Rede Gabriele Heinen-Kljajic: Aktuelle Stunde (CDU) Das größte Klassenzimmer der Welt- Ideenexpo
Anrede,
mit der dritten Runde der Ideen Expo konnten die Besucherzahlen auf 310.000 gesteigert werden. Das ist erst mal zweifelsohne eine respektable Bilanz. Ob allerdings in dem Maße, wie die Besucherzahlen nach oben gehen, auch die Bekämpfung des Fachkräftemangels vorankommt, zweifeln wir an.
Liebe Kollegen von CDU und FDP, sie sollten sich an der Stelle nicht in die Tasche lügen. Mehr Masse macht noch lange nicht mehr Klasse.
Das Konzept der Ideen Expo basiert auf der Überlegung, dass die Faszination technischer Innovationen junge Menschen dazu bewegen soll, eine technikorientierte Berufsausbildung anzuvisieren. Ob aber ausgerechnet eine Generation von Jungendlichen, die in ihrem Freizeit-, Kommunikations- und Konsumverhalten technikaffin ist, wie keine andere vor ihr, allein das einmalige Präsentieren des technisch Möglichen zum Umdenken in Sachen Berufsorientierung bringt, darf ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Nur weil ich in der Welt der Bits und Bytes zu Hause bin, werde ich noch lange kein Informatiker. Und so gut wie jeder findet es spannend, sich in einen Flug- oder Fahr-Simulator setzen zu dürfen, aber deshalb wird er sich noch lange nicht für ein Ingenieursstudium entscheiden.
Die eigentliche Stellschraube zur Behebung des Fachkräftemangels ist die Bildungspolitik. Was Sie hier abfeiern, werte Kollegen von CDU und FDP, ist ein kurzes Strohfeuer. Was wir brauchen ist eine grundsätzliche Reform des Bildungssystems, der Sie sich konsequent verweigern. Jahr für Jahr machen Ländervergleiche deutlich, dass Niedersachsen in einer Bundesrepublik, die insgesamt ihre Bildungspotenziale nur unzureichend ausschöpft, in allen wichtigen Parametern Schlusslichtpositionen belegt. Ob Kitaplätze, Studienanfängerquoten, ob Bildungshürden durch Studiengebühren oder Studierendenexportsaldo – überall ist die Bilanz für Niedersachsen negativ.
Aber genau das sind die relevanten Zahlen in Sachen Fachkräftemangel und nicht die Besucherzahlen einer alle zwei Jahre stattfindenden Ausbildungsmesse. Wer aus einer einkommensschwachen Familie kommt, hat überhaupt keine Chance gut bezahlte Fachkraft zu werden, weil er häufig bereits am Schulsystem gescheitert ist. Da liegt der Handlungsbedarf und nicht in der Ausrichtung medial gut verkaufbarer Technikshows. Schon der Ausbau von Berufsorientierungskonzepten an allen weiterführenden Schulen wäre an der Stelle effizienter. Aber vor allem brauchen wir eine Schule, die nicht schon nach der 4. Klasse festlegt, wo jemand später im Berufsleben landen wird.
Eine weitere Baustelle, die noch viel stärker in den Fokus gestellt werden müsste, ist die mangelnde Präsenz von Mädchen und jungen Frauen in technischen Ausbildungen.
Anrede,
der Fachkräftemangel ist weiblich. Obwohl Mädchen grundsätzlich in der Schule besser zurechtkommen als Jungs, schneiden sie im Schnitt in den MINT-Fächern schlechter ab. Untersuchungen belegen, dass sie sich im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften auch bei gleicher Kompetenz selbst deutlich weniger zutrauen als ihre männlichen Kollegen. Das setzt sich dann bei der Berufswahl fort. Mädchen haben ein deutlich engeres Berufswahlspektrum als junge Männer. Im Studium wie in der Berufsausbildung sind technische Ausrichtungen klar unterrepräsentiert.
Wir brauchen eine Reform der Lehramtsausbildung, die gerade in den MINT-Fächern stärker als bisher den Schwerpunkt auf Didaktik und Methodik legt. Mathe, Physik und Chemie müssen endlich geschlechterneutral unterrichtet werden, indem sie in der Aufgabenstellung stärker die Interessen und Themen von Jungen und Mädchen aufgreift. Wir brauchen Schulen, die jenseits starrer Curricula Freiräume und Kapazitäten für kreative Projekte bekommen, in denen Schülerinnen und Schüler die Anwendung von Technik als spannende Möglichkeit zur Lösung aktueller Probleme kennenlernen. Wir brauchen attraktive Weiterbildungsangebote für Erzieher und Lehrer, die wahrgenommen werden, weil sichergestellt ist, dass die Rahmenbedingungen an den Schulen auch tatsächlich eine effiziente Anwendung des Gelernten ermöglichen. Und wir brauchen bessere Betreuung an den Hochschulen um die Abbrecherquoten zu verringern.
Unser Fazit zur Ideen-Expo: Weniger Show und stattdessen ein Bildungssystem, bei dem potentielle Fachkräfte von morgen nicht auf der Strecke bleiben, weil Sie sich nicht das Scheitern Ihres mehrgliedrigen Schulsystems eingestehen wollen.