Rede Filiz Polat: Echte Härtefallkommission einrichten – Abschiebestopp anordnen

Anrede,

Wann ist ein Härtefall ein Härtefall? Wann wird ein menschliches Schicksal zu einem Härtefall?

Das ist die zentrale Frage, die nicht nur uns beschäftigt, sondern auch die vielen engagierten Menschen vor Ort.

Diese Menschen, die sich für ein Bleiberecht aus humanitären Gründen einsetzen, sind oft nicht die Betroffenen selber, sondern es sind Nachbarn, Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen, Direktoren, ganze Kirchengemeinden, BürgermeisterInnen und Landräte, Freunde aus Sportvereinen.

Diese Menschen haben für sich schon längst einen Härtefall definiert.

Härtefälle sind demnach Menschen, die seit sieben, zehn oder 15 Jahren in derselben Gemeinde wohnen, deren Kinder dort geboren sind.

An dieser Stelle möchte ich meine Ausgangsfrage konkretisieren.

Wann ist für Sie, Herr Schünemann und für Sie, Herr Wulff ein Härtefall ein Härtefall?

Gibt es hierauf überhaupt eine Antwort?

Der Bundesgesetzgeber spricht hier eine klare Sprache in seinem Gesetzestext, aber auch in seiner Gesetzesbegründung:

Die Entscheidung zu einem Härtefall muss eine ganz individuelle Entscheidung bleiben.

Der Bundesgesetzgeber hält sich deshalb bei der Definition von relevanten Gründen in §23a AufenthG zurück, das ist auch sinnvoll und sollte von den landesrechtlichen Verordnungsgebern übernommen werden.

Der Bundesgesetzgeber geht sogar noch weiter und gibt zum ersten Mal in der Geschichte der Rechtspraxis den Ländern ein Instrument an die Hand  - unabhängig von den bisherigen bundesrechtlichen Entscheidungen zu handeln.

Damit werden die immer wieder beklagten fehlenden Spielräume im Fall von Abschiebungen oder bei humanitären Entscheidungen in Einzelfällen explizit behoben.

Dieser Spielraum muss genutzt werden - wie in den 14 anderen Bundesländern auch.

Wenn Sie aber, Herr Wulff, eine Härtefallkommission billigen, die die Intention des Bundesgesetzgebers ad absurdum führt, wird doch eines deutlich:

Humanität wird kategorisch ausgeschlossen.

Nach ihrem Kriterienkatalog wird

erstens die allein erziehende Mutter gezwungen sein, eine/n finanzielle/n GönnerIn für sich und ihre Kinder zu finden oder als Bittstellerin vor die Kommunen zu treten.

Gleiches würden Sie einer Frau antun – über die wir schon im Ausschuss beraten haben - die durch etliche Schicksalsschläge im Rollstuhl sitzt und in einem Pflegeheim lebt.

Wollen sie dieser Frau zumuten noch betteln zu gehen oder gar den Schwarzen Peter für diese Entscheidung auf die Kommunen schieben. Wo ist da die Humanität?

Ein zweiter, von Ihnen definierter Ausschlussgrund lautet: Abschiebehaft darf nicht angeordnet sein.

Anrede,

machen Sie sich nichts vor: der Tag wird doch wieder kommen, wo eine Frau, ein Mann, ein Jugendlicher aus der Abschiebehaft um ein Bleiberecht bittet. Wollen Sie wieder hoffen, dass ein Pilot sich verweigert, die Abschiebung umzusetzen, obwohl sogar ein Gremium wie der Petitionsausschuss um eine Aussetzung der Abschiebung bittet? Das ist doch paradox.

Ausschlussgrund Nr. 3: Kinder oder Frauen haften für ihre Männer. Sie machen gesamte Familien für die Taten einer Person verantwortlich. Ist das Ihr Anspruch an Humanität?

Sie haben sich entschieden. Sie wollen doch eine Härtfallkommission, oder nicht?

Dann nutzen Sie auch den Spielraum. Sonst werden Sie, Herr Schünemann, doch wieder mit dieser Kommission scheitern. Das Engagement der unzähligen Menschen in Niedersachsen nicht nachlassen. Denn wie gesagt: Die haben für sich schon längst den Härtfall definiert.

Mit dem gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen fordern wir Sie auf, Ihren Entwurf nicht so zu verabschieden wie er vorliegt.

Die schriftlichen Stellungnahmen sind abgegeben.

Wir haben mit unserem Antrag eine eindeutige Richtung vorgegeben und fordern eine Härtefallkommission mit einer entsprechenden Verordnung wie sie in Rheinland-Pfalz existiert.

Hier wird eine klare Zusammensetzung geregelt und damit auch transparent gemacht, es werden Zulassungskriterien definiert, die rein formalen Charakter haben. Es werden Ausschlussgründe definiert, die nicht diejenigen Menschen kategorisch ausgrenzen, die ohnehin durch ihr Schicksal in unserer Gesellschaft benachteiligt sind.

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