:Rede Gabriele Heinen-Kljajic: Abgabe einer Regierungserklärung zum Thema „Hochschulpolitik in Niedersachsen“

Anrede,

Herr Minister Stratmann, die heute abgegebene Regierungserklärung ist symptomatisch für Ihre Hochschulpolitik. Die zentrale hochschulpolitische  Herausforderung wird umschifft. Zum Ausbau der Kapazitäten und zur Öffnung des Zugangs - damit die steigende Zahl der Hochschulzugangsberechtigten eben nicht zum Problem, sondern zur Chance für dieses Land wird  - sagen Sie nichts. Kein Wunder, denn die schwarzgelbe Hochschulpolitik war von Anfang an unter der Knute des Finanzministers nicht dem Ausbau, sondern dem Rückbau verpflichtet.

  • Sie haben den Rückbau der Hochschulmittel betrieben
  • Sie haben den Rückbau der Studienplätze betrieben
  • Sie haben die Zugangsgerechtigkeit rückgebaut
  • und nicht zuletzt haben Sie mit der NHG-Novelle nun auch den Startschuss für den Rückbau der Hochschulautonomie und der Beteiligungsrechte gegeben.

So macht man Hochschulen nicht fit für den Wettbewerb. So verstärkt man stattdessen das Süd-Nord-Gefälle in der deutschen Hochschullandschaft.

Aber der Reihe nach:

Am Anfang stand bei Ihnen die Reduzierung der Mittel für den Hochschuletat im Rahmen des so genannten Hochschuloptimierungskonzepts HOK.
Kürzungen von 50 Mio. Euro hatten die ohnehin unterfinanzierten Hochschulen zu verkraften. Umsetzbar waren diese Kürzungen oft nur dort, wo die personelle Fluktuation Stelleneinsparungen möglich machte.
Schon das Verfahren macht also deutlich, dass es keinesfalls - wie der Name weismachen will - um Hochschuloptimierung ging.
Es ging nicht darum, in der niedersächsischen Hochschullandschaft strukturelle Schwächen zu beseitigen. Sondern es ging Ihnen darum, Herr Minister, ohne Rücksicht auf die Hochschulen möglichst schnell die Einsparvorgaben Ihres Kollegen aus dem Finanzministerium zu erbringen.

Und so führt das eine zum anderen. Denn wenn der Etat gekürzt wird, dann führt das zwangsläufig auch zum Rückbau der Studienplätze.
Unter Ihrer Regierungsverantwortung, Herr Minister Stratmann, sind innerhalb von nur vier Jahren 16 % der Studienanfängerplätze abgebaut worden.
Zum Teil ist dieser Rückgang direkte Folge des HOK bedingt durch wegfallende Studiengänge oder Reduzierung des kapazitätswirksamen Lehrpersonals.
Zum Teil ist dies aber auch die indirekte Folge der Umstellung auf Bachelor- und Master-Abschlüsse. Aufgrund des höheren Betreuungsaufwands hat der Wissenschaftsrat einen zusätzlichen Lehraufwand von bis zu 20% ermittelt.
Wenn in Niedersachsen dieser Mehraufwand nicht durch eine Mittelaufstockung aufgefangen wird, sondern im Gegenteil durch Mittelkürzungen konterkariert wird, dann bleibt den Hochschulen eben nichts anderes übrig, als in großem Umfang Studienplätze abzubauen.

Wie fatal die Auswirkungen dieser Entwicklung sind wird deutlich, wenn man sie im Licht der gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen betrachtet. Dabei sind zwei Bezugsgrößen relevant:
1. die demographisch bedingte Zunahme der Studierberechtigten inklusive des doppelten Abiturjahrgangs 2011 und
2. die volkswirtschaftlich notwendige Anhebung der Hochschulabsolventen.

