Rede Gabriele Heinen-Kljajic: Haushalt 2008 – Wissenschaft und Kultur

 

Anrede,

zum Haushalt 2008 gilt bei CDU und FDP die Devise: Nach fünf Jahren Rückbau ist angesichts der anstehenden Wahlen Bilanzkosmetik angesagt. Daher haben auch all die Einzelposten, die Sie im vorliegenden Haushalt mit Wahlkampfgeschenken bedacht haben, mehr mit politischem Entertainment zu tun, denn mit zukunftsweisender Wissenschafts- und Kulturpolitik. Selbst Tarnen und Täuschen sind offenbar erlaubte Mittel Ihrer Wahlkampfstrategie, wie die gestrige Aktuelle Stunde gezeigt hat.

Die echten Zahlen entlarven dagegen: Die hochschulpolitische Bilanz nach fünf Jahren schwarz-gelber Landesregierung fällt eindeutig negativ aus. Von Beginn an hat Ihre Hochschulpolitik, Herr Minister Stratmann, darunter gelitten, dass Sie nie ein schlüssiges Konzept hatten. Sie sind gestartet mit einem so genannten Hochschuloptimierungskonzept, das den Hochschulen nicht nur 50 Mio. € pro Jahr entzogen hat, sondern jede Form kluger Hochschulplanung außer Kraft setzte. Sparauflagen und die natürliche Personalfluktuation diktierten Ihre so genannten Strukturmaßnahmen. So hinterlassen Sie nach fünf Jahren kein Bild einer Hochschullandschaft mit eigener stratmannscher Handschrift, sondern vom Finanzminister gerupfte Universitäten und Fachhochschulen, die den Mangel verwalten müssen.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie haben den Wissenschafts- und Forschungsstandort Niedersachsen nachhaltig geschwächt. Einer unserer größten Wettbewerbsnachteile ist die vergleichsweise geringe Zahl an Hochqualifizierten. Was läge da näher, als die Zahl der Studienplätze in ausreichendem Maße anzuheben. Doch obwohl Sie ausweislich des Abschlussberichtes der Enquetekommission Demographischer Wandel sehr wohl wissen, dass der Mangel an Hochqualifizierten in Niedersachsen besonders hoch ausgeprägt ist und uns in Zukunft in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen droht, haben Sie – frei nach dem Motto, Papier ist geduldig - genau das Gegenteil von dem gemacht, was sie selbst als Handlungsempfehlung beschrieben haben.

Bedingt durch die Kürzungen der Etats und die gleichzeitige Umstellung auf Bachelor und Master haben Sie seit Beginn ihrer Regierungszeit bis zum Wintersemester 06/07 fast 6000 Studienplätze abgebaut. In der Folge nahm logischerweise auch die Zahl der Studienanfängerinnen ab. Wir haben heute selbst nach dem jüngsten Anstieg immer noch 4.650 Studienanfänger weniger als 2003. Die Zahlen, mit denen Sie sich hier gestern Morgen noch gefeiert haben, wurden noch am gleichen Tag vom Statistischen Bundesamt widerlegt. Mitnichten sind Sie Spitzenreiter beim Anstieg der Studienanfänger. Sie liegen mit Ihrem Zuwachs von 7,6% gerade mal auf Platz 9 statt auf Platz 1. Mit einer Studienanfängerquote von 29,2% liegt Niedersachsen sogar abgeschlagen auf Platz 12.

Herr Minister Stratmann, das bedeutet, dass Sie selbst nach Start des Hochschulpaktes, der mit Hilfe von Bundesmitteln zusätzliche Studienplätze aufbauen soll, immer noch deutlich weniger Studienanfänger haben, als zu Beginn der Legislatur. Die im Hochschulpakt selbst gesetzte Zielmarge, 1.610 zusätzliche Studienanfänger im Vergleich zu 2005 zu schaffen, haben Sie in der ersten Runde um über 1.000 verfehlt. Ihnen fehlen also Zweidrittel der Studienanfänger, zu denen Sie sich im Hochschulpakt verpflichtet haben. Angesichts dieser Gesamtbilanz zu jubeln, ist entweder unverfroren oder aber eine dem Wahlkampfrausch geschuldete Bewusstseinstrübung. In beiden Fällen ist Ihre Sicht der Dinge nichts als Schönfärberei.

