Rede Enno Hagenah: Transrapid-Unglück - Einsetzung eines 19. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Anrede,

ich möchte als Erstes dem Landtag ausdrücklich für den nun neun Monate zurückliegenden einmütigen Beschluss zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu den Ursachen des Transrapidunfalles in Lathen danken. Ich glaube die Ausschussarbeit hat einen erheblichen Beitrag zur Aufklärung der vermeidbaren Ursachen und Hintergründe des Unglücks erbracht. Auch wenn nicht alle Ausschussmitglieder bereit waren alle Erkenntnisse für ihre eigene Meinungsbildung zu berücksichtigen, so liegen Ihnen und der Öffentlichkeit zumindest mit dem erweiterten Bericht von SPD und Grünen nun viele Fakten vor. Fakten, die, wenn denn Konsequenzen daraus gezogen werden, helfen können, dass sich ein derartiges Unglück in Zukunft nicht wiederholen wird. 

Zunächst aber ein kurzer Rückblick

Wie war der Einstieg zum PUA?

Nach dem Schock über das Ausmaß des Unglücks offenbarte sich zunächst völlige Unkenntnis in der Landesverwaltung über die tatsächlichen Verhältnisse auf der Teststrecke. Ständig mussten Darstellungen korrigiert und ergänzt werden. Dies gipfelte nach vier Wochen in der Ankündigung des nach Versuchanlagengesetz für Lathen zuständigen Wirtschaftsministers Hirche, er werde wegen unzureichender Informationspolitik und schleppender Aufarbeitung früherer Geschehnisse auf der Versuchsstrecke eine Sonderprüfung des Rechnungshofes in dem ihm unterstellten Landesamt für Straßenbau und Verkehr durchführen lassen.

Es folgten mehrere Sitzungen des Verkehrsausschusses mit dem Bemühen um Aufklärung, aber wenig Erkenntnisfortschritten. Dieser Weg endete abrupt mit der Aussageverweigerung von TÜV Mitarbeitern.

Erst mit Beginn der Arbeit des Untersuchungsausschusses, nach dem Einblick in die Ermittlungsakten und vor allem nach dem Besuch in Lathen wurden die konkreteren Zusammenhänge und tatsächlichen Ursachen des Unglücksherganges erkennbar.

Schnell kamen CDU und FDP zu dem Zwischenergebnis, das sie bis heute vertreten:
"Unerklärliches menschliches Versagen". Sonst nichts. Zu der Zeit ermittelte die Staatsanwaltschaft auch noch vorrangig gegen die beiden Leitstandsmitarbeiter und den tödlich verunglückten Fahrer des Transrapid.

Wo stehen wir aber heute?

Inzwischen liegt die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vor. Den Medien war zu entnehmen, dass nun keine strafrechtliche Verantwortlichkeit des 2. Leitstandsmitarbeiters mehr gesehen wird. Für diesen Vorwurf fehle ein detaillierter verbindlicher Aufgabenkatalog. Zudem bestand aufgrund der Ausgestaltung seines Arbeitsplatzes nicht die Möglichkeit die einzelnen Arbeitsschritte des federführenden ersten Mitarbeiters überhaupt zu kontrollieren. Das haben wir alle bei unserer Besichtigung des Leitstandes sofort gesehen und nicht verstehen können, wie dann trotzdem von einer Absicherung im Vier-Augen-Prinzip ausgegangen werden konnte.

Der Aufgabenkatalog für den zweiten Leitstandsmitarbeiter fehlte und die Kontrolle schließt sich schon allein räumlich aus. Wie können Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP dann immer noch behaupten, der TÜV und die Landesbehörde hätten ihre Arbeit in der Vergangenheit ordentlich gemacht? Minister Hirche und die TÜV Mitarbeiter haben doch in allen Befragungen immer betont, Lathen sei sicher, weil das Vier-Augen-Prinzip der gegenseitigen Kontrolle bei der manuellen Sicherheitsarchitektur mit Blocksperre dies garantiere.

Jetzt bescheinigen Ihnen das Gutachten des EBA und die Anklage der Staatsanwaltschaft, dass diese Sicherheit nicht existiert hat. Wieso haben die Gutachter des Landes, die in Ihrem Namen, Herr Minister Hirche, die Aufgabe zur Kontrolle der Einhaltung der Betriebsvorschriften in Lathen zugewiesen bekommen haben, das nicht vor dem Unfall bemerkt. Uns fiel das doch sofort auf als wir in dem Leitstand waren.

Ich meine: Genau das ist der fatale "Tunnelblick von Fachleuten", wie er in einer der Fragen des Untersuchungsauftrages benannt wird. Durch die zu lange Beschäftigung mit dem immer gleichen Thema ohne Kontrolle von außen wird irgendwann an manchen deutlich erkennbaren Risiken schlicht vorbei gesehen. Da gilt Ihre Ausrede nicht: Hinterher ist man immer schlauer. Das war einfach zu offensichtlich für alle Außenstehenden. Mit "menschlichem Versagen" hat das nichts zu tun!

