Rede Anja Piel: Aktuelle Stunde (GRÜNE) zum Wohnungsbau

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn man im Netz die Rubrik Wohnungsmarktgesuche anguckt, findet man ziemlich viele Anzeigen.

Auf einem beliebten Kleinanzeigen-Portal bspw. sind es 13.000 Gesuche für ganz Niedersachsen. Darunter zum Beispiel folgende:

Vierköpfige Familie sucht dringend eine 4 Zimmer Wohnung. Bitte alles anbieten.

oder

Ich suche eine 1-2 Zimmer Wohnung in Walsrode oder Umgebung bis ca. 350€ warm. Bitte einfach alles anbieten.

Aus diesen Zeilen spricht Dringlichkeit. Wenn nicht gar eine gewisse Not oder Verzweiflung.

Nun schauen wir uns mal die Angebote an. Da finde ich eine Maisonette-Wohnung mit Dachterrasse, Penthouse-Wohnungen, Lofts und exklusive Neubauwohnungen.

Meine kurze Internetrecherche ist natürlich nicht repräsentativ.

Wir wissen aber aus der Wohnungsmarktbeobachtung, aus den Medien und von den Sozialverbänden:

Es gibt viele Menschen in Niedersachsen, die auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung sind.

Und es gibt viele, die keine finden.

Anrede,

und dabei handelt es sich längst nicht mehr nur um erwerbslose Menschen, Alleinerziehende oder Rentnerinnen und Rentner.

Darunter sind auch Tischlerinnen, Pflegekräfte, Busfahrerinnen, Erzieher oder Verkäufer.

Es ist also nicht allein ein Problem des Einkommens. Es ist ein Problem der Mietpreise. Ein Problem des Wohnungsmarktes.

Anrede,

was bedeutet das für die Wohnungssuchenden?

Einige müssen sich Wohnungen nehmen, die für sie eigentlich nicht passen. Wenn eine Familie mit mehreren Kindern aber zum Beispiel in einer 2- oder 3-Zimmerwohnung wohnt, ist das nicht kuschelig eng.

Nein, das heißt: Es gibt keinen Platz, wo das ältere Kind in Ruhe seine Hausaufgaben machen kann.

Was es auch gibt: Menschen arbeiten in Hannover, wohnen aber in Südniedersachsen.

Ein langer Arbeitsweg heißt weniger Freizeit und mehr Stress.

Im schlimmsten Fall stehen die Menschen aber auf der Straße.

Das ist längst nicht mehr die Ausnahme. Bundesweit steigen die Zahlen der wohnungslosen Menschen, die dauerhaft in Not- und Behelfsunterkünften leben.

Anrede,

wir sehen: Das Thema Sozialer Wohnungsbau ist kein sozialpolitisches Nischenthema.

Es ist einer der zentralen Herausforderung staatlicher Daseinsvorsorge. Hier muss schnell was passieren!

Anrede,

die Gründe dafür, dass es so wenig Wohnraum gibt, sind vielfältig. Zum Teil steigt einfach die Nachfrage nach gute Wohnung.

Aber es gibt auch noch eine andere Erklärung.

Im Zuge der Föderalismusreform hat sich der Bund nämlich 2006 aus der Wohnraumförderung zurückgezogen und die Sache den Ländern übertragen.

Unter Schwarz-Gelb – einige von Ihnen waren dabei – hatte das Land dann den Wohnraumförderfonds verkauft.

Klar, dass danach in Niedersachsen kaum noch öffentlich geförderter Wohnraum entstanden ist.

Wenn keiner zahlen will, wird auch nicht gebaut.

Anrede,

das Problem verschärft sich aber von selbst, weil die Belegungsbindungen für den öffentlich geförderten Wohnungsbestand befristet sind. In den nächsten Jahren laufen sie nach und nach aus. Die Wohnungen gelangen dann auf den freien Markt.

Wenn man bedenkt, dass Immobilien im Moment lohnende Anlage- und Renditeobjekte sind, ist klar, was passiert:

Die Mieten werden deutlich teurer.

Anrede,

Rot-Grün war sich des Problems bewusst.

Wir haben das Thema Wohnungsbau gleich zu Beginn der letzten Legislaturperiode angepackt.

Wir haben unter großen haushaltspolitischen Anstrengungen eine nahezu leere Förderkasse wieder aufgefüllt.

Wir haben die konzertierte „Aktion Bauen und Wohnen“ reaktiviert und alle Akteure an einen Tisch geholt.

Wir haben die Möglichkeit von Tilgungszuschüssen geschaffen.

Wir haben die Mietpreisbremse eingeführt.

Wir haben dabei sogar nachgebessert und die Kappungsgrenze abgesenkt, um Mietsteigerungen noch weiter zu begrenzen.

Wir haben die Gemeinwesenarbeit gestärkt und energetische Modernisierungen gefördert.

Kurzum: Rot-Grün hat in Sachen Wohnungsbau bei Null angefangen und in 5 Jahren eine Menge erreicht!

Anrede,

zur Wahrheit gehört aber auch:

all diese Maßnahmen reichen bei Weitem nicht aus. Wir müssen in den nächsten zwei Jahren einen Bedarf von 150.000 Wohnungen decken.

Angesichts dieses Handlungsdrucks ist es auf jeden Fall verantwortungslos, einfach auf weitere Maßnahme der neuen Bundesregierung zu warten. Das haben Sie, Herr Minister Lies, in der HAZ vom 3.1.2018 ja angekündigt.

Wir wissen weder, wann es wieder eine handlungsfähige Bundesregierung gibt. Noch wissen wir, was sie tun wird.

Was wir wissen: Uns läuft die Zeit davon.

Anrede, sehr geehrter Herr Minister Lies,

Sie sind doch Sozialdemokrat.

Sie müssen jetzt handeln, um bezahlbaren Wohnraum in Niedersachsen zu schaffen. Sagen Sie nicht, Sie hätten keinen Handlungsspielraum.

In Berlin zum Beispiel gibt es eine eigene Landeswohnungsbaugesellschaft. Vielleicht könnten Sie da noch mal drüber nachdenken.

Erhöhen Sie die Zuschussförderung! Auch das ist für die Landesregierung möglich, und wäre ein wichtiger Impuls.

Und: Unterstützen Sie die Kommunen. Die Kommunen müssen schließlich das Bauland aktivieren. Sie können Ihnen bei der Gründung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften zur Seite stehen. Und Sie können sie dabei unterstützen, Schulen, Kindergärten usw. zu bauen. Neue Wohnungen machen sowas schließlich nötig.

Und warten Sie nicht auf den Bund. Die Betroffenen haben keine Zeit zu warten. Die haben das Problem jetzt.

Anrede,

lassen Sie mich zum Abschluss Johann Wolfgang von Goethe zitieren. Der hat nämlich schon von über 200 Jahren die Brisanz des Themas erkannt hat und gesagt:

„Eine schlechte Wohnung macht brave Menschen verächtlich.“

Das Thema Wohnungsnot ist nicht nur relevant für die Betroffenen. Ein würdevolles Leben ermöglicht erst die konstruktive Teilhabe an der Gesellschaft.

Und daran sollten wir alle ein Interesse haben.

Vielen Dank.

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