 22 Abs.4 vorgesehene Zwangstestung unter anderem von HIV-Positiv-Personen. Während die Aids- Hilfe im Rahmen der Anhörung diese Befugnis der Polizei, HIV-Positiv-Verdächtige durch einen Arzt oder eine Ärztin auch gegen ihren Willen testen zu lassen, als Diskriminierung dieser Personengruppe ansieht, legt die Landesregierung erheblichen Wert auf die Möglichkeit dieser Kontrolluntersuchungen. Angesichts der Tatsache, dass die Inkubationszeit bei diesem Krankheitsbild circa drei Monate beträgt, kann es also trotz entsprechender Tests im Ergebnis dazu kommen, dass eine entsprechende Feststellung nicht erfolgt, obwohl die Person mit HIV infiziert ist. In solchen Fällen würde der Zwangstest also gar kein Ergebnis bringen.

Ein letzter konkreter Punkt ist die in letzter Sekunde seitens der CDU und der FDP eingebrachte Änderung des § 90 Abs. 2. Mit dieser Änderung soll die Eingliederung der Polizeiinspektionen Cloppenburg und Vechta in die Polizeidirektion Oldenburg und die Eingliederung der Polizeiinspektion Wittmund in die Polizeidirektion Osnabrück zum 1.4.2008 realisiert werden.

Diese Entscheidung resultiert aus seit längerem anhaltender Kritik an der bisherigen Zuständigkeitsreglung.

Diese Neuregelung mag im konkreten Fall sinnvoll sein. Offensichtlich dient sie aber angesichts des Tempos, mit dem sie jetzt plötzlich realisiert werden soll, nur dazu, vor der Landtagswahl Unruhe zu dämpfen, obwohl sie doch neue Unruhe und Irritation auslöst.

Es wäre sicher besser, im kommenden Jahr eine Bilanz der durch die Polizeireform geschaffenen organisatorischen Strukturen und regionalen Zuständigkeiten zu ziehen und dann an all den Stellen, wo Schieflagen bzw. Ungleichgewichte existieren, Korrekturen vorzunehmen, statt jetzt im Schnellschussverfahren nur die offensichtlich umstrittensten zu korrigieren.

Anrede,

man muss die Neufassung des Niedersächsischen Polizeigesetzes aber auch in Zusammenhang stellen zu den Maßnahmen der inneren Sicherheit, die bundesweit aktuell beschlossen wurden beziehungsweise in der Diskussion sind. Am vergangenen Freitag hat eine Mehrheit aus CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag der Vorratsdatenspeicherung zugestimmt. In Zukunft werden alle Verbindungsdaten bei Telefonaten, bei der Versendung von SMS und Emails flächendeckend für 6 Monate gespeichert werden müssen. Dadurch wird die Erstellung von Bewegungsprofilen möglich. Noch 2004 hatten sich alle Fraktionen des Bundestages einstimmig gegen eine verpflichtende Datenspeicherung auf Vorrat ausgesprochen. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wird zurzeit vor dem Europäischen Gerichtshof angriffen. Es hätte also keine Notwendigkeit gegeben, als eines der ersten Länder die Richtlinie umzusetzen. Zumindest hätte das Gesetz eine Klausel beinhalten müssen, wonach die Vorratsdatenspeicherung automatisch außer Kraft tritt, wenn der Europäische Gerichtshof die zugrunde liegende Richtlinie für nichtig erklären sollte.

Wir lehnen die Vorratsdatenspeicherung kategorisch ab, wir lehnen aber auch ein niedersächsisches Polizeigesetz ab, was die Eingriffsbefugnisse der Polizei zu Lasten der Bürgerrechte im Widerspruch zu den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Prinzipien des Grundrechtsschutzes überzieht.

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