Rede Elke Twesten: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Verfassung

Landtagssitzung am 09.11.2011

Elke Twesten, MdL

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,

zu Beginn der Plenarsitzung hat der Landtagspräsident bereits auf die Bedeutung des heutigen Datums in der deutschen Geschichte hingewiesen, er hat deutlich gemacht, dass die Reichspogromnacht den Übergang von der Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung hin zur systematischen Verfolgung und Vernichtung darstellt, dem in unserem Land erst 1945 ein Ende bereitet werden konnte.

Neben Juden und Behinderten gab es eine weitere Bevölkerungsgruppe, die erst diskriminiert, später ebenso systematisch verfolgt wurde.
Nach der Verschärfung des Paragraphen 175 StGB  im Jahr 1935 und der Einrichtung der "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung" durch Sondererlass von Heinrich Himmler wurden Schwule zu Hunderttausenden juristisch verfolgt und in die Konzentrationslager verschleppt – viele kamen zu Tode.

Diese organisierte Form der Verfolgung endete mit der Befreiung vom Nationalsozialismus, die gesetzliche Diskriminierung aber nicht, denn man kehrte am 11. Dezember 1957 lediglich zu der Variante des Paragraphen 175 zurück, wie sie vor 1935 bestand – Homosexualität galt weiterhin als sittenwidrig.

Meine Damen und Herren,

es dauerte dann fast vier Jahrzehnte bis der sog. "Schwulenparagraph" 1994  abgeschafft wurde. Was jedoch nicht bedeutete, dass es ab da keinerlei Diskriminierungen mehr gab. Nicht nur Schwule, sondern auch Lesben, Bisexuelle, Intersexuelle, Transgender und Transsexuelle sehen sich alltäglichen Diskriminierungen ausgesetzt.

Zwar hat in den letzten Jahren ein gesellschaftlicher Wandel eingesetzt und die Akzeptanz gegenüber anderen sexuellen Identitäten als der Heterosexualität ist  gewachsen, aber hat das bisher zur Folge gehabt, dass diese Personengruppen auch vor dem Gesetz gleich sind? Nein. Noch immer besteht Ungleichbehandlung, wenn ich beispielsweise an das Adoptionsrecht denke.

Meine Damen und Herren,

nicht zuletzt unsere Niedersächsische Verfassung trägt unserer Geschichte Rechnung und verbietet im Artikel 3 Absatz 3 die Benachteiligung unter anderem aufgrund des Glaubens und religiöser Anschauungen. Ebenso tut es unser Grundgesetz sowie die Grundrechte-Charta der Europäischen Union – letztere trägt aber auch der Verfolgung von Nichtheterosexuellen in unserer jüngeren Geschichte Rechnung und beinhaltet von daher einen Passus zum Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Identität.

Mit Aufnahme einer entsprechenden Formulierung, wie es der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) angeregt und die Fraktion Die Linke beantragt hat, würden wir uns in Niedersachsen nicht nur den Ländern Berlin, Bremen und Brandenburg sowie dem Saarland anschließen, sondern eine klare Aussage treffen: Die Diskriminierung, Benachteiligung und Herabsetzung von Menschen wegen ihrer sexuellen Identität ist das, was es ist: nämlich Unrecht!

Meine Damen und Herren,

ich bin mir darüber im Klaren, dass allein mit der vorgeschlagenen Ergänzung die alltägliche Diskriminierung in den Köpfen noch nicht verschwinden wird.

Ich bin mir aber sicher, dass diese Formulierung  ein entscheidender Bestandteil einer wirksamen Strategie sein wird, mit der eine Veränderung der Einstellungen und Verhaltensweisen erreicht werden kann, allein schon, weil dann benannt wird, woran es immer noch krankt. Diskriminierungsverbote allerdings sind Leitlinien, die deutlich machen, welches Verhalten in einer Gesellschaft akzeptiert wird und welches nicht.

Wir wollen das leider immer noch vorhandene ausgrenzende Verhalten gegenüber Lesben und Schwulen, Bi- und Intersexuellen sowie Transgender und Transsexuellen nicht akzeptieren und schließen uns der Forderung an, das Benachteiligungsverbot in Art. 3 Abs. 3 der NDS Verfassung um die "sexuelle Identität" zu ergänzen.

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