Wie Sie den doppelten Abiturjahrgang in 2011 auffangen wollen, diese Antwort sind Sie uns bis heute schuldig geblieben. Für diese jungen Menschen muss es eine ausreichende Zahl von Studienplätzen geben. Wer das Abitur nach der 12. Klasse einführt muss gefälligst auch für die Folgewirkungen gerade stehen. Der Hochschulpakt mit zusätzlich 11.200 Studienplätzen reicht nicht, wenn zusätzlich 25.000 Abiturienten die Schule verlassen. Bis heute warten wir auf ein konkretes Programm.

Zudem machen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen auch nach Überschreiten der demographisch bedingten Spitze einen Anstieg der Akademikerquote nötig. Wir haben deshalb als ersten Schritt für den kommenden Haushalt jenseits des Hochschulpaktes die Mittel für zusätzlich 3.000 neue Studienanfängerplätze eingestellt, die wir langfristig vorhalten wollen. Vor allem kalkulieren wir diese zusätzlichen Studienplätze mit den tatsächlichen Kosten.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP,

mit ihrem Kurs, mehr Studienplätze auf Kosten der Qualität des Studiums zu schaffen, fahren Sie in die bildungspolitische Sackgasse. Die zusätzlichen Studienanfängerplätze, die jetzt im Rahmen des Hochschulpaktes geschaffen werden sollen, sind nicht ausfinanziert. Im Mittel stellen Sie 4.260 € pro Studienplatz zur Verfügung, die Hochschulen fordern mindestens 7.300 €. Ein Großteil der zusätzlichen Kapazitäten wird dadurch ermogelt, dass die Betreuungsrelation zwischen Studierenden und Lehrenden an Fachhochschulen schlicht herabgesetzt wird. Und das in einer Situation, in der alle Fachleute, einschließlich Ihrer Parteikollegin, Bundesbildungsministerin Schavan, einhellig mahnen, dass wir dringend zusätzliche Investitionen in die Lehre brauchen. Wir haben deshalb insgesamt 5 Mio. € für die Verbesserung der Lehre in unseren Haushaltsantrag eingestellt.

Sie, Herr Minister Stratmann, sind genau den umgekehrten Weg gegangen. Obwohl Sie selbst bei Bachelor-Studiengängen ursprünglich immerhin 90% der Betreuungskapazitäten eines Diplomstudiengangs an Fachhochschulen für notwendig hielten, wollen Sie von dieser Einsicht plötzlich nichts mehr wissen und fahren auf 80% runter. Das tun Sie, weil Sie kein zusätzliches Geld in die Hand nehmen wollen, um die Zielmarge des Hochschulpakts zu erreichen. Aus dem gleichen Grund haben die Hochschulen die Auflage, bei der Umstellung auf Bachelor und Master keine weiteren Studienanfängerkapazitäten abzubauen. Das kann nur auf Kosten der Master-Kapazitäten gehen. Schon heute aber warnen sowohl die Hochschulen wie auch Ökonomen vor einem bevorstehenden Mangel an Master-Absolventen. Hier zeigt sich beispielhaft eine weitere Schwäche Ihrer Hochschulpolitik. Sie richten Ihre politischen Ziele immer nur danach aus, wie Sie kurzfristig über die nächste Hürde kommen, statt die langfristige Entwicklung des Standortes Niedersachsen im Auge zu behalten. Alle Planspiele zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, wie etwa die Idee einer Niedersächsischen Technischen Hochschule, werden keine Wirkung zeigen, wenn wir nicht eine Ausbildung auf höchstem qualitativem Niveau anbieten. Denn kluge Köpfe sind unser Kapital, also muss hierhin unser Geld fließen.

Vor diesem Hintergrund ist es mir übrigens auch völlig schleierhaft, wie man es begrüßen kann, wenn die VW-Stiftung, deren satzungsgemäßer Zweck die Förderung von Forschung und Wissenschaft ist, neuerdings, angesteckt von der zur Zeit grassierenden Schloss-Wiederaufbau-Manie, in Beton statt in Köpfe investiert. Statt sich an den Insignien untergegangener Herrschaftshäuser zu berauschen, wäre das Geld besser in die Bildung gesteckt worden.

Stattdessen werden Haushaltslöcher munter weiter mit Bildungslücken gestopft. Und wenn die Folgeschäden dann allzu groß werden, müssen halt die Studierenden selbst einspringen. Die müssen nicht nur Studiengebühren zahlen, sondern Sie müssen auch noch indirekt dafür aufkommen, dass sie vermeintlich sozialverträglich sind, indem aus ihren Gebühren Stipendien finanziert werden. Die Hochschulen müssen nicht nur den Ausfallfonds für die Studienkredite zahlen, sondern Sie müssen auch noch die Ausfälle durch Gebührenbefreiung auffangen.

