Rede Filiz Polat: Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge – Aufhebung der „Residenzpflicht“ ist überfällig

Landtagssitzung am 09.11.2012

Filiz Polat, MdL

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

Kinder müssen bei Klassenfahrten um Erlaubnis bitten, getrennt lebende Eltern müssen fragen, ob sie ihr Kind besuchen dürfen.
Die Lebenswirklichkeit von Geduldeten ist dabei geprägt von Willkür und Schikanen.
Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts zu den Asylbewerberleistungssätzen hat auch an dieser Stelle ihre Gültigkeit: Die Menschenwürde von Flüchtlingen darf migrationspolitisch nicht relativiert werden.
Die Residenzpflicht gehört deshalb abgeschafft!

Anrede,

mit der Residenzpflicht gibt es in Deutschland ein bundesweites und in Europa einzigartiges System der Aufenthaltsbeschränkung, das tief in die Rechte der Betroffenen eingreift. Diese sind nicht nur verpflichtet, ihren Wohnsitz in dem ihnen zugewiesenen Gebiet zu nehmen. Vielmehr dürfen sie den ihnen zugewiesenen Aufenthaltsbereich auch nicht verlassen – es sei denn mit einer behördlichen Verlassenserlaubnis für eine kurze Zeit.

FreundInnen und Verwandte können nicht besucht und kulturelle oder sonstige Angebote in anderen Landkreisen und Städten nicht genutzt werden. Der Zugang zu rechtlicher und sozialer Beratung und Betreuung im Asylverfahren, zu Bildungseinrichtungen, zum Arbeitsmarkt und zu medizinischer Versorgung wird weiterhin erheblich erschwert.

Diese Einschränkungen sind auch deshalb stark belastend, da die für das Verlassen des Residenzpflichtbezirkes notwendige Verlassenserlaubnis in jedem Einzelfall bei der zuständigen Ausländerbehörde beantragt werden muss, wobei das Verfahren oftmals mit Gebühren verbunden wurde und häufig restriktiv gehandhabt wird. Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass der Verstoß gegen die räumliche Beschränkung mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden kann.

Von den Beschränkungen sind derzeit laut Ausländerzentralregister circa 40 000 Asylsuchende und mehr als 87 000 Geduldete betroffen, wobei viele der geduldeten Personen schon seit Jahren und unverschuldet an der Ausreise gehindert sind.

Anrede,

Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, NRW, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und selbst Bayern, nutzen in jüngster Zeit bestehende Spielräume, um die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden und Geduldeten auszuweiten; doch sind dies nur erste kleine Schritte zu mehr Freizügigkeit. Denn die schwarz-gelbe Koalition in Berlin will grundsätzlich an der Residenzpflicht festhalten. Zwar wurden im sogenannten Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz von der Koalition auch minimale Lockerungen der Residenzpflicht im Falle einer Arbeitsaufnahme beschlossen – dies reicht aber bei weitem nicht aus.

Es ist an der Zeit, die Residenzpflicht bundeseinheitlich und vollständig abzuschaffen. Wir fordern die vollständige Abschaffung der Residenzpflicht für AsylbewerberInnen und die Aufhebung der Beschränkungen des Aufenthalts von Geduldeten sowie der damit zusammenhängenden Straf- und Bußgeldvorschriften.

Zurück zum Pressearchiv