Rede Gabriele Heinen-Kljajic: Hochschuloptimierungskonzept - Erwiderung auf die Regierungserklärung

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Landtagssitzung am 29.10.2003
Gabriele Heinen-Kljajic, MdL

Anrede,
das so genannte Hochschuloptimierungskonzept (HOK) wird in keiner Weise den Anforderungen an eine zukunftsorientierte Hochschulplanung gerecht. Das HOK ist ein reines Kürzungsprogramm. Wichtige Fragen für die Perspektive der Hochschulpolitik bleiben offen. Zum Beispiel, wie viele Studienplätze werden in Niedersachsen benötigt, welche Bereiche sollen zum Zwecke einer Profilbildung ausgebaut werden, wie kann die Qualität in Lehre und Forschung verbessert werden. Was bedeutet Elitenförderung und wie kann die Position Niedersachsens im Wettbewerb verbessert werden.
Anrede,
das HOK ist Ergebnis völlig falscher politischer Prioritätensetzung durch diese Landesregierung. Die Kürzung von Bildungsausgaben ist kontraproduktiv. Sie wird zu Flurschäden führen, die das Land noch teuer zu stehen kommen werden.
Wir sind die letzten, die die Notwendigkeit von Einsparungen im Landeshaushalt bestreiten würden. Und auch wir sehen den Reformbedarf in der niedersächsischen Hochschullandschaft. Aber auf diese Problemlage mit drastischen Kürzungen zu reagieren, ist schlicht der falsche Weg.
Die OECD weist immer wieder auf den engen Zusammenhang zwischen der Zahl der Hochschulabsolventen und der Wirtschaftskraft eines Landes hin. Bildungsinvestitionen sind im wahrsten Sinne des Wortes Zukunftsinvestitionen. Und darum ist das HOK eine bildungspolitische Bankrotterklärung, denn es ist tatsächlich ein "Studienplatzabbauprogramm" und das in Zeiten volkswirtschaftlich ausdrücklich erwünschter steigender Studentenzahlen. Eine Restrukturierung der Kapazitäten ist sinnvoll, ein bloßer Abbau ist kontraproduktiv, weil er den Anforderungen einer modernen Wissensgesellschaft in keiner Weise Rechnung trägt.
Anrede,
der Verweis des Ministers, als Beleg für die Wertschätzung der Hochschulen innerhalb der Landesregierung, seien diese von den Kürzungen im Haushalt unterproportional betroffen, ist nichts als Augenwischerei. Er verschweigt, dass auch die Drittmittel, also Eigenleistungen der Hochschulen in die Berechnungen einbezogen wurden. Im Klartext heißt das, dass gerade die erfolgreichen Hochschulen die Dummen sind, denn sie werden überproportional von den Kürzungen betroffen.
Auch die Behauptung des Ministers, das HOK sei mit den Hochschulleitungen abgesprochen, stimmt nicht. Denn tatsächlich kritisieren die Präsidien landauf, landab die Kürzungsmaßnahmen, verweisen auf die Folgeschäden und beklagen, dass auch in exzellenten Studiengängen gekürzt werden muss, bei denen eigentlich laut Ministerium Stärkung und Profilbildung ansetzen müssten.
Es kommt einer Verhöhnung der Hochschulen gleich, wenn der im HOK enthaltene Zukunftsvertrag als Garant dafür verkauft wird, dass die Hochschulen von weiteren Kürzungsrunden ausgenommen werden. Bei einer Laufzeit bis 2007 müssen sich die Hochschulen bis einschließlich 2006 auf Stellenstreichungen einstellen. Zwölf Monate Zeit zum Luftschnappen als Zukunftsvertrag zu verkaufen, ist schon verwegen.
Anrede,
die Höhe der Einsparsumme in Kombination mit der Kürze der Umsetzungszeit wird die Hochschullandschaft nachhaltig schädigen:
Der hohe Personalkostenanteil von 80% an den Hochschulen lässt keinen Spielraum für das von Wissenschaftsminister Stratmann propagierte "intelligente Sparen". Die Hochschulen sind in Folge des HOK gezwungen, einfach jede frei werdende Stelle zu streichen. Hochschulentwicklung wird so zu einer Mischung aus Fluktuation und Demographie.
Dieser Fehlsteuerungseffekt wird dadurch verstärkt, dass die Stellenkürzungen an den einzelnen Fachbereichen in 2004 überhaupt nicht umsetzbar sind. Das heißt, die Kürzungssumme kann nur aufgebracht werden, indem eine flächendeckende Wiederbesetzungssperre verhängt wird. Die Konsequenz daraus heißt: Berufungsunfähigkeit für die nächsten Jahre. Die Folge: Niedersachsen wird im nationalen wie im internationalen Vergleich weiter absinken. Lehrstühle bleiben unbesetzt, renommierte Wissenschaftler werden nicht mehr nach Niedersachsen kommen, das Drittmittelaufkommen wird zurückgehen. Es wird eine Abwärtsspirale entstehen, die nur schwer wieder zurück zu drehen sein wird.
Anrede,
die Anwendung der dem HOK zugrunde gelegten vier Kriterien bleibt intransparent:
Die angeblich "systematische Betrachtung aller Hochschulen ... unter dem Gesichtspunkt der Qualitäts-, Effizienz und Effektivitätssicherung und -steigerung" wird bei Betrachtung der Kürzungsvorgaben klar widerlegt. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Kommission und der Zentralen Evalutations Agentue (ZEvA) werden zwar angeblich berücksichtigt, aber wo und wie, warum bei dem einen mehr, warum bei dem anderen weniger, bleibt das Geheimnis des Ministers.
