Rede Filiz Polat: Antrag (CDU) Die Flüchtlingssituation bewältigen - Integration sicherstellen

-        Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,

die CDU greift mit ihrem Antrag hierzulande und auch in der Großen Koalition auf Bundesebene in die flüchtlingspolitische Mottenkiste. Man fühlt sich in die Abschreckungspolitik der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückversetzt. Zentrale Lager, Ausgrenzung, Stigmatisierung und Diskriminierung von Geduldeten und Asylsuchenden ohne Aussichten. Die Folgen sind doch bekannt: unsägliche Kettenduldungen bei Flüchtlingen, Beschäftigungsverbote und zentrale Lager. Verschiedene Bleiberechtsregelungen und die Einführung der Härtefallkommission in den Ländern waren das Ergebnis, um diese Fehler zu korrigieren.

Wollen Sie diese Regierungspolitik der 90er jetzt wiederholen? Wir sind froh, dass das vorbei ist.

Ja, es ist Zeit zu handeln, aber wir streiten doch über den Weg. Und, das ist auch gut so.

In Niedersachsen waren Sie doch auf einem guten Weg. Gemeinsamer Antrag zu Dublin. Ein Papier „Niedersachsen – deine Heimat“. Aber nun scheinen Sie mit steigenden Flüchtlingszahlen und der Diskussion um mögliche Überforderung der deutschen Gesellschaft, die im Übrigen zu 1/3 aus Flüchtlingen, Einwanderern und Vertriebenen besteht, in die alten Reflexe zurückzufallen. Zentrale Lager, Arbeitsverbote etc.

Sie schreiben in ihrem Parteitagsbeschluss „Für die CDU ist die Flüchtlings- und Asylpolitik eine Frage der Menschenwürde. Deutschland ist verpflichtet, Flüchtlingen und politisch Verfolgten Schutz zu gewähren“.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen deutlich machen:

Die Menschwürde gilt nicht nur für Verfolgte und Schutzbedürftige. Die Menschenwürde ist unantastbar – sie gilt auch für abgelehnte Asylsuchende, für Geduldete und Menschen ohne Bleibeperspektive oder ohne Aussichten.

Das ist der entscheidende Unterschied zwischen ihrer und unserer Politik.

In ihrem Papier und Antrag „Niedersachsen – deine Heimat“, den sie letztes Plenum eingebracht haben, beschreiben sie die Probleme der Asylsuchenden: ungenutzte Fähigkeiten und Sprachkenntnisse, Arbeitsverbote, lange Verfahren, Abschiebungsdruck. Niedersachsen müsse diesen Menschen die Hand reichen und eine echte Perspektive bieten.

Wie schon bei der letzten Debatte an dieser Stelle gesagt:

„Da könnte einem das Herz aufgehen.“

Endlich werden die Zugewanderten in den Mittelpunkt gestellt.

Endlich werden von Ihnen die Benachteiligungen dieser Menschen auf Grund von Gesetzen in Deutschland beschrieben.

Begriffe wie Integrationsverweigerer oder Slogans wie „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ lesen wir nicht mehr. „Wer betrügt, der fliegt“ oder „Weltsozialamt“ gehört zum Glück nicht in ihr Konzept wie bei ihren Unions-Kollegen im Bund und in einigen Bundesländern.

Dennoch wollen sie an der Vorrangprüfung festhalten. Warum? Warum wollen sie Beschäftigungsverbote, wenn es die Kostenlast der Kommunen erhöht und Einwanderer stigmatisiert.

Aus unserer Sicht entsprechen die Vorschläge der CDU im Abschnitt D ihres Antrages deshalb nicht einem würdevollen Umgang mit Menschen, die nach Deutschland einwandern, um hier zu arbeiten. Dieser Abschnitt befasst sich mit eben diesen Asylsuchenden, die geringe Aussichten auf Asylanerkennung haben. Der dort vorgeschlagene Verbleib bestimmter Personengruppen in den Einrichtungen des Landes für die gesamte Dauer des Asylverfahrens erinnert an alte Zeiten unter schwarz-gelber Regierungszeit. Damals hatten wir Landeseinrichtungen, in denen die Leute teilweise 7 Jahre gelebt haben, trotz aller Bekundungen von beschleunigten Abschiebungen und Hochglanzbroschüren mit der Aufschrift „In Würde freiwillig ausreisen“.

Die von der CDU geforderten Wiedereinreisesperren beschneiden das Asylrecht in inakzeptabler Weise. Es muss möglich bleiben, auch wiederholt Asyl zu beantragen, denn es kann sich immer eine neue Fallkonstellation ergeben haben. Das zu prüfen, muss Gegenstand eines Asylverfahrens bleiben und kann nicht pauschal abgesprochen werden, nur weil man aus einem bestimmten Staat kommt. Das gilt insbesondere für Minderheiten aus den Balkanstaaten und Verfolgte auf Grund ihrer sexuellen Orientierung.

