Rede Anja Piel: Unterrichtung durch die Landesregierung zur aktuellen Sicherheitslage in Niedersachsen

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

die Gewalt, die in der Silvesternacht in Köln und in anderen Städten Frauen erfahren mussten, hat uns erschüttert. Ich bin mir sicher, dass ich für uns alle spreche, wenn ich den Opfern der Übergriffe unser Mitgefühl ausspreche.

Diese Vorfälle müssen jetzt vollständig aufgeklärt und Gesetze konsequent angewandt werden. Völlig unangemessen aber ist der  Überbietungswettbewerb an Vorschlägen zur Verschärfung asylrechtlicher Regelungen.

Anrede,

ich bin froh, zu wissen, dass es in Niedersachsen ein besonderes Augenmerk auf Straftaten im Umfeld von Flüchtlingen legt. Das hat die Unterrichtung von Innenminister Boris Pistorius deutlich gemacht.

Straftaten, bei denen Asylsuchende als Tatverdächtige ermittelt wurden, werden seit November 2015 erfasst. Was diese Zahlen zeigen: Nur ein sehr kleiner Anteil der Flüchtlinge wird straffällig. Ich hoffe, diese Zahlen leisten einen sachlichen Beitrag zur aktuellen Debatte, in denen es doch zuweilen zu wenig hilfreichen Pauschalisierungen kommt.

An dieser Stelle möchte ich auch ausdrücklich dem Leiter der Braunschweiger Kriminalpolizei, Herrn Ulf Küch, und seinem Team der Sonderkommission „Zentrale Ermittlungen“ danken. Herr Küch macht sich dafür stark, über Kriminalität von Flüchtlingen vorbehaltlos zu berichten – und stellt sich damit gleichzeitig gegen Pauschalisierungen und Angstmacherei. 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU,

Sie hätten die Zahlen, über die wir heute reden, sicher gut für Ihre Landesvorstands-Klausur gebrauchen können. Es freut uns, wenn Sie in der Pressemitteilung nach der Klausurtagung in Walsrode schreiben, bei der Strafverfolgung und Verurteilung dürfe es keine Rolle spielen, welcher Herkunft die Straftäter sind.

Nach meinem Rechtsverständnis eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die ich in Ihren konkreten Forderungen leider aber nicht wiederfinde. Wenn Geflüchtete, wie Sie es fordern, von der Asylberechtigung bereits ausgeschlossen werden sollen, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt sind – wo bleibt denn da die geforderte Gleichbehandlung?

Ginge es wirklich um eine konsequentere Ahndung etwa von sexualisierter Gewalt, dann müssten Sie doch fordern, den Strafrahmen insgesamt und für alle zu erhöhen.

Meine Bitte an Sie deshalb: nehmen Sie Ihre eigenen Worte ernst!

Anrede,

Wenn Flüchtlinge straffällig werden, sind die Opfer mitunter selbst Geflüchtete.

Es war daher ein wichtiger Schritt, dass unsere Sozialministerin Cornelia Rundt und unser Innenminister Boris Pistorius gemeinsam ein Konzept für den Schutz von Frauen und Kindern in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes erarbeitet haben – und zwar schon vor den Ereignissen in Köln.

Die Menschen sind vor Gewalt und Unsicherheit zu uns geflohen. Umso wichtiger ist es, dass die Einrichtungen unseres Landes sichere Orte sind. Menschen brauchen Rückzugsorte. Mütter brauchen einen Platz, um in Ruhe stillen zu können. Frauen brauchen eigene Räume, eigene Sanitäranlagen. Und sie brauchen, ebenso wie alle anderen Frauen auch Ansprechpartnerinnen, denen sie sich anvertrauen können.

Anrede,

die Zahlen des Innenministeriums zeigen uns nicht nur ein realistisches Bild der so oft thematisierten Straffälligkeit von Geflüchteten.

Sie zeigen uns aber leider auch, dass Flüchtlinge vermehrt Opfer von Straftaten durch Deutsche sind. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Niedersachsen massiv gestiegen. Eine Steigerung von 8 Straftaten im Jahr 2014 auf 110 im Jahr 2015  entspricht einer Steigerung von über 1000 Prozent innerhalb eines Jahres.

Die Bandbreite der Taten reicht vom  Hitlergruß über Volksverhetzung bis hin zum versuchten Mord.

So wie bei dem heimtückischen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Salzhemmendorf. Im allergrößten Teil der dieser Fälle wird von einem rechtsmotivierten Hintergrund ausgegangen.

Anrede,

wir alle beobachten mit großer Sorge, dass die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlinge steigt. Es sinken hier offensichtlich die Hemmschwellen.

Wir müssen uns fragen lassen, warum die Resonanz bei Taten, deren Opfer Geflüchtete sind, so gering ist. Hier gibt es keine Debatten um Strafverschärfungen.

Wir müssen aber Polizei, Justiz und auch die Zivilgesellschaft stärken, um mit dieser Bedrohung umgehen zu können. Eine Bedrohung übrigens nicht nur für die Geflüchteten, sondern für unsere Demokratie insgesamt.

Anrede,

bei allen berechtigten Sorgen, brauchen wir Vertrauen in unsere rechtsstaatlichen Strukturen.

Wer sich jetzt einem Überbietungswettbewerb verliert, wer nach immer neuen Instrumenten, nach immer schärferen Gesetzen ruft, der verstärkt die Ängste der Menschen. Der vermittelt den Eindruck, als hätten wir einen hilflosen Rechtsstaat.

Auch wenn in Köln Fehler gemacht wurden, auch wenn nicht bei jedem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim innerhalb von wenigen Stunden die Täter gefunden werden: Wir haben einen funktionierenden Rechtsstaat.

Aber es ist und bleibt eine fortlaufende Herausforderung, Straftaten zu verhindern. Es ist eine enorme Integrationsaufgabe, den Menschen, die zu uns flüchten, echte Chancen für einen Neuanfang und Sicherheit zu bieten. Und es muss noch viel passieren, bis wir ein gesellschaftliches Klima und eine Rechtsprechung haben, die heimtückische Anschläge, rassistische Übergriffe oder Gewalt an Frauen ausnahmslos ächten.

Aber wir befinden uns nicht Wilden Westen. Wir brauchen keine Bürgerwehren. Und an den polizeilichen Regelungen zum Einsatz von Schusswaffen halten wir fest.

Was wir für die Verhinderung von Straftaten brauchen, ist ein klarer Blick auf die Realität, und ein besonnener Umgang mit der tatsächlichen Gefahr. Dafür geht mein Dank an unseren Innenminister und die unzähligen Menschen im Land, die rund um die Uhr für unsere Sicherheit im Einsatz sind.

Was wir aber nicht brauchen, sind ständig neue Forderungen, die sich aus alten Ressentiments nähren.

Vielen Dank.

Zurück zum Pressearchiv