Rede Dorothea Steiner: Wir machen das Klima – Nachhaltig für Niedersachsen! Rat für Klimafragen einrichten

Anrede,

"Der Befund ist deprimierend, wenn auch alles andere als überraschend: 15 Jahre nach dem großen Umweltgipfel in Rio und zwei Jahre nach den Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls werden weltweit immer mehr Treibhausgase in die Luft geblasen". So kommentiert Wolfgang Roth das akute Stadium des Klimawandels in der Süddeutschen Zeitung. Die Folgen der Erderwärmung werden viele Jahre lang spürbar sein, selbst dann, wenn die internationale Staatengemeinschaft ihren Kurs radikal ändern würde. Denn das Klima reagiert träge: wir bekommen jetzt  die Quittung für die letzten dreißig Jahre und Anstrengungen heute zur Abschwächung des Klimawandels werden sich erst bis 2050 auszahlen.

Der Anstieg des Meeresspiegels, die Ausdehnung der Meere und die Veränderung des Salzgehaltes führen schon jetzt zu weltweiten Klimaveränderungen. Mit der Verringerung der arktischen Eisflächen und der Gletscherschmelze werden zusätzliche Wärmemengen in die Atmosphäre gepumpt. Längere Trockenperioden, räumliche und zeitliche Verschiebungen der Niederschläge, stärkere Hochwasser und Stürme verursachen weltweit erhebliche Veränderungen der Lebensbedingungen für Menschen, Tiere und Pflanzen.

Anrede

Als kritische Grenze für den Klimawandel gilt eine Erwärmung von zwei Grad Celsius über dem Niveau zu Beginn der Industrialisierung. Eine solche Begrenzung des Temperaturanstiegs wäre zu erreichen, wenn es gelänge, die Konzentration des CO² in der Atmosphäre auf 550 ppm zu begrenzen. Heute liegt sie bereits bei 380 ppm.

Selbst das wäre kein Wohlfühlszenario. Auch wenn mancher und manche in Norddeutschland sich sagen: zwei bis drei Grad wärmer wäre doch nicht von Schaden, hat das auch in Deutschland seinen Preis: Hitzewellen im Sommer und Sturzregen im Winter. Wir brauchen ja nur an das letzte Elbehochwasser zu denken. Die Vegetation wird sich verändern, die Wälder werden andere werden. Ob die Buchenwälder überleben, hängt von der Höhe des Temperaturanstiegs ab.   

Modellrechnungen des Umweltbundesamtes  lassen einen Anstieg der Jahresmitteltemperatur bis zum Jahr 2100 im Vergleich zum Zeitraum 1961 bis 1990 um 1,5 bis 3,7 Grad Celsius erwarten. Als sehr wahrscheinlich gilt eine  Erwärmung um 2 bis 3 Grad C, die sich saisonal unterschiedlich stark ausprägen wird. Der größte Temperaturanstieg ist im Winter zu erwarten. Die sommerlichen Niederschläge könnten sich bis zum Jahr 2100 um 30 Prozent verringern.

Ganz andere Wirkungen als bei uns hat eine Erwärmung des Erdklimas um 2 Grad für den Süden. In der letzten Ausgabe des "Spiegel" finden sie in einer Skala von 1° bis 5° Erwärmung bei 2° folgendes Szenario: Das südliche Afrika und die Mittelmeerregion verfügen über 20 bis 30 Prozent weniger Wasser. 40 bis 60 Millionen Menschen mehr erkranken in Afrika an Malaria. 15 bis 40 Prozent aller Arten drohen auszusterben, zum Beispiel Eisbären, Karibus und viele Amphibien. Das Abschmelzen des grönländischen Eispanzers kommt irreversibel in Gang.

Wer noch einen weiteren Impuls braucht für den Handlungsbedarf in Fragen des  Klimawandels, kann sich dort die Szenarien bei 3° 4° und 5° Erwärmung ansehen.

Anrede

Bereits jetzt ist schon überdeutlich, dass der Klimawandel und seine Folgen nicht allein ins Ressort Umweltpolitik gehören, sondern dass die ökonomischen Auswirkungen heftig sein werden. Nach vorläufigen Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung könnten die Kosten in Deutschland bis 2050 auf jährlich 27 Milliarden Euro ansteigen. Hier geht es nicht mehr um virtuellen Umweltschutz und um moralisch implizierte Diskussionen über die Verantwortung der Länder des Nordens für die Entwicklung im Süden des Globus, es geht um die ökonomischen Folgen unserer eigenen Wirtschaftsweise. Und diese Folgen kosten Milliarden, die erst einmal aufgebracht werden müssen.

Für das Zwei-Grad-Ziel müsste man ein halbes Prozent des Bruttosozialprodukts investieren, hat der Physiker Schellnhuber errechnet. Es würde das Wirtschaftswachstum bis Ende des Jahrhunderts nur um drei Monate reduzieren. Sollen wir da noch fragen, ob wir diese Investitionen aufbringen können?

