Rede Enno Hagenah: Entwurf eines Gesetzes über die Ladenöffnungszeiten

Anrede,

die FDP/CDU Koalition will das Tor beim Ladenschluss viel zu weit öffnen. Damit verschärfen sich die bereits vorhandenen Wettbewerbsverzerrungen ohne Not immer weiter. Die scheinbare Freiheit für alle ist in Wirklichkeit nur eine Freiheit der Großen, die sich das leisten können.

Viele Mittelständler werden Marktanteile verlieren und das Ladensterben in den Ortskernen wird durch Ihr Gesetz zunehmen.
Selbst der von Ihnen angeblich geschützte Sonntag wird mit der ausgeweiteten Bäderregelung und noch mehr Ausnahmen für Bahnhöfe und Tankstellen mit dem CDU/FDP Entwurf zur Farce.
Die Erweiterung der Bäderregelung für Sonntage mit dem Argument, andere Tourismusregionen hätten sonst Wettbewerbsvorteile, entbehrt angesichts der räumlichen Distanz jeder Grundlage. Die Folge vor Ort wird aber eine negative interregionale Konkurrenz zwischen Kommunen mit und ohne diese neue Bäderregelung sein.

Anrede,

das Land wird mit Ihrer neuen Ladenöffnung seinen wirtschafts- und strukturpolitischen Aufgaben zum Ausgleich in den Regionen und zur Stärkung mittelständischer Wirtschaft nicht gerecht. Ihr neoliberal dominierter Gesetzentwurf richtet weit mehr Schaden an, als er den Kunden und einzelnen Unternehmen hilft.

Das zeigen bisherige Erfahrungen: Auch der erweiterte Ladenschluss 1996 sollte laut Ifo-Institut 20 Milliarden DM mehr Umsatz und 50.000 zusätzliche Vollzeitarbeitsplätze bringen. Das blieb Wunschdenken.

Das Gegenteil trat ein: es wurde weiter an der Personalkostenschraube gedreht, seit 2000 sind 252.000 Vollzeitarbeitsplätze vernichtet worden.

Auch die hiesigen Großversuche mit noch weiterer Ladenöffnung bei der EXPO und der Fußball WM belegten dasselbe. In der Regel geringer Zuspruch, aber hohe Zusatzkosten für die teilnehmenden Unternehmen.

Trotz eines erweiterten Ladenschlusses stagnierte der Umsatz, es wurde nicht mehr, sondern nur zu anderen Zeiten gekauft. Wer soll denn auch zusätzliches Geld ausgeben? Gestern konnten wir alle in einer dpa-Meldung lesen, dass 14,9 % der niedersächsischen Bevölkerung monatlich weniger als 582 Euro zur Verfügung haben. Die Armut in Niedersachsen wird größer. Viele unserer Mitmenschen müssen sich nicht überlegen wann sie einkaufen, sondern ob sie überhaupt noch etwas kaufen können.

Den Schaden und die Last, die derartige Ausweitungen der Ladenöffnungszeiten mit sich bringen, haben immer die eigentümergeführten mittelständischen Geschäfte.

Anrede,

Metro-Chef Ulrich Dalibur zum Beispiel fordert von seinen Beschäftigten schon im Vorgriff auf die gesetzliche Weiterung den Verzicht auf alle Zuschläge für Sonntags- und Abendarbeit.

Haben Sie das gewollt, werte Kollegen von CDU und FDP?

Ladenschluss ist vor allem Arbeitnehmerschutz und Schutz der Familien. 70 % der Beschäftigten im Einzelhandel sind weiblich, nicht wenige davon allein erziehend. Für sie und ihre Familien bedeuten Arbeitszeiten am Abend, in der Nacht oder an Sonn- und Feiertagen eine unnötige Belastung, die die Teilhabemöglichkeit am gemeinsamen Leben in der Familie und der Gesellschaft weiter einschränkt.

Wer "shoppen rund um die Uhr" vertritt, verhält sich nicht nur mittelstandsfeindlich, der muss vorher auch für Ganztagsschulen und erweiterte Kinderbetreuungsangebote sorgen.

