Rede Elke Twesten: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Verfassung
Landtagssitzung am 08.05.2012
Elke Twesten, MdL
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
ursprünglich wollten wir diesen Antrag im Novemberplenum vergangenen Jahres erstmals beraten, genau gesagt am 09.11.2011, jenem Tag der als Reichsprogromnacht in die Geschichte eingegangen ist – Herr Dinkla hat seinerzeit auf die Bedeutung des Datums mit Blick auf die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung hin zur systematischen Verfolgung und Vernichtung hingewiesen, dem in unserem Land erst 1945 ein Ende bereitet werden konnte.
Neben Juden und Behinderten gab es eine weitere Bevölkerungsgruppe, die erst diskriminiert, später ebenso systematisch verfolgt wurde.
Nach der Verschärfung des Paragraphen 175 StGB im Jahr 1935 und der Einrichtung der "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung" durch Sondererlass von Heinrich Himmler wurden Schwule zu hunderttausenden juristisch verfolgt und in die Konzentrationslager verschleppt – viele kamen zu Tode.
Diese organisierte Form der Verfolgung endete mit der Befreiung vom Nationalsozialismus, die gesetzliche Diskriminierung aber nicht, denn man kehrte am 11. Dezember 1957 lediglich zu der Variante des Paragraphen 175 zurück, wie sie vor 1935 bestand – Homosexualität galt weiterhin als sittenwidrig.
Meine Damen und Herren,
es dauerte dann fast vier Jahrzehnte bis der sogenannte "Schwulenparagraph" 1994 abgeschafft wurde. Was jedoch nicht bedeutete, dass es von da an keinerlei Diskriminierungen mehr gab. Jüngstes, unwürdiges Beispiel für die alltägliche Diskriminierung ist die Ächtung eines schwulen Bewerbers für einen Grundschulleitungsposten im Oldenburger Land in Rechterfeld – wie titelte die taz – Schwulenfeindlichkeit in Reinkultur – und nicht nur Schwule, sondern auch Lesben, Bisexuelle, Intersexuelle, Transgender und Transsexuelle sehen sich alltäglichen Diskriminierungen ausgesetzt.
Zwar hat in den letzten Jahren ein gesellschaftlicher Wandel eingesetzt und die Akzeptanz gegenüber anderen sexuellen Identitäten als der Heterosexualität ist gewachsen, aber hat das bisher zur Folge gehabt, dass diese Personengruppen auch vor dem Gesetz gleich sind? Nein. Noch immer besteht Ungleichbehandlung, wenn ich bspw. an das Adoptionsrecht denke, viel schlimmer für unser Zusammenleben allerdings ist, wie das Beispiel Rechterfeld zeigt, die offensichtlich zur Schau getragene gesellschaftliche Unfähigkeit und Feigheit, die diesem Vorfall so unglaublich werden lässt.
Meine Damen und Herren,
nicht zuletzt unsere Niedersächsische Verfassung wird unserer Geschichte gerecht und verbietet im Artikel 3 Absatz 3 die Benachteiligung u.a. aufgrund des Glaubens und religiöser Anschauungen. Ebenso tut es unser Grundgesetz sowie die Grundrechte-Charta der Europäischen Union – letztere trägt aber auch der Verfolgung von Nichtheterosexuellen in unserer jüngeren Geschichte Rechnung und beinhaltet von daher einen Passus zum Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Identität.
Mit Aufnahme einer entsprechenden Formulierung, wie es der LSVD angeregt und die Fraktion Die Linke beantragt hat, würden wir uns in Niedersachsen nicht nur den Ländern Berlin, Bremen und Brandenburg sowie dem Saarland anschließen, sondern eine klare Aussage treffen: Die Diskriminierung, Benachteiligung und Herabsetzung von Menschen wegen ihrer sexuellen Identität ist das, was es ist: nämlich Unrecht!
Meine Damen und Herren,
ich bin mir darüber im Klaren, dass allein mit der vorgeschlagenen Ergänzung die alltägliche Diskriminierung in den Köpfen noch nicht verschwinden wird.
Ich bin mir aber sicher, dass diese Formulierung ein entscheidender Bestandteil einer wirksamen Strategie sein wird, mit der eine Veränderung der Einstellungen und Verhaltensweisen erreicht werden kann, allein schon, weil wir damit ein Instrument an die Hand bekommen, womit wir allen und jedem immer dann, wenn es zu ähnlichen Ereignissen wie in Rechterfeld kommt, einen Spiegel vorhalten können, um uns unsere offenbar immer noch vorhandene gesellschaftliche Unfähigkeit mit Homosexualität umgehen zu können, vor Augen zu führen. Diskriminierungsverbote allerdings sind Leitlinien, die deutlich machen, welches Verhalten in einer Gesellschaft akzeptiert wird und welches nicht.
Wir wollen das leider immer noch vorhandene ausgrenzende Verhalten gegenüber Lesben und Schwulen, Bi- und Intersexuellen sowie Transgender und Transsexuellen nicht akzeptieren und schließen uns der Forderung, das Benachteiligungsverbot in Art. 3 Abs. 3 der NDS Verfassung um die "sexuelle Identität" zu ergänzen, an.