Rede Andreas Meihsies: Schacht Konrad und die Lagerung von Atommüll

Anrede,

mit dem Urteil des OVG Lüneburg vom 8. März 2006 hat erstmals ein Gericht in Deutschland atomrechtlich über die Zulässigkeit eines Atommüll-Endlagers entschieden – des Endlagers Schacht Konrad in Salzgitter.

Von Anfang an war klar, dass die Kläger keine Chance hatten. Drei Tage wurde verhandelt, ein Tag galt der Klage der Familie Traube, 2 Tage den Gemeinden Salzgitter, Vechelde und Lengede. Das Urteil stand praktisch von vornherein fest. Das Land Niedersachsen hat in seinen schriftlichen und mündlichen Äußerungen vor Gericht unmissverständlich deutlich gemacht, dass es die Klagen für unzulässig und unbegründet hält. Und dass die Klagen unbedingt abgewiesen werden müssen.

Dass die Landesregierung den Klägern ihr Klagerecht in einem Verfahren dieser Reichweite abspricht, ist äußerst bedenklich.

Städte und Gemeinden als Träger öffentlicher Belange und Anwohner als unmittelbar direkt Betroffene sind bei der Ansiedlung von Atommüll bisher schon in ihren Rechten eingeschränkt. Diese ohnehin unzureichenden Rechte werden Kommunen und Privatklägern nun auch von der Landesregierung zusätzlich beschnitten. Praktisch entfällt damit der Drittschutz! Und das in einem Verfahren von sehr weitreichender Bedeutung wie der Errichtung eines Atommüll-Endlagers.

Der Kläger Traube hat es auf den Punkt gebracht. "Es ist schon schwer verständlich", sagte er, "wenn man als nächster Nachbar des geplanten Atommüllendlagers weniger Rechte haben soll als bei irgendeiner beliebigen komunalen Baumaßnahme."

Anrede,

das Urteil darf deshalb nicht das letzte Wort in dieser Sache sein! Selbst der Präsident des OVG Lüneburgs, Herr van Nieuwland, hat sich kritisch geäußert – eine sehr ungewöhnliche Stellungnahme. Es stelle sich die Frage, ob der Rechtsschutz für Bürger und Kommunen erweitert werden müsse, sagte der Jurist im Gespräch mit Radio ffn. Er sprach sich für eine Überprüfung des Atomrechts aus und sagte, dass der Verwaltungsrechtschutz in anderen Ländern anders aufgebaut sei.

Er hat Recht. In unserem Rechtssystem fehlt etwas. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat wird durch dieses Urteil nicht gestärkt, sondern ausgehöhlt.

Anrede,

werfen wir noch einen Blick auf Einiges, was im Verfahren um Schacht Konrad nicht geprüft worden ist.

Ohne faire und ergebnisoffene Suche nach einem Endlager sollen in Schacht Konrad 90 Prozent des deutschen Atommüll-Volumens eingelagert werden.

Die Region um das ehemalige Erzbergwerk ist dicht besiedelt und wird intensiv industriell genutzt. Es ist nicht nachgewiesen, dass ausgerechnet dieser Standort besser ist als andere.

Gefahren durch die Häufung von Transporten durften nicht geprüft werden, obwohl mindestens 80 Jahre lang Atommüll aus der gesamten Republik nach Salzgitter  transportiert würde. Ob dieses Endlager überhaupt gebraucht wird, hat niemand überprüft.

Anrede,

mit der Einlagerung von Atommüll in Schacht Konrad würde eine Entscheidung getroffen, die Konsequenzen für eine unübersehbare Zahl von Generationen hat.

Wir fordern die Landesregierung und die Bundesregierung deshalb auf, keine voreiligen Schritte zu unternehmen und keine Fakten in Schacht Konrad zu schaffen. Mit dem Ausbau darf nicht begonnen werden, bevor das Urteil rechtskräftig ist. Von einem höchsten Gericht muss die Sicherheit von Schacht Konrad überprüft werden. Und es müssen neue, grundsätzliche Fragen für die Endlagerung von Atommüll geprüft werden.

Mit dem Ausbau von Schacht Konrad muss auch so lange gewartet werden, bis ein bundesweites vergleichendes Suchverfahren für den bestmöglichen Endlagerstandort durchgeführt worden ist. Wir brauchen nämlich nicht irgendein Atommüll-Endlager. Wir, die heutige Generation, haben die Verantwortung unseren Nachkommen gegenüber, ein Endlager zu finden, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der bestmögliche geeignete Standort in Deutschland ist.

