Rede Enno Hagenah: Transrapid: Einsetzung eines 19. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Anrede,

die genauen Ursachen und Verantwortlichkeiten des tragischen Transrapidunfalls am 22.09. im Emsland liegen auch sechs Wochen nach dem Unglück noch immer im Unklaren.

Die vier Befragungen und Berichte des Ministeriums im Verkehrsausschuss und im letzten Plenum ergaben zwar schrittweise immer tiefere Einblicke in den überraschend geringen Sicherheitsstandard des Parallelbetriebes von Magnetbahn und den regelmäßig im Betrieb eingebundenen Werkstattwagen. Die Anzahl der offenen Fragen hat im Verlauf der Befragungen aber eher zugenommen als abgenommen. Die Hauptkomplexe liegen Ihnen allen in unserem Antrag auf einen Untersuchungsausschuss heute vor. Ich will darauf heute nur kurz eingehen:

Nachweislich gab es seit Jahren immer wieder vom Betriebsleiter, von TÜV-Mitarbeitern und anderen Fachleuten z.B. aus dem Eisenbahnbundesamt (Fachtagung, Grundsatzpapier, Protokolle) Hinweise auf die Notwendigkeit eines Sicherheitskonzeptes für das Gesamtsystem und die ungenügende Sicherung zwischen Magnetfahrzeugen und den regelmäßig verkehrenden Werkstattwagen.

Für das Eisenbahnbundesamt stellte im März 2005 der Projektleiter Magnetschwebebahn dazu klar, dass [Zitat] "Rechtsvorschriften bzw. anerkannte Regeln der Technik unabhängig von bestimmten Projekten verfasst werden [”¦] und deshalb [”¦] Sicherheitslücken entstehen. [”¦] Bei einem komplexen und innovativen Bahnsystem wie der Magnetschwebebahn genügt eine Definition von Sicherheitsvorschriften allein als Antwort auf negative Erfahrungen bei der Magnettechnik oder anderen vergleichbaren Verkehrssystemen nicht. [”¦] Deshalb fordert der Verordnungsgeber eine weitere, prospektive Betrachtung einer Magnetschwebebahnanlage: Die Aufstellung eines Sicherheitskonzeptes für jede konkrete Magnetschwebebahnanlage, das eine Beurteilung der Sicherheit im technisch-physikalischen Sinn in Bezug auf das Gesamtsystem ermöglicht."   

Genau diese Beurteilung zur Sicherheit des Gesamtsystems TVE fehlt, Herr Minister Hirche. Offensichtlich ist, dass im Ergebnis Industrie, Betreiber, TÜV  und Behörden kollektiv die Notwendigkeit der Einbeziehung der umgebauten Lastwagen in ein automatisches Sicherungssystem zusammen mit dem jeweiligen Transrapidversuchsfahrzeug in Lathen immer wieder ignoriert haben.

Und das ist eine der zentralen Fragen, Herr Minister, die auch nach vier Anläufen im Wirtschaftsausschuss und im Plenum immer noch nicht geklärt ist:

Wie kam es dazu, dass trotz dieser Hinweise das Wirtschaftsministerium, seiner  Sicherheitsverantwortung für die Anlage, die nach dem Versuchsanlagengesetz und der aktuellen Betriebsgenehmigung dem Ministerium bzw. seiner Behörde in Obhut gegeben ist, vor dem Unfall nicht ausreichend gerecht werden konnte?

Hinzu kommt die unrühmliche Geschichte der immer wieder von Ihnen selbst, Herr Minister Hirche, korrigierten Aussagen zur Vorgeschichte und den Rahmenbedingungen auf der TVE gegenüber dem Parlament, die das Vertrauen in den abschließenden Wahrheitsgehalt des jeweils erreichten Kenntnisstandes natürlich zusätzlich untergraben haben.

Im Höhepunkt der eigenen Verstrickung versuchten Sie sogar den Befreiungsschlag mit der Beauftragung des Rechnungshofes zur Überprüfung der eigenen Behörde. Dieses Vorgehen von einer Landesregierung, mit Sonderermittlungen der direkten Überprüfung durch das Parlament zu entgehen, hat in Niedersachsen schon etliche Vorläufer. Ich finde, dazu hat in der 40. Plenarsitzung am 17.12.1999 der Kollege Busemann schon das Richtige gesagt.

Ich zitiere: "Wo ist eigentlich die rechtsstaatliche Legitimation dafür in diesem Lande Sonderermittler einzusetzen? Gibt es Dinge, die strafrechtliche Relevanz haben? Dann ist die Staatsanwaltschaft zuständig”¦. Gehen solche Dinge z.B. in den politischen Bereich über? Dann gibt es eben einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der alles zu klären hat. Irgendwelche Mitteldinge dazwischen im diffusen Raum, in der Grauzone dürfen nicht sein."

