Rede Anja Piel: 100 Tage Rot-Grüner Aufbruch für Niedersachsen

- es gilt das gesprochene Wort -

ANREDE

Wenn wir bedenken, dass eine Legislaturperiode fast 2000 Tage umfasst, hat eine Bilanz nach 100 Tagen naturgemäß etwas von einer sehr vorläufigen Momentaufnahme.

Das gilt auch für die Arbeit des ganzen Landtages der letzten Wochen. Es liegt auf der Hand,  dass sich alle Beteiligten in ihren neuen Rollen noch zurecht ruckeln müssen:

CDU und FDP sitzen in der Opposition. SPD und Grüne - mit vielen Neuen in beiden Fraktionen - haben auf den Regierungsbänken nun Frauen und Männer sitzen, die ihnen politisch nahestehen und die sie mit einer Einstimmenmehrheit unbedingt unterstützen müssen. 

Ich verrate hier wohl kein Geheimnis, wenn ich sage: Die Rolle der SPD und Grünen ist etwas leichter als die der CDU und FDP, aber eben auch noch eine neue.

Jetzt werden von uns bereits erste Resultate erwartet, und ich gebe ehrlich zu, die Begeisterung wird bereits von den ersten Sorgen eingeholt, wenn wir auf die finanzielle Situation des Landes Niedersachsen blicken. Nach zehn Jahren unter CDU und FDP hat die Verschuldung einen neuen Rekord erreicht.

Die Politik der letzten Jahre wird uns dabei noch eine Weile begleiten, denn schließlich arbeiten wir alle noch den schwarz-gelben Haushalt 2013 ab.

Der Haushalt 2014, den SPD und Grüne gerade miteinander austüfteln, soll anders sein. Und ich freue mich über die Ungeduld der Opposition, die nun sicher darauf wartet, uns die Ideen zu liefern, wie wir weniger Neuverschuldung schaffen, denn sicher brennen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, darauf, nach all den Jahren des Geldausgebens endlich Vorschläge für den neuen Haushalt zu machen und mit uns gemeinsam in Zeiten der Schuldenbremse mutig einen Haushalt aufzustellen.

Und auch wenn  Bilanzen zu Beginn einer Legislaturperiode nur eine begrenzte Aussagekraft besitzen, wollen wir uns damit auseinandersetzen. Da wir Grüne uns ja insbesondere die Agrarwende auf die Agenda gesetzt haben, will ich ein Bild aus diesem Umfeld bemühen: Ein Teil der Saat ist ausgebracht, und hier und da sprießt schon frisches Grün.

Wo finden wir nun erstes Grün?

Zum einen bei der Flüchtlingspolitik. In diesem Bereich ist die Behauptung nicht übertrieben, dass wir begonnen haben umzugraben, und wir versuchen die Altlasten falscher Entscheidungen abzutragen, damit meine ich zuvorderst die herzlose Politik des früheren Innenministers Schünemann.

Beispiel Härtefall-Kommission: Wir versetzen die Kommission in die Lage, sich zunächst einmal mit mehr Fällen zu beschäftigen. Um zukünftig die Lage von schwer traumatisierten Menschen besser beurteilen zu können, soll eine Medizinerin oder ein Mediziner die Kommission ergänzen.

Beispiel unwürdige Gutscheinpraxis: Asylbewerber haben inzwischen fast überall die Chance, auf Augenhöhe mit ihren Nachbarn ihre Einkäufe mit  Bargeld zu bezahlen, endlich ist für die meisten von ihnen die unwürdige Zeit vorbei, in der sie mit gesenktem Kopf ihre Gutscheine vorlegen mussten. In Niedersachsen haben sich bis auf drei Landkreise alle entschlossen, den betroffenen Menschen diesen Teil ihrer Würde zurückzugeben, und ich bin sicher, die anderen werden bald folgen.

Die zweite Stelle, an der Grün durchbricht, ist der Bereich Bildung. Die Novelle des Schulgesetzes macht in Ausnahmefällen möglich, dass dreizügige Integrierte Gesamtschulen gegründet werden. Damit ist der Weg frei für mehr Wahlmöglichkeiten im ländlichen Raum. Und um den Kindern und Jugendlichen mehr Zeit und Raum für ihr eigenes Tempo beim Lernen zu geben, lassen wir das Abitur nach 13 Jahren wieder zu….

Das liest sich nicht so spektakulär wie das Abschaffen der Oberschule, aber wir verschaffen Kindern und Jugendlichen mehr Zeit, am Ende des Lernmarathons noch einmal Atem zu holen. Und wir reden hier schließlich von den Kindern und Jugendlichen, die in einigen Jahren die Geschicke des Landes bestimmen sollen.

(TEIL II)

ANREDE

Ich habe vorhin von zwei grünen Stellen gesprochen. Nun komme ich zur dritten grünen Stelle: der Endlagersuche – oder lassen Sie es mich einen schmalen Silberstreifen am Horizont nennen. Die neue rot-grüne Koalition hat mit großer Kompromissbereitschaft einen Aufbruch gewagt, um einen ungeeigneten Gesetzentwurf so zu ändern, dass er wirklich die Handschrift  einer ergebnisoffenen Endlagersuche trägt.

Wie schwierig es ist, einen Konsens dafür zu erreichen,  konnten wir in den letzten Wochen an der Debatte um den Verbleib der restlichen 26 Castoren erkennen.

Unser Ministerpräsident Stephan Weil und Umweltminister Stefan Wenzel haben dabei fest im Blick, dass es für uns Niedersachsen um etwas geht.

Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, dass auch die Grünen-Fraktion beim Endlagersuch-Gesetz noch offene Fragen sieht, aber die können am Ende  nicht in Hannover, sondern müssen in Berlin beantwortet werden. Kanzlerin Merkel und Umweltminister Altmaier müssen jetzt liefern.

Wie gesagt: In den kommenden Wochen bis zur Sommerpause wird es vor allem darum gehen, einen Haushalt aufzustellen, der unser schönes Niedersachsen fit für die Zukunft macht.

Mit den ersten 100 Tagen bin ich aus Sicht der grünen Fraktion zufrieden - auch wenn natürlich auch für uns gilt: Das Bessere ist der Feind des Guten.

Und bei allen aufmunternden Anfeuerungsrufen von den Kollegen der CDU und FDP werden die Fraktionen von SPD und Grünen, wenn es nach mir geht,  der Versuchung widerstehen, ihre Kräfte in einem Sprint zu vergeuden.

Ich hatte schon als Schülerin wenig Freude an kurzen staubigen Sprints auf langweiligen Aschebahnen auf dem Sportplatz.

Mir hat es schon damals viel besser gefallen, in meiner Heimatstadt Lübeck die langen Wege entlang der Trave und Wakenitz durchs Grüne zu laufen…..

Wir haben jetzt eine Strecke vor uns, die mindestens fünf Jahre dauern wird. Jede und jeder, der Langstrecken läuft, weiß: Das Wichtigste ist, sich die Kräfte gut einzuteilen.

 

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