Rede Filiz Polat: Kinderrechte beachten, Familien schützen – Zusammenführung der Familie Siala-Salame

Landtagssitzung am 20.07.2012

Filiz Polat, MdL

Sehr geehrte Frau/Herr Präsident_in, meine Damen und Herren,

seit dem 15. Juli 2010 wurde die rechtsverbindliche Rücknahme-Erklärung bei der UN in New York hinterlegt.

Damit gilt Art. 3 Abs. 1 UN-KRK unbeschränkt, das heißt

"bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorgan getroffen werden, [ist ”¦] das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist". 

Es ist Pflicht und Aufgabe aller deutschen Behörden und Gerichte, dem Vorrang des Kindeswohls Geltung zu verschaffen.

Daran hat sich auch diese Landesregierung zu halten!

Anrede,

wir erwarten, dass dies endlich für die vielen Kinderflüchtlinge und auch abgelehnten Asylbewerber_innenkinder in Niedersachsen gilt.

Es ist schlimm genug, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen zum wiederholten Male ins Stammbuch schreiben musste, dass Sie seit 20 Jahren das Grundgesetz missachten.

Es ist unerträglich, dass Menschen in Deutschland seit 20 Jahren wissentlich unter dem verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimum Überlebensstrategien entwickeln müssen. 

Es ist unfassbar, das sie diesen Menschen unter diesen Umständen all zu oft, fehlenden Integrationswillen vorwerfen.

Dieses Gesetz ist eine Schande für Deutschland und nicht die Menschen! Das Asylbewerberleistungsgesetz - dieses Sondergesetz - gilt abgeschafft.

Diese verfassungswidrigen Lebensumstände müssen sie bei der Bewertung der Verwurzelung von Aslybewerber_innen und Geduldeten in Deutschland berücksichtigen und welche Geschichte die Familie mit sich trägt.

Ahmed Siala ist im Libanon kurz vor dem Krieg geboren. Er hat als Kind die "Hölle von Beirut" erfahren müssen, genauso wie seine Eltern und Gazale. Sie sind geflohen nach Deutschland – hier niemals als Flüchtlinge anerkannt worden – ähnlich wie tausende Kurden aus Syrien, die über Jahrzehnte geduldet wurden. Wo man heute doch feststellt, dass eine Anerkennung als Flüchtlinge doch wohl angebracht sei.

Sie werfen einem damals 6-jährigen die Täuschung der Identität bei seiner Einreise vor, das ist zynisch. Sie wissen, dass Ahmed im Libanon geboren wurde, Sie wissen, dass er die libanesische Staatsangehörigkeit besitzt und Sie wissen um die Willkür der Eintragungen von Angehörigen in die türkischen Registerauszüge. Sie wissen aber auch um den türkischen Registerauszug, der der Familie zum Verhängnis wurde und der mehrere Ungereimtheiten aufweist. Sie wissen, dass ein DNA-Test zu dem Ergebnis kommt, dass - um ein Beispiel zu nennen - ein auf dem Registerauszug genannter, angeblicher Bruder des Vaters kein Bruder sein kann.

Und dennoch werfen sie weiterhin die Täuschung vor.

Sie betonen die mangelnde Integration der Familie. Woran machen Sie das fest? Hauptschulabschluss statt Abitur; der Verstoß gegen das Fleischhygienegesetz, das mit 100 Tagessätzen geahndet wurde? Letzteres hat nicht einmal das Bundesverwaltungsgericht als Ausschlussgrund zur Bewertung der Verwurzelung von Ahmed in seiner Heimat Deutschland herangezogen. Im Gegenteil: das Bundesverwaltungsgericht hat eine Neubewertung der aussergewöhnlichen Härte aus humanitären Gründen eingefordert.

Unabhängig von der unterschiedlichen Auffassung der Opposition, tausender Menschen, die an dem Fall Anteil nehmen, vieler Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, der Kirchen, Menschenrechtsorganisationen, die zu diesem Fall Stellung genommen haben auf der einen Seite

und der Haltung der niedersächsischen Landesregierung und ihrer Fraktionen auf der anderen Seite, sollte für die Beratung im Ausschuss das Kindeswohl im Vordergrund stehen.

Deshalb möchte ich am Ende meiner Rede Dr. Seiters, Bundesminister a.D zitieren:

"Meine tiefe Sorge gilt vor allem den Kindern der Familie, die offenbar unter der Situation leiden müssen, bei der ich mich frage, ob der Gesetzgeber diese wirklich gewollt hat. Als Präsident eines Verbandes, der dem Grundsatz der Menschlichkeit verpflichtet ist, kann und will ich diesen Einzelfall nicht ignorieren, dessen Tragik vor allem darin besteht, dass die mit der Prüfung befassten Behörden aufgrund ihrer Vorgaben ebenso zu kinder- und familienfreundlicheren Entscheidungen hätten gelangen können und müssen. Genau an diesem Punkt sind, wie ich meine Politik und Verwaltung gemeinsam gefordert, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich Einzelfälle wie die der Familie Siala/Gazale nicht mehr wiederholen.

Ich würde mich sehr freuen, wenn eine Zusammenführung dieser Familie in Kürze zustande kommen könnte."

Dem ist nur noch hinzuzufügen: selbstverständlich nach Hause, nach Niedersachsen.

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