Rede Belit Onay: Gesetzentwurf (Landesregierung) und Antrag (Grüne) zum Polizeigesetz

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin,

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit der Einbringung dieses Polizeigesetzes tritt noch eine bemerkenswerte Tatsache zu Tage. Ein bisschen wie die Geschichte hinter der Geschichte.

Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen für ein paar anerkennende Worte. Sozusagen für ein politisches Comeback. Das fällt mir wahrlich nicht leicht, aber es verdient doch gewissermaßen Anerkennung.

Noch 2013 wurde der damalige Innenminister Uwe Schünemann und die gesamte schwarz-gelbe Landesregierung abgewählt. Abgewählt insbesondere für eine wirklich schlechte Innenpolitik.

Rot-Grün hat damals mit Innenminister Boris Pistorius den Paradigmenwechsel in der Innen-, Sicherheits- und Flüchtlingspolitik eingeläutet und vollzogen.

Heute im Jahr 2018 allerdings ist die Welt eine andere: Uwe Schünemann diktiert dem Innenminister den Zeitplan des Polizeigesetzes, die Inhalte des Gesetzes und verkündet sie an alter Wirkungsstätte im Innenministerium.

Der amtierende Innenminister wirkt bestenfalls nur noch als Getriebener. Man merkt ja an der gegenseitigen Körpersprache, dass die Zuneigung nicht besonders groß ist. Aber dagegen anzukommen, vermag die SPD auch nicht.

Diesen Werdegang in fünf Jahren muss man also erstmal hinkriegen.

Das ist politisch schlecht für Niedersachsen, aber schön für Sie.

Der Gesetzentwurf ist aber auch schon deshalb erstaunlich, weil hier eine massive Erweiterung polizeilicher Befugnisse vorgesehen ist, obwohl die SPD selbst noch vor ein paar Monaten den Innenminister dafür in einer Aktuellen Stunde abgefeiert hat, wie sicher doch Niedersachsen sei.

Wie passt das jetzt zusammen?

Selbst der Heimatminister Horst Seehofer bestätigte zuletzt, dass Deutschland so sicher sei, wie seit 25 Jahren nicht mehr.

Und trotzdem begibt sich Niedersachsen mit diesem Gesetzentwurf in einen bundesweiten Wettkampf, wer die Bürgerrechte am schnellsten und weitesten herunterschraubt.

Leider ist Niedersachsen hier gut im Rennen.

Doch wie schon 2013, so wollen auch jetzt die Menschen in unserem Land solche rückwärtsgewandten Vorstöße nicht.

Eindrucksvoll haben über 30.000 Menschen in München gegen das neue bayrische Polizeigesetz demonstriert.

Dies zeigt die breite Sensibilisierung im Land gegenüber dieser Angstpolitik!

Und auch in Niedersachsen muss und wird es Widerstand geben gegen Ihre Vorhaben.

Das versichere ich Ihnen!

Zum Beispiel zu Ihrem Vorhaben, die Präventivhaft auf 74 Tage hochzusetzen.

Der präventive Gewahrsam als Form der Freiheitsentziehung stellt einen der schwerwiegendsten Grundrechtseingriffe dar, weshalb die verfassungsrechtlichen Anforderungen an seine Rechtfertigung extrem hoch sind.

Darum liegt in fast allen Bundesländern die Höchstdauer restriktiv ausgestaltet.

Ein plötzlicher Sprung auf 74 Tage ist offensichtlich unverhältnismäßig.

Besonders gewundert habe ich mich dabei über die Aussagen unserer Justizministerin Barbara Havliza, die das Ganze als „beschützte Freiheit“ zu verniedlichen versucht hat.

Selbstverständlich ist es eine der wichtigsten Aufgaben des Staates, Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt und Terror zu schützen. Aber auch Menschen, die ihre Lebenszeit in einer Zelle verbringen müssen, obwohl sie niemals eine solche Tat begehen würden, sind Opfer.

Das kann eine Justizministerin doch nicht einfach so abtun.

Hinsichtlich der Länge ist ein Blick zur Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof hilfreich:

Hiernach ist ein Unterbindungsgewahrsam nur zur „Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung“ möglich.

Diese Verpflichtung muss „sehr eng eingegrenzt sein“; sie muss „spezifisch und konkret“ sein.