Anpassung an den Wandel bietet aber auch eine Möglichkeit für technische und gesellschaftliche Innovationen und damit Chancen für wirtschaftliche Entwicklung, wir müssen nur die erreichte Einsicht in Handlungen umsetzen.

Die notwendige Anpassung an den Klimawandel stellt uns auch in Deutschland vor schwierige Fragen: Wie kann eine Strategie zur Anpassung an die Klimaänderungen aussehen? Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden? Wer hat sie umzusetzen und bis wann? Welche Rolle spielen Staat und Verwaltung und welche die Zivilgesellschaft?

Die Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs, verbunden mit einer ab Mitte des Jahrhunderts zu erwartenden signifikanten Zunahme schwerer Stürme, stellt eine erhebliche Herausforderung für den Küstenschutz an Nord und Ostsee dar. 

Anpassungsmaßnahmen zur Sicherung des Küstenraums, seiner Infrastruktur und seiner Bevölkerung bergen teilweise erhebliche Konfliktpotentiale, sie werden gesellschaftliche Standards in Frage stellen und umfangreiche Investitionen erfordern und tief in die Raum- und Landesplanung eingreifen.

Es ist zu klären: Brauchen wir weitere Deichlinien wie in den Niederlanden und brauchen wir Sturmflutwerke in den Flussmündungen wie vor London oder Rotterdam?

Gleichzeitig wissen wir nicht genau, wie weit wir die Erderwärmung werden begrenzen können – die unsicherste Variable  ist der Mensch. Das ist eine  Rechnung mit mehr als einer Unbekannten, deshalb sind sowohl Prognosen wie Handlungskonzepte mit Unsicherheiten behaftet.

Meine Damen und Herren,

wir schlagen Ihnen vor, einen Sachverständigenrat für Klimafragen einzurichten, der Fachkompetenz aus allen betroffenen gesellschaftlichen Bereichen versammelt. Seine erste Aufgabe soll es sein, die ökonomischen und ökologischen Auswirkungen des Klimawandels für Norddeutschland abzuschätzen und entsprechende Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel vorzuschlagen. Wir wollen diese Aufgabe nicht auf Niedersachsen beschränken, wir müssen alle norddeutschen Küstenländer mit einbeziehen, anders wäre es Stückwerk.

Die zweite Aufgabe dieses Rates wird es sein, ein Konzept aus wirksamen Schritten zur Minderung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase zu erarbeiten.

Das Mindeste, was wir erreichen müssen, ist, den Ausstoß dieser Gase um 25 Prozent bis 2020 zu reduzieren. Das muss unser Beitrag sein, wenn die Erderwärmung auf tatsächlich  n  u r  auf einen Anstieg von zwei Grad gegrenzt sein soll.

Ich kann zwar das Gemurre bereits hören "Schon wieder ein Beirat – den brauchen wir nicht" im positiven Fall "Wir machen das schon selber". Aber ich sage Ihnen, es ist keine Schande für eine Landesregierung und ein Landesparlament, sich zur Bewältigung einer derartigen Aufgabe Sachverstand aus vielen Bereichen zu holen und sich an den Vorschlägen eines solchen Sachverständigenrates zu orientieren. Und leider muss ich feststellen, dass bisher ernsthafte Anstrengungen, ein wirksames Klimafolgenkonzept für Niedersachsen oder gar für die norddeutschen Länder zu erstellen, nicht erkennbar sind. Eine kleine Polemik gestatte ich mir: Der Kabinettsbeschluss über den Nachhaltigkeitsbericht, den wir in ihm Sommer präsentiert bekamen, ist dafür nicht mal ein Placebo. Zumal: Im nächsten Jahr will die Landesregierung dann eine Nachhaltigkeitsstrategie vorstellen und – so meine polemische Einschätzung – die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Strategie werden dann wohl in den Folgejahren vorgelegt. So geht das nicht.

In Wirklichkeit ist die Sache zu ernst, als dass man sie mit den üblichen parteipolitischen Frontstellungen angehen dürfte und deshalb appelliere ich an Sie, diesen Vorschlag ernsthaft zu bedenken, bevor Sie versuchen, ihn in der Tonne "Unsinnige Vorschläge der Opposition" zu versenken.

Anrede

Die letzte repräsentative Umfrage des Umweltbundesamtes hat ergeben, dass zum ersten Mal eine Mehrheit von Menschen angegeben hat, dass sie der Klimawandel persönlich beträfe. Wenn wir daran anknüpfen und auch eine andere Form von Kommunikation  mit den Menschen etablieren, dann werden wir auch die notwendige Akzeptanz für zweifellos einschneidende Maßnahmen erreichen.

Wir müssen nur jetzt damit beginnen.

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