Anrede,

wie gefährlich es ist, wenn nicht sorgfältig ausgewählt wird, zeigt das Endlager Asse bei Wolfenbüttel, ein ehemaliges Salzbergwerk, das offiziell als "Forschungsbergwerk" bezeichnet wird. Seit vielen Jahren gibt es dort einen ungeklärten Zufluss von Salzlösung. Damit droht das Absaufen dieses Endlagers, mit unabsehbaren Folgen für die Umgebung.

Anrede,

für die Auswahl eines Endlagerstandortes gilt der Vorrang der Sicherheit. Aber wichtig ist auch die Art und Weise, in der das Auswahlverfahren durchgeführt wird. Erst allmählich und zögerlich setzt sich in Atomenergie-Ländern die Erkenntnis durch, dass die Auswahl eines Standortes nicht nur eine wissenschaftlich-technische Frage ist. Keines der nationalen Standort-Auswahlverfahren in anderen Ländern, die meist in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gestartet wurden, hat bisher zu einem genehmigten Endlager für hochaktive Abfälle geführt. Man kann, wenn man will, daraus lernen: Demokratische Beteiligung und Transparenz bei der Standortwahl müssen gewährleistet werden! Nur dann gibt es eine Chance. Schweden und Finnland beispielsweise haben daraus gelernt und halbwegs systematische Auswahlverfahren unter Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt. Nur deshalb stehen sie in Sachen Endlager nicht so schlecht da.

Anrede,

die niedersächsiche Landesregierung will aber keine ergebnisoffene Suche nach einem neuen Endlager, sondern ist längst auf Konrad und Gorleben festgelegt. Sie wirbt dafür, allen Atommüll dieser Republik hier endzulagern. Jedes noch so wackelige "Argument" wird bemüht. Sie zeichnen ein fast leuchtendes Bild der Region Salzgitter, wenn Schacht Konrad in Betrieb gehen sollte: Milliardeninvestitionen, zahlreiche Arbeitsplätze, sogar ein finanzieller Lastenausgleich.

Dagegen steht Ihr düsteres Bild, wenn Konrad nicht in Betrieb gehen sollte: gefährliche Abfälle müßten auf Jahrzehnte oberirdisch gelagert werden, die öffentliche Hand würde mit Milliarden zusätzlich belastet. Und die volkswirtschaftlichen Kosten einer neuen Endlagersuche wären – so wird jedenfalls die Atomindustrie zitiert – astronomisch.

So machen Sie Stimmung, das ist Ihre Politik.

Anrede,

sehen wir uns einige Ihrer Argumente näher an.

In einem Interview mit der FAZ hat der Minister Sander gesagt, der Öffentlichkeit würde meist verschwiegen, dass die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle so schnell wie möglich in ein sicheres Endlager gebracht werden müssten. Denn sie seien ein noch größeres Problem als die hochradioaktiven Abfälle aus Kernkraftwerken.

Da reibt man sich doch verwundert die Augen! Abgebrannte Brennelemente und hochradioaktive Glaskokilllen sollen das kleinere Problem sein? Wie kommt der Umweltminister denn zu der Erkenntnis?

Die Antwort der Landesregierung zeigt: Da liegt sozusagen ein Missverständnis vor. Herr Sander meinte nur die derzeit vorhandenen bereits verpackten Abfälle und bezog die nächsten Jahrzehnte gar nicht mit ein. Und es ging ihm gar nicht um die Gefährlichkeit der Abfälle, sondern er meinte, dass viele "konradgängige" Abfälle nicht für eine längere Zwischenlagerung geeignet seien. Das konnte er aber in der Kürze eines langen Zeitungsinterviews nicht sagen.

Tatsache ist doch: Wenn Herr Sander große sicherheitstechnische Probleme sieht, dann müssen zuallererst deren Ursachen beseitigt werden. Selbst die Landesregierung geht davon aus, dass ein Teil des vorhandenen Atommülls auf jeden Fall nachkonditioniert werden muss. Das ist mit Strahlenbelastung verbunden. Unnötige Belastungen hätten jedoch vermieden werden können, wenn rechtzeitig neue standortunabhängige Endlagerungs-Bedingungen festgelegt worden wären. Leider hat aber auch das Land Niedersachsen dies in der zuständigen Bund-Länder-Kommission verhindert.

