Rede Filiz Polat: Wendet die Landesregieung die Bleiberechtsregelung zu restriktiv an?

Anrede,

mit unserer Großen Anfrage "Wendet die Landesregierung die Bleiberechtsregelung zu restriktiv an?" wollen wir eine Zwischenbilanz ziehen. Seit gut einem Jahr gilt es, die gesetzliche sogenannte Altfallregelung in den Bundesländern umzusetzen.

Zweck dieser Regelung ist,

  • die Beendigung der Kettenduldungen;
  • die Erteilung eines sicheren Aufenthaltsstatus, um damit der ständigen Ungewissheit und Angst vor der Abschiebung ein Ende zu bereiten;
  • die Voraussetzungen für ein menschenwürdigeres Leben zu schaffen: arbeiten zu können ohne vorher um Erlaubnis zu bitten und ohne eine Vorrangprüfung zu durchlaufen. Eine Ausbildung machen zu dürfen, ohne vorherige Genehmigung der Behörden von Hannover nach Braunschweig fahren zu dürfen. Und auf Klassenfahrt fahren zu können, ohne vorher die Ausländerbehörde zu fragen.

Seit Jahren haben grüne Politikerinnen gemeinsam mit Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Gewerkschaften und Flüchtlingsorganisationen das Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge gefordert. Weil es einfach unmenschlich ist, den Menschen einen solchen Status über einen so langen Zeitraum zuzumuten.

Anrede,

wie viele Menschen leben in Niedersachen mit einer Duldung?

Ende 2006 lebten ca. 22.000 Geduldete in Niedersachen. Zweidrittel davon länger als acht Jahre; 7.000 Menschen bereits länger als zehn Jahre. Insgesamt leben unter den Geduldeten knapp 6.000 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren. Würde man die Zahl der unter 25-jährigen dazu zählen, käme man auf eine weit größere Zahl. 5.000 von ihnen sind hier geboren

Wie viele Senioren gehören zu diesem Personenkreis, die aus Ihrer Sicht, Herr Schünemann, uns zu Last fallen könnten?

Ende 2006 waren es knapp 300 Menschen, die in das Rentenalter eingetreten sind. 300 Menschen von knapp 8 Millionen Niedersachsen.

Meine Damen und Herren,

ich fasse zusammen:

Zweidrittel der Geduldeten leben länger als acht Jahre in diesem Land; viele länger als zehn Jahre. Die meisten von diesen Menschen sind jünger als ich und viele andere von Ihnen. Etwa 0,015 Prozent sind älter als 65 Jahre alt.

Was sagen uns diese Zahlen?

Ein besserer Altersdurchschnitt als in diesem Parlament? Nein. Sie verdeutlichen uns, dass dieser Personenkreis, der im Übrigen 0,25Prozent unserer Gesamtbevölkerung ausmacht, ein sehr junger und dynamischer Personenkreis ist.

Für eine alternde und schrumpfende Gesellschaft doch eigentlich wertvoll und wichtig.

Deshalb frage ich sie, Herr Schünemann: Wovor haben Sie Angst?

Ihre Antwort auf unsere Große Anfrage ist durchzogen von Pauschalverdächtigungen, Stereotypen und einem tiefen Misstrauen gegenüber diesen Menschen. Sie lassen Flüchtlinge wie faule Betrüger und Lügner erscheinen.

Ich frage Sie: Ist das Ihr christliches Menschenbild, das Sie prägt? Erschreckend.

Anrede,

ein immer wiederkehrender Glaubensatz durchzieht die Antwort der Landesregierung und scheint wie eine Missionsbotschaft dieses Innenministers über ihr zu schweben: Die "Zuwanderung in die Sozialsysteme". Damals nannten Sie Ihren Vorschlag noch "Daueraufenthalt bei Dauerbeschäftigung."

Mit dieser Botschaft ist Minister Schünemann mit Rückendeckung seines Ministerpräsidenten losgezogen und hat bis zuletzt auf allen Ebenen versucht eine gesetzliche Altfallregelung zu verhindern.

Da halfen nicht die Appelle von Caritas, Jüdischer Wohlfahrt, Diakonie –  nicht einmal Bischof Trelle konnte die Landesregierung und auch nicht die CDU-FDP-Mehrheit überzeugen, dass dieser Innenminister auf einer Irrfahrt ist.

Ich zitiere:

"Wir dürfen nicht alle Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen", appellierte noch im Oktober 2007 Bischof Trelle an Sie.

Herr Schünemann hat sich nicht umstimmen lassen. Er hat am Tag vor der Innenministerkonferenz im November 2006 den bereits ausgehandelten Kompromiss der Bundesregierung torpediert und gemeinsam mit seinem damaligen Amtskollegen Beckstein verhindert.

"Das wurde zu rot-grünen Zeiten von der CDU über den Bundesrat verhindert. Das werden wir wieder so machen", wetterte Herr Schünemann damals. Und Günther Beckstein kündigte gegenüber Spiegel online an: "Das ist mit mir im Konsens nicht zu machen."

