Rede Gabriele Heinen-Kljajic: Kluge Investitionen in kluge Köpfe – mehr Geld für die Hochschulen – weniger Kosten für die Studierenden!

Anrede,

es gibt zur Zeit nur wenige Themen, bei denen Anspruch und Wirklichkeit dieser Landesregierung so weit auseinander liegen wie in der Hochschulpolitik. Während mit blumigen Worten die Wissenschaftsgesellschaft beschworen wird und der Anstieg der Akademikerquote in Sonntagsreden zum Staatsziel erhoben wird, beschreibt die Wirklichkeit ein anderes Bild. An unseren Hochschulen fehlen Studienplätze, die Studiengänge sind mit unzureichender Lehrkapazität ausgestattet und Studierende aus hochschulfernen Schichten sind deutlich unterrepräsentiert. Die staatlich aufgebrachten Mittel pro Studienplatz sinken und in Sachen Studierendenquote bleiben wir weiterhin bundesweit abgeschlagen, ganz zu schweigen von dem wirtschaftlichen Schaden, der diesem Land dadurch entsteht, dass Niedersachsen trotz Fachkräftemangel mit bundesweit höchster Studenten-Exportquote Jahr für Jahr 27.000 potentielle Akademiker an andere Bundesländer verliert.

Diese Bilanz, meine Damen und Herren von CDU und FDP, macht deutlich, dass Sie bildungspolitisch gescheitert sind. Sie haben bei der Föderalismusreform den Mund zu voll genommen. Von wegen Bildungsföderalismus: Ohne Bundesmittel würde in der Hochschulpolitik in Niedersachsen nichts mehr laufen. Schlimmer noch: die Effekte die mit Bundesprogrammen erreicht werden sollen, konterkarieren Sie mit landespolitischen Maßnahmen.

Anrede,

wenn der Hochschulstandort Niedersachsen wieder wettbewerbsfähig werden soll - und dazu gehört vor allem das Aufbrechen der sozialen Ungleichheit beim Zugang zur Hochschule - dann brauchen wir unverzüglich eine Kurskorrektur. Wir haben mit unserem vorliegenden Antrag versucht, die unmittelbar haushaltswirksamen Eckpfeiler eines solchen Kurswechsels zu benennen, wohl wissend, dass dies nur Eckpfeiler sind und der erforderliche Maßnahmenkatalog damit nicht erschöpft ist. Das heißt auch, dass es aus grüner Sicht mit einem simplen "alles für alle umsonst" à la Gesetzentwurf der Linken genauso wenig getan ist, wie mit der Strategie der Landesregierung, Haushaltslöcher mit dem Geld von Studierenden zu stopfen.

Lassen Sie mich zu den einzelnen Punkten unseres Antrages kommen.

Die Hauptkritik aller Studien zur deutschen Bildungspolitik bezieht sich auf den so genannten Bildungstrichter, der beschreibt, dass Bildungschancen vererbt werden. Sie kennen die Zahlen längst: 83Prozent aller Akademiker-Kinder nehmen ein Studium auf, aber nur 23Prozent der Kinder aus Nichtakademikerfamilien.

Die Frage, warum dieser Trend trotz Bildungsexpansion und trotz einem gewachsenen Anteil an AbiturientInnen nicht gebrochen werden konnte, beantworten alle Studien übereinstimmend: Nichtakademische Familien schätzen die Erfolgschancen eines Studiums schlechter ein. Das betrifft sowohl die Bewältigung des Studiums, als auch die Dauer des Studiums, als auch die spätere Renditeerwatung im Berufsleben. Umso mehr scheuen sie logischerweise das Risiko der Kosten eines Studiums. Die Tatsache, dass in keinem anderen OECD-Land die durchschnittlichen Einkommensunterschiede zwischen einem Akademiker und einem Fachangestellten so gering sind wie in Deutschland, verstärkt diesen Trend. Das duale Berufsausbildungssystem ist für die Kinder dieser Familien schlicht eine kostengünstige und attraktive Alternative.

