Rede Filiz Polat: Abschiebungen in die Republik Syrien dauerhaft einstellen

Landtagssitzung am 11.11.2011

Filiz Polat, MdL

Anrede,

seit Monaten erreichen uns täglich neue schreckliche Meldungen aus der Republik Syrien - gewaltsame Niederschlagungen von Demonstrationen, zahlreiche Todesopfer staatlicher Gewalt, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen. Insgesamt starben nach UN-Schätzungen seit Beginn der Aufstände gegen die autoritäre Regierung von Präsident Baschar el Assad mehr als 3.000 Menschen.

Es ist für uns daher absolut unverständlich, dass mit diesem Regime weiterhin ein Rückübernahmeabkommen gilt, welches nichts anderes beinhaltet als die Regimekritiker von Assad abzuschieben. Wie kann Politik dies verantworten vor dem Hintergrund unserer Verfassung?

Das Rückübernahmeabkommen trat erst  im Januar 2009 in Kraft. Im Jahr 2009 wurden in Niedersachsen dann auch gleich 139 Personen für die Abschiebung nach Syrien angemeldet. Zum Ende des Jahres 2009 informierte das Bundesinnenministerium die Länder in einem Schreiben zum Rückübernahmeabkommen über Inhaftierungen von aus Deutschland Abgeschobenen und anschließende Prozesse vor Militärgerichten jenseits anerkannter juristischer Standards.

Das Auswärtige Amt beklagte, dass das Regime keine Auskünfte über den Verbleib der Gefangenen gegeben habe. In seinem Erlass vom 07.01.2010 reagierte das niedersächsische Innenministerium nur unzureichend und ohne klare Anweisung an die Ausländerbehörden auf diese Informationen des BMI. Somit wurden im Jahr 2010 in Niedersachsen 240 Personen für die Abschiebung nach Syrien angemeldet. Und noch im Februar diesen Jahres wurden Anuar und Bedir Naso aus dem Landkreis Hildesheim nach Syrien abgeschoben. Erst am 28.04.2011 erging ein Erlass des Bundesinnenministeriums und am 02.05.2011 ein Erlass des niedersächsischen Innenministeriums zur vorübergehenden Aussetzung der Abschiebungen nach Syrien – zu spät für den Vater und den Sohn der Familie Naso. Die Inhaftierungen von Anuar Naso über vier Wochen und Bedir Naso über 13 Tage werden immer noch von Innenminister Schünemann als zur Identitätsfeststellung übliche Ingewahrsamnahme heruntergespielt. Keine Spur von Einsicht, Bedauern oder gar einer Entschuldigung. Dass Syrien für Abgeschobene aus Deutschland ein lebensgefährliches Land ist, ist bereits seit dem Jahr 2000 bekannt als der Kurde Hussein Daoud aus Braunschweig in die Republik Syrien abgeschoben und gleich nach seiner Ankunft dort festgenommen, verhört, in das berüchtigte Gefängnis "Palästina" eingewiesen und dort schwer gefoltert wurde.

Wir fordern deshalb endlich einen förmlichen Abschiebungsstopp nach § 60a AufenthG. Der aktuelle vom Bundesinnenministerium den Ländern empfohlene Verzicht auf Abschiebungen in die Republik Syrien bietet keinen verlässlichen, dauerhaften Rechtsrahmen und dient lediglich der Umgehung der in § 23 I AufenthG vorgesehenen Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, die den Betroffenen zumindest für eine bestimmte Dauer Sicherheit bieten würden.

Konsequenterweise müssen das Rückübernahmeabkommen gekündigt und die Fälle der Abgeschobenen vollständig aufgeklärt werden. Da der bisherige Umgang sowohl der Bundesregierung als auch der niedersächsischen Landesregierung mit den genannten Abgeschobenen skandalös, ignorant und unverantwortlich war, fordern wir eine von der Landesregierung unabhängige Kommission.

Wir fordern die Landesregierung zudem auf, mehr Verantwortung für die Konsequenzen ihres Handelns in menschenrechtlicher Sicht zu übernehmen. Ich beziehe mich hier insbesondere auf Wirtschaftsdelegationen, die unter der Leitung oder mit Unterstützung der Landesregierung in Staaten mit kritischer Menschenrechtslage reisen. Im Februar 2011 fand so eine Wirtschaftsdelegationsreise nach Syrien statt. Das Ministerium erklärte:

"Im Unterschied zu anderen arabischen Ländern ist Syrien ein weltlich orientiertes Land, in dem die verschiedenen Religionen und Nationalitäten weitgehend konfliktlos nebeneinander leben. Eine Entwicklung wie z.B. in Ägypten wird derzeit als unwahrscheinlich angesehen, da Präsident Assad bedeutend jünger ist als die anderen Machthaber in der arabischen Welt und somit dem Volk näher steht. Ein Generationswechsel vom Vater zum Sohn ist bereits vollzogen und hat bereits für eine Modernisierung des Landes gesorgt."
Der Flüchtlingsrat kommentiert treffend, "diese Verharmlosung der Verfolgung und Unterdrückung in der von Sicherheitsapparaten und Militärs geprägten autoritären Diktatur im Interesse guter Geschäfte schreit zum Himmel."

Anrede,

wir fordern die Landesregierung auf, keine wirtschaftlichen oder politischen Delegationen in die Republik Syrien zu begleiten, zu organisieren oder zu unterstützen. Auch Delegationen in andere Staaten oder Regionen mit derart kritischer Menschenrechtslage sind entsprechend zu unterlassen. Am 03. November hat das Wirtschaftsministerium in einer Pressemitteilung die Bilanz einer niedersächsischen Unternehmerdelegation unter Leitung des Wirtschaftsstaatssekretärs auf die Arabische Halbinsel, also nach Saudi Arabien, Oman und in die Vereinigten Arabischen Emirate präsentiert. Ziele des Besuchs seien der weitere Ausbau und die Vertiefung wirtschaftspolitischer Kontakte zwischen Niedersachsen und den Golfstaaten sowie die Profilierung des Landes als Wirtschaftsstandort gewesen. Auch hier wurde das Thema Menschenrechte offenbar ausgeklammert. Wir brauchen für solche Anlässe einen kritischen Menschrechtsdialog. Die Industrie hat sich einen Internationalen Verhaltenskodex gegeben. Es gibt OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Etwas Ähnliches fordern wir auch für die Politik und Delegationen, an denen die Landesregierung beteiligt ist.
Ich würde mich freuen, wenn Sie unsere Vorschläge unterstützen würden.

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