Der CDU-Vorschlag zu Sachleistungen anstelle von Bargeld ist nach Ansicht Pro Asyls schlicht verfassungswidrig. Es sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, das sog. „Taschengeld“ nur noch als Sachleistung zu gewähren. Denn hier geht es um die Deckung des soziokulturellen Existenzminimums. Hier werden die Bedarfe wie Kommunikation, Freizeit, Kultur, Bildung oder aber Kosten für ÖPNV abgedeckt. Diese höchstpersönlichen Bedarfe, deren Garantie das BVerfG aus der Menschenwürde herleitet, könne sinnvollerweise nur durch Bargeld sichergestellt werden. Innenminister Boris Pistorius hat es den Kommunen nach seinem Amtsantritt sehr schnell freigestellt, von Wertgutscheinen auf Bargeld umzustellen. Alle Kommunen haben das dankbar umgesetzt. Das ist im Sinne der Flüchtlinge und es ist für die Kommunen kostengünstiger.

Anrede,

die Aufnahme von derzeit prognostizierten 800.000 Flüchtlingen, Tendenz steigend, stellt das reiche Deutschland vor eine scheinbar enorme Herausforderung. Das ist etwa 1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Nur noch mal zum Vergleich – die Zahlen kennen sie – der Libanon mit seinen 4 Millionen EinwohnerInnen hat einen Flüchtlingsanteil von 25 Prozent der Gesamtbevölkerung. Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 8.000 Euro; Deutschland 40.000 Euro.

Deshalb frage ich sie nochmals – wie schon im letzten Plenum:

Wieso sollen 1 Prozent Einwanderer eine finanzielle Last sein?

Es gibt einen entscheidenden Faktor, der zu der schwierigen Situation in den Kommunen vorwiegend beiträgt:

Die Flüchtlingspolitik, die Aufnahme von Flüchtlingen durch die Bundesrepublik und der politische Geist basieren auf der Abschreckungs- und Ausgrenzungspolitik der 90er Jahre.

Exemplarisch hierfür:

  1. Das von der Union so verteidigte Asylbewerberleistungsgesetz. Es macht Menschen in diesem Land zu Menschen zweiter Klasse. Menschen, die noch auf ihre Anerkennung als Flüchtling warten, aber auch Menschen die bereits einen Aufenthaltstitel bekommen haben.
  2. Die von der Union so geschätzte Beschäftigungsverordnung für Ausländerinnen und Ausländer. Eine Verordnung, die dazu dient, Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erschweren.

Warum ist die CDU dagegen, dass Menschen aus (potentiellen) EU-Beitrittsländern in unserem Land arbeiten dürfen? Warum möchte die CDU Menschen sanktionieren, indem sie sie mit Arbeitsverboten bestraft oder trotz einer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes Ausreisepflichtigen ein Leben unterhalb des vom Grundgesetz garantierten Existenzminimums zumuten?

Anrede,

die Menschen, die zu uns kommen, wollen nicht am Finanztropf des Asylbewerberleistungsgesetzes hängen. Die Menschen sind keine Belastung – Anrede - unser bürokratisches System macht sie zu einem Kostenfaktor!  

Lassen Sie mich unseren Innenminister Boris Pistorius zitieren, der im Februar-Plenum 2015 gesagt hat: „Wir brauchen den Wegfall des Asylbewerberleistungsgesetzes. Wir brauchen viele andere Maßnahmen, die die strukturelle Lastenverteilung endlich ändert. Das ist nicht über eine Pauschale zu lösen, […] und das wissen Sie auch, wenn Sie ehrlich sind.“

Lassen Sie mich Herrn Dr. Meyer zitieren vom NLT aus der öffentlichen Innenausschusssitzung vom 26.02.2015:

„Das Aufnahmegesetz ist 2004 grundlegend novelliert worden, und die Pauschale wurde neu festgesetzt und dort liegen auch die Probleme begründet, mit denen wir bis zum heutigen Tag zu tun haben.“

Die nächsten Wochen sind entscheidend für die elementaren Weichenstellungen in unserem Land. Wir erwarten von der Landesregierung maximales Engagement beim Bundesflüchtlingsgipfel und auf der kommenden Ministerpräsidentenkonferenz, und dass das Land Niedersachsen einem gesamtstaatlichen Konsens über die Aufnahme von Flüchtlinge nur zustimmt, wenn der Bund seine Zusagen einlöst und strukturelle Änderungen vornimmt.

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