Was heißt das jetzt für Niedersachsen: wir liegen im nationalen Vergleich mit einer Studienanfängerquote von nur knapp 27Prozent bei einem Bundesdurchschnitt von 35Prozent weit abgeschlagen auf Platz 12; international liegt der OECD Durchschnitt bei 56Prozent. Wenn wir diese Quote, wie von Union und FDP postuliert, auf 40Prozent Studienanfänger pro Jahrgang steigern wollen, dann meine Damen und Herren – das ist simple Mathematik – kann dieser Zuwachs nur aus den Gruppen kommen, die aus den genannten Gründen zur Zeit nicht an unsere Hochschulen gehen, obwohl sie die Zugangsvoraussetzungen dazu erfüllen.

"Da die Rekrutierungspotentiale aus den hochschulnahen Bildungsmilieus mit knapp 90Prozent so gut wie ausgeschöpft sind, müssen die zusätzlichen Studierenden, die Deutschland braucht, aus den hochschulfernen und einkommensschwächeren Schichten gewonnen werden, die vom derzeitigen System der Studienfinanzierung nicht ausreichend unterstützt werden." Dieser Satz, Herr Minister Stratmann, meine Damen und Herren von CDU und FDP, stammt aus einem Papier, das die Wirtschaftsverbände BDA und BDI gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft und dem Stifterverband der deutschen Wissenschaft verfasst haben. Sehen Sie es endlich ein, Ihnen sind die Kronzeugen für die Notwendigkeit von Studiengebühren längst abhanden gekommen – ziehen Sie daraus endlich Konsequenzen.

Es gibt nur eine Chance, mehr junge Menschen an die Hochschulen zu bringen: wir müssen Kindern aus hochschulfernen Elternhäusern ein attraktives Angebot machen, das ihnen die Angst vor den Risiken eines Studiums nimmt, statt ihnen mit Schulden nach dem Studium zu drohen. Ihr Festhalten an den Studiengebühren, werte KollegInnen von CDU und FDP, macht jede Erwartung auf eine höhere Studierendenquote zunichte.

Die jüngste HIS-Studie, die das Bundesforschungsministerium in Auftrag gegeben hat belegt, dass bis zu 4,4 Prozent  aller Studienberechtigten ausdrücklich wegen der Studiengebühren auf ein Studium verzichten. In Ländern, die Studiengebühren erheben, geben 22 Prozent der Jugendlichen, die noch kein Studium aufgenommen haben, an, dass sie dies wegen der Studiengebühren vermutlich auch in Zukunft nicht tun werden. Wer da noch leugnet, dass Studiengebühren keine abschreckende Wirkung haben, der hat den Schuss nicht gehört oder ist zu feige, einen strategischen Fehler einzugestehen.

Ihnen, meine Damen und Herren von CDU und FDP,  ist doch selbst inzwischen die geringe Inanspruchnahme der Studienbeitragsdarlehen von weniger als 5 Prozent nicht mehr geheuer.

Diese Zahl belegt eindeutig, dass die Aufnahme eines Studiengebührendarlehens mit variablem Zinssatz offenbar als zu riskant angesehen wird.

An dieser Bilanz ändert auch der Anstieg der Zahl der Studienanfänger seit Einführung der Studiengebühren nichts. Der ist nämlich auf einen zeitgleichen Anstieg der Abiturienten zurückzuführen. Und der war höher als der der Studienanfänger, was zeigt, dass das soziale Ungleichgewicht weiter zunimmt. Und wenn Sie an dieser Rechnung zweifeln, dann schauen Sie einfach ins Land, wo heute zigtausende von Schülern auf die Straße gehen, um unter anderem auch gegen Studiengebühren zu demonstrieren und Sie bekommen eine zahlenmäßige Vorstellung von den Menschen, die Studiengebühren als Hürde bei der Aufnahme eines Studiums ansehen. Schaffen Sie die Studiengebühren für's Erststudium endlich wieder ab und sorgen Sie für eine Gegenfinanzierung mit Landesmitteln.

