Rede Anja Piel: Aktuelle Stunde (GRÜNE) zur doppelten Staatsbürgerschaft

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- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

Sie alle kennen sicherlich aus Kindertagen das Kasperletheater mit seinen Handpuppen. In den Märchen kommt zwangsläufig irgendwann der böse Wolf vor, um allen einen Heidenschrecken einzujagen. Daran erinnert mich, dass nun mal wieder die alte Idee aus der Kiste gezogen wurde, denjenigen Deutschen, die auch Türken sind, eine Entscheidung zwischen den Staatsangehörigkeiten aufzuhalsen.

Auch wenn sie, wie meistens, schnell wieder verschwindet, tut sie doch ihren Dienst: Sie jagt den Betroffenen einen Schrecken ein. Und die Argumente für diese Forderung bleiben in der Welt, auch wenn vom Doppelpass schon lange keiner mehr spricht.

Grund genug, sich auch hier im Landtag genauer mit der Forderung zu befassen, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen.

Thomas de Maizière hat sich glücklicherweise von den Forderungen der CDU-Innenpolitiker distanziert. Er hat damit politische Klugheit bewiesen, die der CDU in Niedersachsen offensichtlich fehlt.

So halten Sie, Herr Thümler, beharrlich an der Forderung fest, wie Sie gerade wieder in der Nord-West-Zeitung betont haben: „Wer verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Interessen gerecht werden will,“ sagen Sie dort, „gerät unweigerlich in einen Konflikt.“

Erstmal eine kühne These, die Sie da in den Raum stellen. Was folgern Sie daraus? Ganz einfach: Zwingen wir die Leute zu einer Entscheidung. Entweder ihr erklärt euch zu ‚reinen‘ Deutschen, oder wir erklären euch zu Fremden in dem Land, in dem ihr lebt. Bemerkenswert, wie einfach Konflikte gelöst werden können.

Übrigens argumentieren Sie in anderen Fällen genauso. Weil Sie „in der türkischen Gesellschaft“ – ich nehme an, Sie meinten Deutsche türkischer Herkunft – eine Affinität zu Erdogan feststellen, glauben Sie, nicht mehr mit den muslimischen Verbänden Ditib und Schura reden zu können. Sie pauschalisieren nicht nur gnadenlos, Sie machen auch keine eigenen Vorschläge. Das ist unverantwortlich.

Als es jüngst zu Boykottaufrufen von Geschäften gekommen ist, deren Inhaber dem Gülen-Netzwerk zugeordnet werden, fiel Ihnen nichts Besseres ein, als zu sagen (ich zitiere aus der HAZ vom 15.08.), Sie erwarteten „Handlungen der Landesregierung, diese Leute aus unserem Land herauszuschmeißen.“

Sind das jetzt wirklich die Lösungsvorschläge der CDU? Einfach so zu tun, als hätte die deutsche Gesellschaft mit einem Problem nichts zu tun, weil Sie die Beteiligten als „die Türken“ aus ebendieser Gesellschaft ausklammern?

Herr Thümler,

Sie mögen ja wirklich ein Problem mit transnationalen Identitäten haben. Oder geht es darum gar nicht grundsätzlich, sondern nur im Falle der Deutsch-Türken? Denn dass die CDU die Partei ist, die sich um deutsche Minderheiten im Ausland kümmert, ist ja nicht neu.

Und dass Ihr eigener Noch-Vorsitzender, Herr McAllister, eine doppelte Staatsbürgerschaft hat, scheint auch nicht das Problem zu sein. Wie dem aber auch sei, Sie können doch nicht einfach leugnen, dass es Menschen gibt, die sich als Türken verstehen, und sich auch als Deutsche auffassen, und hier zuhause sind.

Sie argumentieren für eine nationale Homogenität, die es seit Langem nicht mehr gibt und auch nicht mehr geben wird. Gewöhnen Sie sich daran und machen Sie auch Ihren Wählerinnen und Wählern nichts vor.

Wir Grüne sind eine liberale Partei. Und wir sehen überhaupt keinen Grund, daran etwas zu ändern. Wir trauen den Menschen zu, selbst zu entscheiden, mit wem sie sich identifizieren, mit wem sie loyal sind. Ja, wir trauen den Menschen auch zu, die Widersprüche, mit denen sie leben, auszuhalten oder selbst aufzulösen. Das heißt ja nicht, dass es keine Konflikte geben kann.

Aber die lösen wir doch nicht, indem wir exklusive Loyalität verordnen. Was der Staat fordern kann und soll, ist, dass sich die Menschen an seine Gesetze halten. Tun sie es nicht, wird das sanktioniert. Das ist übrigens etwas anderes, als sie einfach „rauszuschmeißen“, Herr Thümler.

Bei dem ganzen Reden um Loyalität gerät ja schnell in Vergessenheit, worum es eigentlich geht. Es geht hier nicht um Treue und Gehorsam. Sondern es geht um die Bereitschaft und die Möglichkeit von Menschen, sich als Teil der Gesellschaft zu begreifen, deren grundsätzliche Regeln einzuhalten und sich einzubringen.

Wer „Loyalität“ fordert, sollte im Gegenzug dafür Sorge tragen, dass sich die Menschen auch einbringen können. Denn warum sollten Menschen denn ein Interesse an Gesellschaft und Politik haben, wenn nicht, weil sie mitmischen können?

Hierfür ist übrigens eine niedrigschwellige Möglichkeit zur Einbürgerung sehr wichtig. Und – ganz zentral – das Wahlrecht.

Wir wollen, dass alle dauerhaft hier lebenden Menschen an Kommunalwahlen teilnehmen können, und nicht wie bisher nur EU-Bürgerinnen und -Bürger. Denn wer mitbestimmen darf, interessiert sich auch und kann sich auch leichter identifizieren. Daran arbeiten wir. Wir haben darüber hinaus in Niedersachsen Foren, die Gespräche auf Augenhöhe und aktive Teilhabe möglich machen.  Von diesem Gedanken lebt etwa die Initiative „Niedersachsen packt an“ und ihre Integrationskonferenzen.

Und auch die Verträge mit den muslimischen Verbänden haben genau dies zum Ziel: Den Beteiligten zu vermitteln, dass sie sich hier, dort wo sie leben, einbringen können und sollen. Dass sie Teil der Gesellschaft sind.

Das zieht sich durch unsere Politik wie ein rot-grüner Faden. Das ist das Gegenteil von populistischen Forderungen nach der Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Das ist eine ernst gemeinte Politik, die Angebote macht, anstatt Türen zuzuwerfen und Misstrauen zu schaffen.

Vielen Dank.

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