Wenn Sie die steigende Zahl der Studienanfänger als Indiz dafür benennen, dass die Gebühren niemanden vom Studium abhalten, dann ist das Augenwischerei, die durch die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes eindeutig widerlegt wird. Die Bundesländer, die keine Studiengebühren eingeführt haben, haben deutlich höhere Zuwächse, die zum Teil fast doppelt so hoch sind, wie die in Niedersachsen. Ohnehin sind die Studienanfängerzahlen  nur in dem Maße gestiegen, wie die Zahl der Abiturienten angestiegen ist. Außerdem gab es zeitgleich im Nachbarland Sachsen-Anhalt einen doppelten Abiturjahrgang.

Fakt ist: Ihre Studiengebühren zementieren den Status quo und verstärken den Missstand, dass der Geldbeutel der Eltern noch immer entscheidendes Kriterium bei der Entscheidung über die Aufnahme eines Studiums ist. Indiz dafür ist auch die Tatsache, dass das Studiendarlehen kaum wahrgenommen wird. Wer aus einem Elternhaus stammt, das die Gebühren nicht zahlen kann, hat häufig am Ende des Studiums ohnehin schon BAföG-Schulden. Dieser Personenkreis wird seit Einführung der Gebühren nun im Vergleich zu den besser betuchten Studierenden doppelt bestraft, indem er entweder noch höhere Schulden als seine Kommilitonen in Kauf nimmt oder noch mehr nebenher verdienen muss. Das, meine Damen und Herren von CDU und FDP, ist soziale Ausgrenzung in Reinform, für die die Bundesrepublik jedes Jahr auf's Neue in OECD-Studien gerügt wird.

In der Kulturpolitik sieht Ihre Bilanz der letzten fünf Jahre nicht viel besser aus. Besonders die freie Kultur, die ein ungeheuer großes Maß an bürgerschaftlichem Engagement bindet und konkurrenzlos günstig eine kulturelle Grundversorgung in der Fläche sicherstellt, haben Sie durch radikale Kürzungen in ihrer Struktur nachhaltig geschwächt. Statt den Fachverstand der jeweiligen Verbände im Interesse einer qualitätsorientierten Weiterentwicklung der niedersächsischen Kulturlandschaft zu nutzen, haben Sie deren Kompetenzen und deren Angebotskatalog geschwächt. Das Modell der Beleihung in der Soziokultur wurde aufgekündigt, Vergabeentscheidungen jenseits von 10.000 € werden nur noch im Ministerium getroffen. In Sachen Zivilgesellschaft und Entstaatlichung sind sie in der Kulturpolitik den Roll-Back-Kurs gefahren. Welche Auswirkungen die Regionalisierung der Fördermittel durch die Landschaften hat, bleibt einer noch ausstehenden Evaluation vorbehalten. Den Verbandsstrukturen allerdings Ihr Säulenmodell aufzustülpen, darf schon heute als Flop bezeichnet werden. Von den versprochenen Synergien findet sich erwartungsgemäß keine Spur. Die Säulen waren kaum umgesetzt, da bröckelten sie auch schon, weil die ersten Verbände ausscherten oder in "Zusatzsäulen" untergebracht werden mussten. Bezeichnend für Ihr Kulturverständnis ist wohl auch der Umgang mit der Soziokultur im jetzt vorliegenden Haushalt. Fast überall wurde aufgesattelt, nur bei einem Projekt zum Thema demographischer Wandel, das gemeinsam mit dem MWK umgesetzt werden sollte, sahen Sie keine Möglichkeit der Finanzierung. Es reicht nicht, werte Kollegen von CDU und FDP, zum Thema Demographie tonnenweise Papier zu produzieren, man muss auch das, was auf dem Papier draufsteht, umsetzen, weshalb wir dieses Projekt auch in unserem Haushaltsantrag mit 500.000 € berücksichtigt haben. Zusätzlich haben wir 2 Mio. € für Modellprojekte zum Thema kulturelle Teilhabe eingesetzt.

Fazit nach fünf Jahren schwarz-gelber Wissenschafts- und Kulturpolitik: 

Sie haben keine Weichen für die Zukunft gestellt, sondern Sie haben den Zug auf offener Strecke liegen lassen und dann geplündert. Und nun versuchen Sie angesichts der anstehenden Wahlen durch Nachlegen von kleinen Schippen Kohle, eine Zuschusserhöhung hier, ein Sondertopf da, für die bessere Optik durch planlose Einzelaktivitäten den Anschein zu erwecken, als würden Sie den Zug langsam wieder in Gang setzen. Die Fakten belegen das Gegenteil.

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