Rede Filiz Polat: Aktuelle Stunde (LINKE) - Abschiebepraxis in Niedersachsen - menschenrechtswidrig und inhuman. Wann zieht Innenminister Schünemann persönliche Konsequenzen?

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wie lange wollen Sie eigentlich noch zusehen?

Wie lange wollen Sie eigentlich noch wegschauen?

Wie lange wollen Sie eigentlich noch weghören?

Die Abschiebepraxis dieser Landesregierung ist und bleibt menschenrechtswidrig und inhuman! Sie schieben Menschen aus der Psychiatrie ab. Sie schieben aus dem Frauenhaus ab. Sie schieben kranke Menschen ab, nachdem Ihre dubiosen Ärzte sie "fit to fly" begutachtet haben. Sie schieben Mütter ab, während die Kinder in der Schule sind. Sie schieben unbegleitete minderjährige Kinderflüchtlinge ab. Sie schieben Schwangere Frauen ab. Sie schieben noch Menschen im hohen Rentenalter ab. Sie schieben in Staaten wie den Kosovo ab, die gerade Minderheiten keine Perspektive und Schutz bieten können. Sie schieben ab, obwohl im Zielland die Haft wartet.

So sieht die Abschiebungspraxis in Niedersachsen aus.

Anrede,

die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (Artikel 1 GG)

Daran hat sich auch diese Landesregierung zu halten, aber sie tut es nicht. Ein besonders finsteres Kapitel der Abschiebungspraxis in Niedersachsen ist die Abschiebungshaft.

Zehnmal hat das Bundesverfassungsgericht diese Landesregierung in Abschiebungshaftfällen gerügt. Zehnmal hat das höchste Gericht die Landesregierung darauf hingewiesen, dass die Freiheit der Person nach Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ein besonders hohes Rechtsgut ist, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf.

Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass Abschiebungshaft nicht dem Zweck der Bestrafung dient sondern lediglich die Durchführung einer Abschiebung sicherstellen soll, falls dies erforderlich und angemessen ist. Entsprechend zurückhaltend ist die Abschiebungshaft anzuordnen. Und erst recht ist es deshalb nicht zulässig, Abschiebungsgefangene zusammen mit Straf- oder Untersuchungsgefangenen in ein und derselben Hafteinrichtung unterzubringen. Genau das geschieht aber in der JVA Langenhagen. Es wird höchste Zeit, dass diese Schieflage behoben wird.

Anrede,

Über 7000 bekannt gewordene rechtswidrige Hafttage sind dokumentiert worden. Das sind 21 Jahre, die Menschen in Niedersachsen rechtswidrig weggesperrt wurden. Der traurige Höhepunkt dieser rechtswidrigen Anordnungspraxis ist der Tod des 58-jährigen Slawik C. aus dem Landkreis Harburg, der seine Ehefrau, einen Sohn sowie ein Enkelkind hinterlässt. Bis heute erfolgte keine Entschuldigung des Ministers. Bis heute wollen die zuständigen Ministerien keine Konsequenzen aus dem tragischen Tod ziehen. Im Gegenteil, sie versuchen weiterhin die Witwe des Verstorbenen abzuschieben.

Wegweisend für die niedersächsischen Ausländerbehörden und bezeichnend für Innenminister Schünemanns Grundhaltung war die Aufhebung des Erlasses "Hinweise zur Förderung der freiwilligen Ausreise sowie zur Vermeidung von Abschiebehaft" vom 28.11.1995 gleich zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2003. Der Erlass stellte klar, dass der verfassungsmäßige Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Abschiebungshaft besonders zu beachten ist. Abschiebungen sollten im Regelfall aus der Freiheit heraus erfolgen und Abschiebungstermine so rechtzeitig angekündigt werden, dass die Betroffenen Gelegenheit haben, ihre Ausreise vorzubereiten und ihre persönlichen Angelegenheiten zu regeln. Die Aufhebung dieses Erlasses ist bezeichnend für die dann folgenden Jahre und die zahlreichen Verfassungsverstöße in dieser Zeit.

Anrede CDU und FDP,

Verstehen sie das unter christdemokratischer oder liberaler Politik?

Vor sieben Jahren haben Sie Gazale Salame-nachsiebzehnjährigemAufenthaltinDeutschland-vonihremMannundihrenälterenKinderngetrenntundtrotzeinerbestehendenSchwangerschaftmitdereinjährigenTochterabgeschoben.DerFallderFamilieSiala/SalameausSchellertenbeiHildesheimbieteteinentiefenEinblickindieAbgründeniedersächsischer Abschiebepolitik.

Seit Jahren wartet Gazale Salame auf die Rückkehr nach Hildesheim zu ihren Kindern und ihren Mann. Auch hier hat es einen eindringlichen Aufruf der zuständigen Richterin am Bundesverwaltungsgericht zu einem Vergleich gegeben. Aber der Minister stellt sich stur. Warum ermöglicht er hier nicht auch die Wiedereinreise wie bei der Familie Nguyen?

Anrede Schünemann,

Wollen Sie die Einzelfälle zukünftig alle so lösen – erst abschieben, dann wiederholen? Um sich dann für die gute Tat des Jahres auf die Schulter zu klopfen?

Hoffen Sie mit Ihrer Zermürbungstaktik, dass die UnterstützerInnen, die Kirchen, die Opposition am Ende keine Kraft mehr haben für Ihre Spielchen?

Aber, glauben Sie: wir haben Ausdauer und werden weiterhin für eine echte Härtefallkommission kämpfen und für eine humanitäre Bleibebrechtsregelung.

Morgen beginnt die Innenministerkonferenz und zum wiederholten Male ist Minister Schünemann nominiert für den Abschiebeminister 2011.

Herr Ministerpräsident, wenn das für Sie eine besondere Auszeichnung für Ihr Kabinett ist, dann kommt der Wechsel 2013 mit Sicherheit.

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