Warum wird zum Beispiel in Göttingen, bei der Universität mit dem landesweit höchsten Renommee überproportional gekürzt, während weit weniger erfolgreiche Standorte wie Osnabrück und Oldenburg vergleichsweise glimpflich davon kommen?
Warum bleibt beispielsweise der Standort Vechta, trotz der katastrophalen Bewertungen durch ZevA und Wissenschaftliche Kommission, weitgehend verschont? Der Verweis auf die unverzichtbaren Kapazitäten in der Lehrerausbildung ist angesichts eines sinkenden Lehrerbedarfs schlicht nicht nachvollziehbar.
Warum wird in Hannover der Fachbereich Romanistik gestrichen, obwohl ein laufendes Evaluationsverfahren der ZEvA noch gar nicht abgeschlossen ist und Niedersachsen mit lediglich 3 Romanistik Seminaren ohnehin unter dem Bundesdurchschnitt liegt?
Warum werden Außenstandorte in der Fläche, nämlich Buxtehude und Nienburg, geschlossen, während man gleichzeitig den Wunsch aufrechterhält, wenn wieder Geld da sei, in Goslar einen neuen FH-Standort zu installieren?
Die Reihe wäre beliebig fortsetzbar. Und so lange dies so bleibt, bleiben wir bei unserer Meinung: Das HOK ist nicht mutig, sondern Interessen geleitet und inkonsequent.
Anrede,
Niedersachsen braucht eine transparente, bedarfsgerechte, an qualitativen Kriterien ausgerichtete Hochschulplanung. Voraussetzung für eine solche Hochschulplanung ist die Rücknahme der Kürzungsvorgaben. Wir wollen keine Kürzungen im Hochschulbereich. Meine Fraktion wird deshalb einen entsprechenden Änderungsantrag in die Haushaltsberatungen einbringen. Darin fordern wie zum Beispiel, die überzogenen Maßnahmen zur Inneren Sicherheit zu Gunsten der Hochschulen zurückzunehmen.
Das heißt aber nicht, dass wir keine finanziellen Fehlsteuerungen und Bedarf an Strukturreformen sehen. Das schließt die Infragestellung von ineffizienten und leistungsschwachen Standorten oder Fachbereichen ausdrücklich nicht aus. Diese Entscheidungen müssen jedoch in eine transparente und nachvollziehbare Hochschulentwicklungsplanung eingebettet sein.
Als Steuerungsinstrumente im Reformprozess fordern wir den konsequenten Einsatz qualitativer Steuerungselemente. Das meint neben den vorhandenen Zielvereinbarungen insbesondere die Indikatoren gestützte, leistungsbezogene Mittelvergabe, die gleichermaßen auf Universitäten und Fachhochschulen angewendet werden soll. Ausnahmen, etwa mit dem Ziel der Aufrechterhaltung bestimmter Fachangebote oder dem Ziel des Aufbaus so genannter Leuchttürme, müssen ebenfalls intensiv diskutiert werden.
Kurzfristig muss wegen steigender Nachfrage, kürzerer Studierdauer und der besseren Arbeitsmarktchancen die Anzahl der Studienplätze an Fachhochschulen erhöht werden. Die Differenzierung zwischen Universitäten und Fachhochschulen muss mittel- und langfristig bei ernst gemeinter Einführung von Bachelor und Master ohnehin entfallen.
Auch wir sind dafür, die Frage der Bildungsfinanzierung offen zu diskutieren. Schließlich sind es die Grünen gewesen, die mit dem BAFF (Bundesausbildungsförderungsfond) ein Reformmodell zur Studienfinanzierung vorgelegt haben. Auch wir fragen uns z.B. welche Instrumente wir den Kunden der Hochschulen, den Studierenden in die Hand geben können, um ihre Lernbedingungen zu verbessern. Wir werden allerdings misstrauisch, wenn das Thema Studiengebühren just dann Konjunktur erfährt, wenn die staatlichen Gelder zurückgefahren werden. Zu recht, wie die jüngsten Erfahrungen mit den Langzeitstudiengebühren zeigen: Außer Spesen für die Hochschulen nichts gewesen. Und daher beruhigt uns auch ihre formulierte Bedingung wenig, dass Studiengebühren keinen Rückgang der öffentlichen Zuwendungen nach sich ziehen dürften. Die Kürzungen nehmen Sie mit ihrem HOK ja bereits vorweg.
Wenn der Hochschulstandort Niedersachsen nicht ins Aus geraten soll, muss das vermeintliche Optimierungskonzept zurückgenommen werden. Wer eingesteht, dass das eigene Konzept keine optimalen Ergebnisse erwarten lässt, wer Bewertungskriterien aufstellt, die er nach eigener Aussage nicht konsequent angewendet hat, weil vorrangiges Kriterium die Umsetzbarkeit von Stellenstreichungen war, der sollte den Mut haben, die eigene Entscheidung rückgängig zu machen. Der angebliche haushaltspolitische Druck, unter dem hier Kapazitäts- und Qualitätsabbau stattfindet, kann, wie wir in unserem Haushaltsantrag darlegen werden, bei anderer politischer Schwerpunktsetzung auf andere Bereiche umgelenkt werden.
Herr Minister, auch Sie wissen: Das HOK hat mit einem Hochschuloptimierungskonzept nichts zu tun, sondern bedeutet nichts anderes als Hochschulen ohne Kohle.

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