Die genannten Rahmenbedingungen sind bis auf den doppelten Abiturjahrgang zugegebenermaßen nicht hausgemacht. Aber sehr wohl hausgemacht ist das Problem, dass Niedersachsen bisher die Chance verschlafen hat, die Hochschulen angesichts dieser Herausforderungen zukunftstauglich zu machen. Der politische Skandal liegt darin, dass Sie meine Damen und Herren von CDU und FDP die genannten Faktoren nach Vogel-Strauß-Manier schlicht ausblenden.

Schon heute ist Niedersachsen Schlusslicht, wenn es um die Versorgung der eigenen Landeskinder mit Studienplätzen geht. In Bezug auf die Abwanderung von Studierenden in andere Bundesländer sind wir Exportmeister.
58% aller Studienplätze an Universitäten und 89 % aller Fachhochschulplätze sind mit einem Numerus clausus belegt. Sie selbst Herr Minister erwähnen die Notwendigkeit des Ausbaus der Fachhochschulkapazitäten, den Sie ja wohl hoffentlich nicht als Billigmodell durch den Abbau von Universitätsstudienplätzen finanzieren wollen. Das MWK hat selbst in der Enquetekommission Demographischer Wandel einen mittelfristigen Mehrbedarf von 3000 Studienanfängerplätzen benannt. Und trotzdem ist ein Ausbau der Studienplatzkapazitäten weder im Zukunftsvertrag noch im Haushalt 2007 abgebildet und nur 12 Tage vor Ablauf der Verhandlungen um den Verteilungsschlüssel beim Hochschulpakt geben Sie eine Regierungserklärung ab, mit der schlichten Ansage "wir sind optimistisch, dass Niedersachsen seinen Anteil wird leisten können". Obwohl der Bund  nur dann den Ausbau von Studienplätzen finanzieren wird, wenn die Länder in gleicher Höhe in die Finanzierung mit einsteigen, gibt es weder bei den Regierungsfraktionen noch aus Ihrem Ministerium eine Ansage, mit welchem Angebot man in die Verhandlungen gehen will.

Herr Minister Stratmann, wenn Sie sich nicht endlich aus der Deckung wagen und aufzeigen, wie Sie die Hochschulen angesichts der anstehenden Herausforderungen unterstützen wollen, dann müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie die Hochschulen als zuständiger Minister im Regen haben stehen lassen.

Und Sie werden am Ende den unrühmlichen Beweis angetreten haben, dass einige Länder schlicht den Mund zu voll nahmen, als sie im Rahmen der Föderalismusreform die Zuständigkeit für Bildung und Wissenschaft als eine ihrer letzten Kompetenzen einforderten.

Kommen wir nun zum dritten Teil Ihrer Rückbaukampagne: der Beschneidung der Zugangsgerechtigkeit. Mit der Einführung von Studiengebühren ab dem Erststudium, Herr Minister Stratmann, laufen Sie Gefahr, den Hochschulen einen Bärendienst erwiesen zu haben. Das wird sich mittel- und langfristig als kontraproduktiv herausstellen, auch wenn die jetzigen Anmeldezahlen bisher keine gravierenden Einbrüche zeigen. Angesichts der steigenden Zahl der Abiturienten ist es kein Kunststück, die Zahl der Anmeldungen zu halten.
Was dagegen alarmierend ist, ist die geringe Inanspruchnahme der Darlehen.

Anrede,

weniger als 4% der Erstsemester haben einen Kredit bei der NBank beantragt. Als Vergleichsgröße: 25% aller Studierenden beantragen im Schnitt zu Beginn eines Studiums BAföG. Ob Studierende aus einkommensschwachen Familien noch stärker als bisher erst gar kein Studium aufgenommen haben, werden zukünftige Sozialerhebungen belegen müssen. Aber bereits jetzt ist klar, dass das Kreditrisiko, wie befürchtet, von den meisten Studierenden gescheut wird. Die von den Verfassungsrichtern eingeforderte Sozialverträglichkeit ist offensichtlich durch Kreditangebote nicht zu gewährleisten.
In der Folge ist zu befürchten, dass Studierende, deren Eltern die Gebühren nicht zahlen können, in Zukunft noch stärker als bisher auf eine Erwerbstätigkeit neben dem Studium angewiesen sind. Das wird die Studierdauer in der Tendenz verlängern und die Hochschulen unterm Strich teuer zu stehen kommen.
Oder die Jugendlichen nehmen erst gar kein Studium auf, was einerseits dazu führen würde, dass Abiturienten  Real- und Hauptschüler vom Ausbildungsmarkt verdrängen und andererseits die signifikante Steigerung der Absolventenquote in weite Ferne rücken würde.