Der erweiterte Ladenschluss ist in seiner konkreten Auswirkung eben nicht familienfreundlich, wie sie das in ihrer Gesetzesbegründung glauben machen wollen, sondern familienfeindlich. In Ihrer Begründung sprechen Sie von einer Entzerrung der Arbeitszeit. Auf dem Papier hört sich das wunderbar an, in Realität sieht das aber dann doch so aus: kein gemeinsamer Wochenendausflug mehr, weil Mama arbeiten muss. Gemeinsames Abendessen (in vielen Familien oft die einzige gemeinsame Mahlzeit): Fehlanzeige!

Nachtarbeit in Läden ist zudem nicht nur unsozial und ungesund, sondern auch gefährlich. Allein in der Kette Kaufland gab es z.B. im Jahr 2005 155 Überfälle mit Waffengewalt, und das bei den bisher geltenden Öffnungszeiten bei Tag. Das Gefährdungspotential steigt zukünftig an, wenn es mit immer weniger Personal immer mehr Nachtöffnungen gibt.

Ein weiterer Nachteil der grenzenlosen Ladenöffnung besteht in der Ausgrenzung der Menschen und Läden die auf den ÖPNV in der Fläche angewiesen sind. Die Kernzeiten des ÖV enden dort vielfach mit den üblichen Arbeitszeiten. Damit verschärft sich der Standortnachteil für dortige Geschäfte und es entsteht zusätzlicher Druck in Richtung Handelskonzentration.

Es gibt also eine Menge Gründe anders mit der neuen Freiheit zur Bestimmung des Ladenschlusses umzugehen, als dies FDP und CDU das in Niedersachsen machen wollen.

Sachsen-Anhalt hat zumindest zugesagt, vorher soziale Rahmenbedingungen für längere Ladenöffnung rechtlich zu schaffen, und das CDU-geführte Saarland behält zum Beispiel einfach die alte Bundesregelung.

Anrede,

die Landeskompetenz den Ladenschluss festzulegen sollten wir nutzen, um erstens das weitere Ausbluten der Ortskerne zu stoppen, zweitens den Mittelstand mit seinen Möglichkeiten und Qualitäten zu stärken, und drittens die Bedingungen für die Beschäftigten nicht zu verschlechtern, sondern, wenn möglich, sozial besser abzufedern.

Das von uns als Lösung favorisierte "Cityprivileg" erfüllt diese Anforderungen, weil es mehr Öffnung nur in Ortskern-Lagen und Stadtteilzentren zulassen würde.

Die Entscheidungsbefugnis dafür wollen wir nach einer landesrechtlichen Rahmensetzung auf kommunaler Ebene ansiedeln. Dort wissen Händler und Räte am besten, was für ihren Standort gut ist.

Ich will das näher erläutern: Es gibt bisher gefühlte Kernzeiten des Stadtlebens. Längerer Einkauf gefährdet aber die Kernzeiten von Kultur und Freizeit. Das gesamte Sozialgefüge einer Kommune kann dadurch in Unordnung geraten und statt mehr Belebung kann es sogar zu mehr Verödung kommen, wenn wichtige Angebote nicht mehr wirtschaftlich nebeneinander bestehen können.

Deshalb muss eine erweiterte Ladenöffnung, wenn sie denn vor Ort gewollt wird, im Konsens entschieden werden, ohne Druck oder besser gesagt Konkurrenzdruck von außen.

Unser Angebot zum erarbeiten einer internen angepassten Lösung wird auch regional abgestimmte Konzepte fördern, weil durch die einschränkende Rahmensetzung ein regionales Gleichgewicht austariert werden kann.

Wir sind nach den Erfahrungen mit dem bisherigen Ladenschluss übrigens überzeugt, dass bei dem Cityprivileg nur sehr moderat von einem größeren Öffnungsrahmen Gebrauch gemacht würde. In den meisten Fällen dürften die Abstimmungsprozesse eine Beibehaltung der derzeitigen Regelungen ergeben, weil es den meisten Nutzen bringt.

Zusätzliche Öffnungszeit auf grüner Wiese und an Sonntagen, so wie CDU/FDP das wollen, lehnen wir entschieden ab, weil damit lediglich eine neue ruinöse Wettbewerbsspirale angestoßen wird.

Wir stellen uns mit unserem Vorschlag auf die Seite der Beschäftigten, der Gewerkschaften, des Mittelstandes wie Bäcker- oder Fleischerhandwerk und der Kirchen, die alle mit guten Gründen gegen das Gesetz von FDP und CDU sind.

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