Anrede,

deshalb macht es nicht nur die definitive Absage des Eisenbahnbundesamtes heute erforderlich, dass wir als Parlament jetzt durch die rechtlichen Möglichkeiten eines Untersuchungsausschusses eine schärfere Gangart in der Aufklärung einlegen.

Eine Gewissheit mit belastbaren Fakten lässt sich nach unseren bisherigen Erfahrungen offenbar erst durch vollständige Akteneinsicht, Zeugenladungsrecht und vereidigte Aussagen im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses herbeiführen.

Im Untersuchungsausschuss wäre es eben nicht so, wie im Rundblick am Dienstag noch behauptet wurde, dass sich das Eisenbahnbundesamt der Befragung mit Hinweis auf laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungen pauschal entziehen könnte. Wir werden sehen, wie viel uns bei der jetzt nachgeschobenen Befragung der DB Magnetbahn offenbart wird, und wie viel als Betriebsgeheimnis oder aus sonst welchen Gründen nicht beantwortet wird.

Der sachliche Umfang eines Aussageverweigerungsrechtes ist in einem Untersuchungs-Ausschuss im Rahmen der Strafprozessordnung eng umgrenzt und betrifft lediglich Aussagen, die zur eigenen strafrechtlichen Belastung oder die zur Belastung von Angehörigen führen könnten. Dies ist dann auch noch jeweils im Einzelfall zu begründen.

Nur im Untersuchungsausschuss kann der bisherige enge Ring des Korpsgeistes der über lange Jahre mit Transrapidplanung und -betrieb betrauten Fachleute aufgebrochen werden, um die Abläufe und Verantwortlichkeiten aufzuklären.

Auch die persönlich oder schlicht wirtschaftlich begründete Aussageverweigerung wegen Befangenheit der weiter gefassten wissenschaftlichen Fachwelt kann nur durch das Ladungsrecht eines Untersuchungsausschusses aufgehoben werden, damit wir auch von dieser Seite objektive Bewertungen zur Sicherheitstechnik und dem Genehmigungsstandard auf der TVE erhalten.

Das Unglück in Lathen konnte geschehen, weil Experten, TÜV, Betreiber und Behörde die umgebauten Lastwagen, die jeden Tag auf der Strecke fuhren, nicht als Teil der Transrapid-Technik verstanden haben wollten.

Noch immer setzt das "Zitier-Kartell" alles daran, seine Transrapid-Technik verbissen zu verteidigen, anstatt bei der Aufklärung konstruktiv mitzuwirken und einzugestehen, dass die fehlende Einbindung der Werkstattwagen ein vermeidbares Risiko darstellte.

Und wenn dann jemand außerhalb des Kreises der Eingeweihten und Transrapid-Entwickler wagt, einfache technische Sicherungen wie Lichtschranken vorzuschlagen, die das Unglück verhindert hätten, der wird einfach pauschal wegen seines mangelnden Einblickes diskreditiert. 

Anrede,

es darf in so einem gravierenden Fall nicht sein, dass nur die bisherigen Akteure wegen ihres Einblickes in die Betriebsabläufe und internen Sicherheitsvorgaben von Teilen des Parlamentes als Fachleute anerkannt werden, und unabhängige Fachleute nur allgemein veröffentlichte Informationen haben, um ihre Bewertung zu untermauern. 

Anrede,

die Transrapid-Experten, die sich bei ihren Entwicklungen an sich an der Luftfahrtechnik orientieren, können einen Zug mit 400 km/h schweben lassen. Und dann sollen sie nicht in der Lage gewesen sein, schlichte motorgetriebene Werkstattwagen, die täglich verkehren, automatisch im Betrieb technisch abzusichern, obwohl ihnen das Sicherheitsrisiko durchaus bekannt war? Diesen unglaublichen Widerspruch, den kein vernünftiger Mensch begreifen kann, müssen wir aufklären.

Das sind wir als Parlament den bisher allein belasteten Fahrdienstleitern und den Hinterbliebenen der Opfer schuldig. Wenn wir unsere Verantwortung ernst nehmen darf es heute nicht  darum gehen, ob im Fraktionszwang CDU und FDP vielleicht dagegen stimmen und ob die SPD heute, oder in 14 Tagen oder sonst irgendwann unseren Antrag unterstützt.

Sondern heute sollte es allein darum gehen, was jede einzelne Abgeordnete, jeder einzelne Abgeordnete mit seinem Gewissen gegenüber diesen Menschen, den bisher allein Beschuldigten und den Angehörigen der Opfer verantworten kann.

Anrede,

eine lückenlose Aufklärung über die Ursachen und die politischen Verantwortlichkeiten für die Katastrophe am 22.09. im Rahmen eines Untersuchungsausschusses ist unerlässlich.

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