So oder so hat das von dieser Landesregierung aufgelegte Studiengebührenmodell mit gerechtem Zugang zu Bildung nichts zu tun. Es ist eine Binsenweisheit, dass man eine gewünschte Öffnung der Hochschulen für mehr Studierende nicht dadurch erreicht, dass man die Zugangsschwelle höher legt. Ihr Studiengebührenmodell, meine Damen und Herren von CDU und FDP, rundet das Bild ab, das sich bereits bei Ihrer Schulpolitik als Leitlinie abgezeichnet hat. Sie arbeiten an einem Bildungssystem, das konsequent dem Prinzip des Selektierens verpflichtet ist; bei dem die soziale Herkunft eine deutlich stärkere Auswirkung auf die Bildungsbiographie hat, als die individuelle Befähigung.

Und nun zum letzten Punkt in der logischen Reihe des Stratmannschen Rückbau-Programms. Es geht um den Abbau der Hochschulautonomie und der  Beteiligungsrechte im Rahmen des Hochschulgesetzes.

Die Beratungen der NHG-Novelle boten an vielen Punkten das Schauspiel eines Rückzugsgefechts. Mehrmals mussten die Koalitionsfraktionen, den Einwänden der Hochschulen weichend, zurückrudern. Bisweilen wurde es tragikomisch, wenn man den geschätzten Kollegen Zielke von der FDP beobachtete, der nicht ganz unfreiwillig zum Kombattanten  einer Truppe wurde, die er selbst an der ein oder anderen Stelle gerne geschlagen hätte.
So gibt es bezüglich der NHG-Novelle eine gute und eine schlechte Nachricht.

Die gute zuerst:
In der jetzt beschlussreifen Vorlage ist von dem, was im ursprünglichen Entwurf des Gesetzes stand, glücklicherweise nur wenig übrig geblieben. Wenn uns bei der Einbringung zumindest von der CDU und vom Minister noch suggeriert werden sollte, es handele sich um ein für die Hochschulen wegweisendes Gesamtkunstwerk, so liegt uns jetzt nach der Anhörung und Beratung im Ausschuss nur noch eine arg gerupfte Version dessen vor, was ursprünglich geplant war.

  • Die Schwächung des Senats zugunsten des Hochschulrats bzw. Stiftungsrates,
  • die Streichung der Abwahlmöglichkeit des Präsidiums,
  • die Öffnungsklausel, dass Studentenwerke in Hochschulen aufgehen können
  • die Einführung des Straftatverdachts als Exmatrikulationsgrund

beim Gros der substanziellen Änderungen mussten CDU und FDP  nach der Anhörung zum Glück zurückrudern.

Und nun die schlechte Nachricht:
Das was vom ursprünglichen Entwurf noch übrig geblieben ist, ist an vielen Stellen ein Rückschritt im Vergleich zum bisher geltenden Gesetz.
Lassen Sie mich das an wenigen Beispielen erläutern:

Anrede,

die Novelle atmet den Geist des Misstrauens gegenüber den Hochschulen. Statt die mit dem geltenden Gesetz begonnene Stärkung der Hochschulautonomie fortzusetzen, wird die Entwicklung zurückdreht.
Zu diesem Punkt könnte ich mir eigene Ausführungen sparen und einfach nur die Rede des FDP Kollegen Zielke zur Einbringung des Gesetzes zitieren. Recht hat er gehabt, nur Recht bekommen hat er leider nicht. Bis auf die Beibehaltung des Rechts des Senates, Hochschulpräsidien abzuwählen, ist die CDU der berechtigten Kritik des Koalitionspartners nicht gefolgt.