Anrede,

Die Anklage der Staatsanwaltschaft geht aber noch deutlich weiter und konterkariert Ihre Behauptung vom allein unerklärlichen menschlichen Versagen damit völlig. Wie den Medien zu entnehmen war, wirft die Anklagebehörde dem ehemaligen und dem aktuellen Betriebsleiter der Anlage in Lathen vor, für wichtige Betriebsabläufe trotz erkennbarer Gefährdung keine verbindlichen Regeln aufgestellt zu haben, um Kollisionen zu verhindern. Ihnen wird ein Organisationsverschulden vorgeworfen. Obwohl also nach kontroverser Diskussion von TÜV und Land im Sommer 2005 gegenüber den Führungskräften in Lathen klar gestellt wurde, dass beim Betrieb von mehreren Fahrzeugen auf der Strecke eine Fahrwegsperre zwingend einzulegen ist, haben es die Betriebsleiter der IABG über Monate und Jahre versäumt dafür betriebsinterne Regeln zu erlassen. Mit ihrem Wissen wurde immer wieder regelwidrig gehandelt. Die IABG behauptet in ihren schriftlichen Stellungnahmen immer noch, die Fahrwegsperre wäre nicht zwingend notwendig.

Dieses unverantwortliche Unterlassen bei Sicherungsvorgaben führt Ihre Sicht der Dinge ad absurdum, meine sehr verehrten Damen und Herren von CDU und FDP.

Wieso ist das denn nicht sofort aufgeflogen?

Die Betriebsabläufe und die Einhaltung der Betriebsvorschriften sind noch sechs Wochen vor dem Unfall vom TÜV überprüft worden. Dabei soll ja auch regelmäßig der interne Vorschriftenstand geprüft worden sein.

Warum hat denn das Land als Genehmigungsbehörde, dessen zuständiger Mitarbeiter genau wusste, dass die Betriebsleiter in Lathen eine andere, unhaltbar fahrlässige Meinung zum Einlegen der Blocksperre haben, denn nicht auf eine genaue Prüfung gerade dieses Sachverhaltes gedrungen?

Warum haben die TÜV Mitarbeiter, die ebenso Kenntnis von dem Konflikt mit der Betriebsleitung in Lathen wegen der Blocksperre hatten, nicht gerade deshalb an dieser Stelle genauer hingeguckt?

Ich sage Ihnen, warum das Unfassbare passiert ist. Die Leute haben sich gegenseitig lange gekannt, gestützt und vertraut. "Die sind sehr sorgfältig" sagten sie alle gegenseitig übereinander in den verschiedenen Befragungen.

Nicht nur der Tunnelblick hatte sich verfestigt. Über die vielen Jahre der Zusammenarbeit und das Auf und Nieder der Magnettechnik ist offenbar auch eine Art Korpsgeist entstanden, der in einer gefahrengeneigten Anlage und deren Genehmigung und Kontrolle nun wirklich keinen Platz haben darf. 

Die Kontrolleure und die Genehmigungsbehörde haben den Dissens gekannt, aber nichts unternommen, um dies zu ändern.  Sie hätten feststellen müssen, dass hier regelmäßig gegen zwingende Sicherheitsvorschriften verstoßen wurde, wenn sie ihre Arbeit ordentlich gemacht hätten. Die fahrlässigen Versäumnisse und das Organisationsverschulden der Betriebsleiter in Lathen fallen damit eins zu eins auf den TÜV und die Landesverwaltung zurück.

Dies belegen die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses sehr klar. Zumindest in der Zusammenstellung, wie sie in dem Abschlussbericht von SPD und Grünen dokumentiert sind. Die Ausschussmehrheit hat dazu ihre Augen und Ohren fest verschlossen, weil es offensichtlich an dem Willen fehlt, die Probleme auf der Teststrecke wirklich schonungslos, auch gegenüber den eigenen Leuten, festzustellen und zu beheben.

Die frühen Hinweise von DB und EBA aus dem Jahr  2003, die Forderungen der Mitarbeiter in Lathen nach einer automatischen Sicherheitstechnik auch für die Werkstattfahrzeuge nach dem Glatteisunfall im Jahr 2004 und schließlich die punktgenaue Kritik des DB Revisionsberichtes aus 2005, der auch der Landesbehörde vorlag, wurden alle nicht beachtet – man hat sich eben gegenseitig vertraut!!

Es ist doch für die Öffentlichkeit klar ersichtlich, dass CDU und FDP diese Fakten nur deshalb nicht in ihren Bericht aufnehmen wollten, weil damit ihre pauschalen Unschuldsbekundungen gegenüber Minister Hirche und der Landesverwaltung nicht mehr haltbar wären.