Ihr jüngst ersonnener Vorschlag, Kleinst-Stipendien in Höhe der Studiengebühren zu vergeben, wird das Dilemma einer Risikoabschätzung zu Gunsten einer klassischen Berufsausbildung nicht lösen. Zum einen ist es ein Skandal, dass Sie die Studierenden selbst zu einem großen Teil über das Gebührenaufkommen für die Finanzierung ihrer Stipendien aufkommen lassen. Zum anderen können Stipendien in Konkurrenz zu einer Ausbildung im dualen System nur dann attraktiv sein, wenn Sie die gesamten finanziellen Nachteile der Ausbildung aufwiegen. Deshalb fordern wir ein Programm, dass jährlich wenigstens 1.000 Vollstipendien an leistungsstarke aber einkommensschwache Studierende vergeben kann, die die gesamten Kosten des Studiums abdecken.

Wer die Lebenshaltungskosten eines Studiums senken will, muss zudem für eine ausreichende Finanzierung der Studentenwerke sorgen. Damit die die gestiegenen Lebensmittel- und Energiekosten nicht an die Studierenden weitergeben müssen, muss ihre Finanzhilfe um 10Prozent aufgestockt werden.

Ein weiterer Grund für das Fernbleiben von den Hochschulen, auch das belegt die HIS-Studie, ist die Sorge, dass das Studium zu lange dauert, man den Anforderungen nicht gewachsen ist oder man das Studium wohlmöglich abbrechen muss. Auch diese Sorge ist angesichts von Abbrecherquoten, die gerade bei den Ingenieur- und Naturwissenschaften zum Teil bei bis zu 40Prozent und höher liegen, nicht eben unbegründet. Deshalb brauchen wir eine Verbesserung der Studienbedingungen.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, heute hingehen und Geld in einen Studienplatzausbau investieren, der in Bezug auf die Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und  Studierenden die ohnehin prekäre Situation an unseren Hochschulen zuspitzt, dann produzieren Sie die Abbrecher von morgen. Damit bringen Sie junge Menschen nicht nur um ihre Bildungschancen und verpulvern Steuergelder, sondern Sie senken die Attraktivität eines Studiums weiter ab, statt sie zu steigern. Auch in Sachen Hochschulfinanzierung ist ein Kurswechsel  daher unumgänglich.

Die Hochschulrektorenkonferenz und der Wissenschaftsrat beziffern einen notwendigen Aufwuchs des Lehrpersonals um 15Prozent auf 12,7 Mrd. € bis 2014. Das wären für Niedersachsen in den nächsten fünf Jahren im Schnitt pro Jahr 200 Mio. € zusätzlicher Hochschulmittel. Wohl wissend, dass wir diese Summe nur gemeinsam mit dem Bund stemmen können, haben wir für 2009 hierzu zusätzliche 50 Mio. € angesetzt.

Herr Minister Stratmann, bieten Sie dem Finanzminister endlich die Stirn. Alle Wirtschaftsverbände und alle Fachexperten prognostizieren für die kommenden Jahre trotz Konjunkturabschwung einen dramatischen Anstieg des akademischen Fachkräftemangels. Wenn bei rückläufigen Aufträgen und zunehmendem Wettbewerb zukünftig auch noch die gut ausgebildeten Fachkräfte fehlen, die den Qualitäts- und Innovationsvorsprung unserer Volkswirtschaft gewährleisten, dann war's das mit dem Exportweltmeister und die Binnennachfrage wird zurückgehen, weil weniger Geld zum Ausgeben da ist.

Die von uns geforderten Bildungsausgaben sind eine Herausforderung, die mutige Umschichtungen auf der Einnahmen- wie der Ausgabenseite nötig machen, die nicht immer einfach zu verkaufen sein werden. Aber im Vergleich zu den Belastungen,

die bei anhaltend niedriger Akademikerquote auf den Landeshaushalt zukämen, sind die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen ein Griff in die Portokasse.

Werte KollegInnen von den Regierungsfraktionen, ihre Hochschulpolitik ist bildungsökonomisches Harakiri. Machen Sie diesem Kurs endlich ein Ende, sonst werden Demonstrationen wie heute zum politischen Alltag. Dann heißt es in Zukunft nicht nur Schüler, Eltern, Lehrer und Studenten demonstrieren gegen die Politik der Landesregierung, sondern auch der Arbeitgeberverband und der Bundesverband der Deutschen Industrie.

Uns würde das gefallen!

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