Ich möchte das Beispiel Zielvereinbarungen aufgreifen.
Das Ministerium wird berechtigt, nicht nur bei der Schließung oder Einrichtung von Studiengängen mitzureden – was ja im Sinne der strategischen Planung der gesamten Hochschullandschaft Sinn macht - sondern selbst Änderungen von Studiengängen müssen jetzt mit dem MWK abgesprochen werden.
Auch in der Frage, wann das Ministerium Zielvorgaben einseitig erlassen kann, ist der Bezugsrahmen nicht mehr wie bisher die Landeshochschulplanung, sondern die Entwicklung der jeweiligen Hochschule selbst. So meine Damen und Herren von der CDU regelt man das Verhältnis zu einer nachgeordneten Behörde. Hier wird ein Stück Autonomie einkassiert, statt  sie zu stärken.

Selbst dort, wo man sich traut, die Tür zur Autonomie ein kleines Stück aufzustoßen, tut man dies halbherzig und behält dem MWK vor, die Selbständigkeit im Zweifel wieder einzukassieren. Ich rede vom Berufungsrecht der Hochschulen.
Das Berufungsrecht haben die Stiftungshochschulen als Kann-Option bereits im geltenden Recht. Diese Option hat sich bewährt. Aber statt sie nun konsequent zum Regelfall zu machen, bleibt man beim Status quo und schafft für die Hochschulen in staatlicher Trägerschaft lediglich den Ausnahmefall einer auf drei Jahre befristeten Berufungsbefugnis.
Also auch hier von Reformgeist keine Spur.

Richtiggehend rückschrittlich ist dieses Gesetz, meine Damen und Herren, wenn man sich den Umgang mit den Beteiligungsrechten anschaut.
Die Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen sind nur noch im Regelfalle hauptamtlich zu beschäftigen. Die Berücksichtigung ihres Votums bei Berufungsverfahren wird nur noch als Soll- statt als Ist-Regelung festgeschrieben und ihr wird schließlich die beratende Stimme im Hochschulrat entzogen.

Bemerkenswert ist an diesem Punkt,  dass alle Hochschulen mit den Regelungen im geltenden Gesetz durchweg positive Erfahrungen gemacht haben. Das heißt, es gibt keine Sachargumente. Wir haben es offensichtlich mit einem Rückfall in alte ideologische Grabenkämpfe zu tun, von denen viele geglaubt haben, sie seien beendet: Aber diese Landesregierung belehrt uns eines Besseren. Es ist makaber aber wahr: Ihre Politik, meine Damen und Herren von CDU und FDP, ist der schlagkräftigste Beweis dafür, dass wir eine möglichst breit angelegte gesetzliche Verankerung des Aufgabenprofils der Gleichstellungsbeauftragten brauchen.

Meine Damen und Herren,

unser Fazit zum NHG lautet: Statt die Hochschulen fit zu machen für einen Wettbewerb, in dem eigenverantwortliche Profilbildung und ein hohes Maß an Flexibilität zunehmend wichtiger werden, legen Sie den Hochschulen neue Zügel an.

Unter dem Strich lautet die Bilanz nach 4 Jahren Schwarzgelb: Sie machen in zentralen Fragen Hochschulpolitik von gestern und für gestern.

Es tut mir Leid, Herr Minister Stratmann, Sie kritisieren zu Recht die "Augen zu und durch Mentalität" und mahnen an, Probleme nicht nur frühzeitig zu erkennen, sondern auch zu handeln. Nach dieser Regierungserklärung bleibt die Frage, warum beherzigen Sie nicht ihre eigenen Ratschläge?

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