Rede Christian Meyer: Tierschutz in der Putenhaltung – eine Herausforderung für die Landesregierung des geflügelreichsten Bundeslandes Niedersachsen

Anrede,

die Tierschutzorganisation PETA hat am 24. September erneut grausame Bilder aus der Haltung von Puten gezeigt, jetzt aus Ställen bei Cloppenburg. Erstmals wurde von der Landesregierung und der CDU nicht reflexartig die Echtheit der Bilder und die Zuordnung zu den Ställen angezweifelt.

Denn es bleibt Tatsache: Solche unerträglichen Bilder könnte man in fast jedem Putenmaststall drehen.

Denn Tierqual ist in der industriellen Putenmast nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Sie ist Teil des Systems.

Das zeigt auch eine Kleine Anfrage unserer Fraktion zum grausamen Kürzen der Putenschnäbel. Laut Tierschutzgesetz - so erklärt eine Sprecherin des Bundesagrarministeriums in der taz vom 2.10.2010 - ist das Entfernen der Schnabelspitze verboten. Das gilt als schmerzende Amputation. Die Behörden können aber Ausnahmen erteilen.

In Niedersachsen werden jährlich 63.825.000 Ausnahmegenehmigungen in sechs Brütereien erteilt. Eine Einzelfallprüfung ist das sicher nicht. Grausames Kieferentfernen ist vielmehr die Regel. Dabei sind in der Schnabelspitze auch viele Gefühlsorgane und die Tiere erleiden unerträgliche Schmerzen. Eine Brüterei in der jährlich Millionen Küken die Schnabelspitze entfernt wird, ist auch das Unternehmen Grotelüschen in Ahlhorn.

Aber das Schnabelamputieren ist nicht alles. Eine umfangreiche Studie im Auftrag der Bundesregierung kommt zu dem Ergebnis, dass es durch die hochgezüchteten Rassen und die Haltungsbedingungen bei fast 100 Prozent der Tiere zu schweren Fussballenerkrankungen kommt. Auch das gegenseitige Picken trotz amputierter Schnabelspitzen sowie Kannibalismus sind in den engen Ställen leider grausame Regel.

Der anerkannte Professor Hartung von der Tierärztlichen Hochschule Hannover erklärte dazu in der Neuen Presse vom 4. September 2010 anlässlich der Putenmastskandale von Frau Grotelüschen: "Wir sind an einer Grenze angelangt, wo wir darüber nachdenken müssen, wie wir diese Hochleistungstiere artgemäß und tierschutzgerecht halten können. (...) Zuchtfortschritt sollte nicht nur auf Leistungssteigerung ausgerichtet sein, sondern besonders auch auf eine Verbesserung der Tiergesundheit, eine höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber Erkrankungen und auf die Erhaltung des Wohlbefindens der Tiere." Die meisten Tierschutz-Probleme hängen aus Sicht Hartungs mit einem zu schnellen Wachstum zusammen. "Wenn die Tiere sehr schnell an Gewicht zulegen und die Knochen nicht rasch genug mitwachsen, kann es leicht zu Skelettdeformationen kommen. Dann ist die Bewegung eingeschränkt und es ist zu vermuten, dass es hier auch zu Schmerzen kommen kann."

Anrede,

in der Putenmassentierhaltung gibt es keine verbindlichen gesetzlichen Vorgaben wie in anderen Bereichen, sondern nur das allgemeine Tierschutzgesetz und eine freiwillige Vereinbarung. Demnach sind drei ausgewachsene Puten pro Quadratmeter erlaubt. Doch selbst diese grausame Enge wird in der Realität oft noch überschritten wie die zitierte Studie der Bundesregierung zeigt.

Maximales Gewinnstreben mit billigstem Fleisch findet auf dem Rücken der Tiere statt.

"Nur Bioanbieter engagieren sich für den Tierschutz", heißt es in der Oktober-Ausgabe der von der Bundesregierung geförderten Zeitschrift der Stiftung Warentest.

Laut test hat die Industrie in der Massentierhaltung (Zitat) "den Blick für die Würde der Tiere verloren". Die Muskeln der hochgezüchteten Tiere wüchsen in riesigen Ställen so schnell, dass die Tiere Schmerzen litten.

Anrede,

ich könnte viele weitere Beispiele und Probleme der jetzigen Putenhaltung ansprechen. Vom Medikamenteneinsatz, Brustblasen bis zur Beleuchtung, Einstreu und Ablenkungsmöglichkeiten.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen mehr Tierschutz in der Putenhaltung. Wir wollen, dass endlich Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutz gefördert werden und nicht 6,5 Millionen für einen Megaschlachthof in Wietze verschwendet werden. CDU und FDP setzen einseitig auf den weiteren Ausbau und Schutz der tierquälerischen Massentierhaltung. Das werden Ihnen die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr durchgehen lassen. Die Menschen wollen eine artgerechte Tierhaltung und keine Qualzuchten.

Ministerpräsident McAllister hat angesichts der offensichtlichen Lobbytätigkeit der Ministerin Grotelüschen für diese Qualhaltungsformen zu einer generellen Grundsatzdebatte über die Landwirtschaft aufgerufen. Wir wollen diese Debatte über bäuerliche Landwirtschaft, Wirtschaftlichkeit, Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz gerne führen!

Und bitte sagen Sie nicht beim Tierschutz sei Niedersachsen Vorreiter. Bei der Käfighaltung hatte Niedersachsen unter Ihrer Regierung - siehe Ehlen-Ecke - rechtswidrig die kleinsten Käfige bundesweit. 12 Prozent weniger Platz als in allen anderen Bundesländern. Und auch beim artgerechten Biolandbau sind Sie bundesweit Schlusslicht. Niedersachsen hat mit 2,9 Prozent den geringsten Bioanteil aller Bundesländer. Hessen hat 9,3 Prozent, Brandenburg über 10,5 Prozent. Das liegt auch daran, dass Niedersachsen mit Abstand die geringste Förderung des Ökolandbaus betreibt und hier weiter kürzen will. Für die Massentierhaltung und ihre Subventionen ist immer Geld da - siehe Wietze, das Sie mit der höchsten Wirtschaftsförderung gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung durchsetzen wollen.

Bei den letzten Tierschutzskandalen hat sich Ministerin Grotelüschen einseitig auf die Seite der Mäster gestellt und hier im Plenum Tierschützer und die Opposition beschimpft. Jetzt wird sie wieder eine Märchenrede von hohen Tierschutzstandards halten, die der Realität nicht entsprechen. Stattdessen regieren bei Ihnen die Agrarindustrie und das Profitinteresse der Branche! Mit dieser Ministerin hat Wulff Ihnen wirklich ein Ei ins Nest gelegt. Aber das ist Ihr Problem, nicht unseres.

Anrede,

in der Putenmast sind neben der Hühnermast die Probleme zurzeit am größten. Niedersachsen ist größter Massentierhalter der Republik. Eine Vorgabe in Niedersachsen hätte Vorbildcharakter für die ganze Republik. Die Zustände schreien nach einer Lösung.

Wir hoffen daher auf eine ausführliche Debatte im Ausschuss. Und wir hoffen auch, dass Sie die Ablehnung einer öffentlichen Anhörung zur Putenhaltung  noch einmal überdenken.

Wir sollten das unbestreitbare Tierschutzproblem in der Putenmast gemeinsam angehen und nicht wegleugnen.

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