Damit war die bundesgesetzliche Regelung gescheitert. Am Veto von Niedersachsen und Bayern.

Sie wollten keine Aufenthaltserlaubnis auf Probe.

Sie wollten nicht, dass die Menschen eine Chance bekommen mit einer Aufenthaltserlaubnis eine Arbeit suchen zu können, wenn sie noch keine vorweisen konnten.

Stattdessen mahnte Schünemann in der Taz am 16.11.2006, dem Tag der Innenministerkonferenz: "Die Flüchtlinge sollen erst das Aufenthaltssiegel erhalten, wenn sie bereits Arbeit vorweisen können. Das würde für viele Geduldete, die seit Jahren nicht arbeiten dürfen, den Rauswurf bedeuten."

Zu Recht hat der Niedersächsische Flüchtlingsrat dies als zynisch  bezeichnet.

Und der Innenminister hat im Bundesrat im Mai 2007 selber zu den Änderungen am Zuwanderungsgesetz bestätigt, dass die sogenannte Vorrangprüfung dazu führt, dass der Aufenthalt geduldeter Ausländer durch öffentliche Sozialleistungen finanziert werden muss: Es handelt sich dann doch wohl um ein hausgemachtes Problem.

Es geht beim Bleiberecht für die gesamten Altfälle nicht um die Einwanderung in die Sozialsysteme, sondern um die Auswanderung aus dem Sozialsystem.

Der niedersächsische Alleingang war deshalb mal wieder zum Scheitern verurteilt und die gesetzliche Bleiberechtsregelung konnte im letzten Jahr durchgesetzt werden - unter massivem Protest von Minister Schünemann.

Scheinbar haben Sie das nicht verkraftet und versuchen nun durch die Anweisungen an Ihre Ausländerbehörden, Ihre konservative Position dennoch durchzusetzen.

Ich möchte die restriktive Praxis in Niedersachsen an einigen Beispielen deutlich machen:

Beim Kirchenasyl wird die Flucht in die sakralen Räume eines Gotteshauses in Niedersachsen mit der Versagung des Bleiberechts geahndet.

Bei Familien mit Kindern hat das Bundesinnenministerium die besondere finanzielle Situation von Eltern erkannt und entsprechend in seinen Anwendungshinweisen zur Altfallregelung unter ausdrücklichem Verzicht auf Nennung zeitlicher Grenzen geregelt, dass es ausreicht, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Familie nicht dauerhaft ergänzende Sozialleistungen beziehen wird.

Das war Herrn Schünemann offenbar zu lasch.

Er verfügte in seiner Verwaltungsvorschrift, dass der Leistungsbezug nicht länger als sechs Monate dauern dürfe.

Das ist restriktiv, inakzeptabel und geht auch anders.

Herr Schünemann überholt damit mal wieder einige andere Bundesländer auf der härteren Schiene.

Bei der Berücksichtigung und Wertschätzung von Integrationsleistungen zeigen ebenfalls andere Länder den richtigen Weg auf. Dort sollen Flüchtlinge trotz zurückliegender Behinderung ihrer Rückführung im Hinblick auf ihre Integrationsbemühungen eine neue Chance erhalten. Und auch das Bundesinnenministerium schreibt die Abwägung von Integrationsleistungen mit vorhandenen Ausschlussgründen vor.

Dass eine solche Abwägung überhaupt möglich sein soll, wird in der niedersächsischen Vorschrift in diesem Zusammenhang unterschlagen; eine entsprechende von gutem Willen geprägte nähere Regelung leistet sich Niedersachsen nicht.

Bei dieser Anwendungspraxis verwundert es nicht, dass die in der Antwort der Landesregierung genannten Zahlen nicht begeistern können. Zunächst fällt auf, dass erstaunlich wenige Anträge gestellt wurden.

Nur 21,7Prozent der Geduldeten haben eine Aufenthaltserlaubnis nach der Länder- oder Bundesregelung bekommen. Ich möchte noch betonen, dass 80Prozent nach der Altfallregelung bis 31.12.2009 befristet sind und dann eine Verlängerung beantragt werden muss.

Viele Anträge wurden bereits abgelehnt. Die Gründe für die Ablehnung werden angeblich statistisch nicht erfasst.

Anrede,

meine Fraktion wird deshalb weiterhin im Rahmen unserer Bleiberechtstour unter dem Motto "Gekommen, um zu bleiben" der Praxis vor Ort auf den Grund gehen müssen. Wir werden weiterhin das Gespräch mit den Ausländerbehörden und Flüchtlingsinitiativen suchen. Die Erkenntnisse und Fakten, die man vor Ort bekommt sind deutlich erhellender als was sie uns hier abgeliefert haben.

Dennoch ist es wirklich unglaublich, dass dieser Minister versucht hat diese Besuche durch Anweisung an die Behörden zu verhindern.

Was wir vor Ort erfahren, werden wir demnächst zusammenfassen und veröffentlichen. Und ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Das wird spannend.

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