Um diese Legende aufrecht zu erhalten versuchen Sie mit den Aussagen einiger Zeugen vom EBA, der DB und dem TÜV, die aus unterschiedlichen Gründen bei der Befragung im PUA vieles nicht mehr so gemeint haben wollten, wie sie es vorher geschrieben hatten, diese Aktenbelege unglaubwürdig und irrelevant erscheinen zu lassen.

Offenbar haben sie völlig verdrängt, dass die TÜV Leute zunächst gar nichts mehr sagen wollten, sondern nur noch schriftlich antworten wollten und die DB einigen Leuten zunächst überhaupt keine Aussagegenehmigung geben wollte. Das sollte auch Ihnen zu denken geben.

Was haben die Unternehmen im Verfahren für Interessen? Was haben sie zu verbergen?  Unter welchem Druck standen die Zeugen bei ihren Aussagen?

Die von CDU und FDP betriebene Verleugnung von schriftlichen Eingeständnissen wird auch bei dem Ausblenden der in einer DPA Meldung zitierten Forderungen von IABG Mitarbeitern für ein automatisches Sicherungssystem für die Werkstattwagen deutlich. Diese Aussagen werden doch nicht dadurch irrelevant, weil der zitierte Dr. Schwarz sie bei seiner Befragung nicht mehr wahr haben wollte. Dafür sind die belegten Aussagen viel zu konkret und differenziert, als das hier ein Missverständnis vorliegen könnte. Nein, diese Aussagen hätten andere als die bisher Beschuldigten zusätzlich belastet und wurden deshalb von Ihnen aus dem Mehrheitsbericht rausgedrückt.

Genauso sind Sie auch mit der komplizierten rechtlichen Materie verfahren. Im Mehrheitsbericht wurden nur solche Rechtspositionen von Ihnen zugelassen, die Ihre Haltung stützen, wohl wissend, dass es daneben auch wohl begründete gegenteilige Rechtsauslegungen gibt.     

Allgemein ist bekannt: gibt man zwei Juristen einen Auftrag für ein rechtliches Gutachten, kann man schnell drei verschiedene Antworten kriegen. Nicht immer entscheiden Gerichte bei gleich gelagerten Fällen gleich.

Zu den Verantwortlichkeiten des Landes und zur Zulässigkeit des Besucherverkehres kommen wir rechtlich zu ganz anderen Ergebnissen als CDU und FDP. Minister Hirche und das Wirtschaftsministerium haben nicht etwa mehr gemacht, als rechtlich geboten war, sondern sie haben das, wozu sie verpflichtet gewesen sind, nicht sorgfältig genug gemacht.

Der Niedersächsische Wirtschaftminister hat aber offenkundig bis heute nicht erkannt, dass die in seiner Verantwortung wahrzunehmenden Aufgaben nach dem Versuchsanlagengesetz Aufgaben der Gefahrenabwehr sind.

Er und seine Mitarbeiter haben sich um die Versuchsanlage nur im einzelbetrieblichen Interesse oder aus dem Blickwinkel der Standortpolitik gekümmert. Nur so ist zu erklären, dass auch nicht gehandelt  wurde, als die Kritik zu Missständen im Jahre 2005 im Wirtschaftsministerium aktenkundig geworden war.

Spätestens da hätte erkannt werden müssen, dass die Aufgaben der Gefahrenabwehr allein schon vom Zeitumfang her nur unzureichend wahrgenommen werden konnten.

Eine Überwachungspflicht hatte das Land auf jeden Fall durch die Eröffnung einer Gefahrenquelle. Wer eine Gefahr für Dritte eröffnet, indem der Transrapid als Teststrecke gilt und dennoch unbeteiligte Personen gegen Entgelt befördert werden dürfen, muss hierin eine Gefahrenquelle erkennen und Vorsorge treffen.

Das Niedersächsische Wirtschaftsministerium hat die ihm obliegende Aufgabe der Fachaufsicht über das Niedersächsische Landesamt für Straßenbau und Verkehr offensichtlich nur unzureichend wahrgenommen. Es war fahrlässig, sich über Jahrzehnte bei der Prüfung zur Einhaltung der Betriebsgenehmigung insbesondere nach den vielen Hinweisen von Außen zu möglichen Sicherheitslücken nur auf die von den Betreibern in Lathen bezahlte TÜV-Arge zu verlassen!

Der entscheidende Unterschied zwischen dem Fehlverhalten unter Minister Hirche im Vergleich zu seinen Vorgängern ist dabei, dass zu keiner Zeit zuvor so massive und vielfache Bedenken und Anwürfe von verschiedenen Seiten hinsichtlich der Sicherheit auf der TVE im Ministerium bekannt geworden sind, wie in dieser Amtsperiode.

Wir sehen Minister Hirche damit voll in der politischen Verantwortung für die fortwährende Desinformation der Öffentlichkeit und des Landtages, für die mangelnde Stringenz und Aufsicht in seinem Haus, aber vor allem für die fehlende Kontrolle und Distanz seiner Mitarbeiter gegenüber TÜV und IABG.

Dies begründet unsere Forderung nach seinem Rücktritt!

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