Und auch Ort und Zeitpunkt der bevorstehenden Begehung der Straftat sowie ihr potenzielles Opfer/ihre potenziellen Opfer müssen hinreichend konkretisiert worden sein.

Allein daraus wird ein Szenario, dass 74 Tage rechtfertigt, kaum zu konstruieren sein.

Und auch in der Gesetzesbegründung nennen Sie als Beispiel lediglich ausländerrechtliche Verfügungen im Sinne des Aufanthaltsgesetzes. Also die Abschiebungen von Gefährdern, sie denen aus Göttingen.

Doch was ist mit Personen, die nicht abgeschoben werden können? Was ist mit deutschen Gefährdern?

Was passiert mit ihnen dann nach den 74 Tagen?

Und selbst der Richtervorbehalt, den Sie vorsehen, ist doch keine Sicherstellung der Verhältnismäßigkeit.

Bei diesen vagen materiell-rechtlichen Vorgaben, die dem Richter an die Hand gegeben werden, vermengt mit der gesellschaftlichen Terrorangst und einer Justizministerin, die von „beschützter Freiheit“ spricht:

Welcher Richter, welche Richterin soll einen solchen Haftantrag ablehnen?

Und wer soll nach einmal einsperren denn bitte die Frist nicht verlängern?

Auch die Quellen-TKÜ findet sich nun im Gesetzentwurf:

Niedersachsen bekommt seinen Staatstrojaner!

Auch bzgl. der Quellen-TKÜ mangelt es dem Gesetzesentwurf offensichtlich an der Verhältnismäßigkeit.

Das BVerfG hat mit dem sog. Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme explizit anerkannt, dass die Integrität der Kommunikation ein Rechtsgut mit dem Rang eines Grundrechts ist.

Verfassungsrechtlich besteht das Problem darin, dass die Quellen-TKÜ eine ganz erheblich höhere Eingriffsqualität mit sich führt als herkömmliche TKÜ.

Der Niedersachsen-Trojaner erfordert dagegen zunächst einen Einbruch in das informationstechnische System (Computer bzw. Smartphone), um dieses zu infiltrieren.

Staatliches Hacking wird dadurch nicht nur legitimiert, sondern durch die Ausweitung zum Alltagsmittel der Sicherheitsbehörden.

Staatliches Hacking birgt eine strukturelle Gefahr für die Allgemeinheit, da diese Sicherheitslücke nicht nur Bösewichte betrifft, sondern alle Nutzer solcher Endgeräte.

In unserem Antrag fordern wir hingegen wichtige Instrumente zur rechtsstaatlichen Stärkung:

Da ist zum Beispiel die Kennzeichnungspflicht.

Eine Kennzeichnungspflicht hat nichts mit einem Misstrauensvotum gegenüber der Polizei zu tun. So wie in allen anderen Bereichen staatlicher Verwaltung soll sie sicherstellen, dass Rechtsschutz und rechtsstaatliche Kontrolle effektiv und modern ausgestaltet sind. Es ist sogar ganz im Gegenteil so, dass sich eine Kontrolle der Verwaltung und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre Arbeit gegenseitig bedingen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bekräftigt sogar, dass, soweit die zuständigen nationalen Behörden maskierte Polizeikräfte einsetzen um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten oder Verhaftungen durchzuführen, diesen Kräften vorgeschrieben sein sollte, sichtbare Unterscheidungsmerkmale wie etwa eine Identifikationsnummer zu tragen.

Andernfalls drohe laut EGMR „praktische Straffreiheit“ für Polizeibeamte.

Ein weiterer Punkt ist die Weiterentwicklung der Beschwerdestelle und Einführung einer Polizeibeauftragten.

Was hat die CDU da in der letzten Legislaturperiode nicht rumgepoltert. Von Misstrauensstelle war die Rede, Polizeifeindlichkeit wurde uns vorgeworfen!

Und dann kam die große Überraschung. Da schaue ich in den Koalitionsvertrag, und was sehe ich da:

Die Beschwerdestelle soll im Innenministerium in ein Qualitätsmanagement für die gesamte Landesverwaltung überführt werden.

Bedeutet dies nun, dass man die Arbeit der Beschwerde gut findet oder ist das ein Misstrauen gegenüber der gesamten Landesverwaltung?

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