Daneben fragt man sich natürlich besorgt: Ist diese Art von Atommüll auch in den niedersächsischen Zwischenlagen in Gorleben, Unterweser, Leese und anderswo ein großes Problem? Was unternimmt der zuständige Minister?

Anrede,

nun zur Frage: Wieviele Endlager brauchen wir?

Wir halten es für nötig, dass lediglich ein einziges Endlager für alle Arten von Atommüll gesucht und gefunden wird.

Die niedersächsische Landesregierung wirbt bekanntlich um zwei. In dem bereits erwähnten Zeitungsinterview mit der FAZ hat Herr Sander allen Ernstes gesagt: "Das Ein-Endlager-Konzept hatte Herr Trittin zur Verblüffung der Fachwelt wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert. ”¦ schon aus wissenschaftlicher Sicht sollte das Ein-Endlager-Konzept nicht weiterverfolgt werden."

Soweit der Minister. Und die Fakten? In Ihrem Hause, Herr Minister Sander, liegt seit 1977 der Antrag auf ein Planfeststellungsverfahren für ein atomares Endlager Gorleben, und zwar für alle Arten von Atommüll. Auch später ist mehrfach bestätigt worden, dass in Gorleben alles eingelagert werden könnte.

Entsorgungskonzepte sind nichts Statisches. Die Ansicht darüber, wie viele Endlager gebraucht werden, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder geändert. Weil die Rahmenbedingungen sich ändern. Weil zum Beispiel mit Morsleben unverhofft ein zusätzliches Endlager ins Spiel kommt, oder die erwarteten Müllmengen immer geringer werden

In den 90er Jahren ist deshalb in Niedersachsen die Vorstellung von einem einzigen Endlager erneut aufgegriffen worden. 1995 erklärte Ministerpräsident Schröder hier im Landtag, dass wegen des geringeren Volumens an radioaktivem Müll in Deutschland nur noch ein Endlager notwendig sei. Er nahm damals einen erneuten Anlauf zu einem Energiekonsens. So viel kurz zur Geschichte.

Alle neueren Untersuchungen zeigen: Das Konzept des einen Endlagers für alle Abfälle ist machbar. Auch aus der Abarbeitung der 12 Sicherheitstechnischen Einzelfragen zur Endlagerung (sog. Zweifelsfragen) hat sich kein einziges Argument gegen das Ein-Endlager-Konzept ergeben.

Sehr gewagt finde ich übrigens, wenn Sie in Ihrer Antwort auf unsere Anfrage behaupten, der Bund würde den Schutzzweck des Atomgesetzes dann als optimal erfüllt ansehen, wenn es für unterschiedliche Abfallarten auch unterschiedlich Endlager gäbe. Diese Behauptung hat keinerlei Grundlage!

Es gibt einen ganz einfachen Grund, warum Sie gegen das Ein-Endlager-Konzept sind, Herr Sander. Sie wollen die Standorte Konrad und Gorleben sichern, weil das Ihre Freunde von der Industrie so wollen, und das geht nur, wenn Sie das Konzept "mehrere Endlager" befürworten. Zaubern Sie nicht einfach Ihren ehemaligen Lieblingsfeind Jürgen Trittin gemeinsam mit Wissenschaft und Kaninchen aus dem Hut.

Anrede,

bei bundes-hoheitlichen Aufgaben wie der Endlagerung von Atommüll sind nicht Wirtschaftlichkeitbetrachtungen in erster Linie wichtig, wie Ihre Antwort immerhin einräumt. Dennoch sollten wir auch über das Geld noch mal reden.

Sie verschweigen, dass ein Endlager Konrad sehr sehr teuer ist. Schon 1997 hat das Bundesumweltministerium – noch unter Frau Merkel – errechnet, dass die Einlagerung eines Kubikmeters Abfall in Konrad 25.000 DM kostet.

Das war 1997! Seitdem hat sich die Müllmenge um mehr als 30 Prozent verringert, die Errichtungskosten sind um mehr als 14 Prozent gestiegen. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Wer wird die Einlagerung in Konrad im Jahr 2040 oder 2080 bezahlen wollen? Wahrscheinlich wird es wieder die öffentliche Hand sein, die – wie immer - für die Lasten aus der Atomenergienutzung einstehen muss.

Anrede,

das rosige Konrad-Bild wird ein wenig getrübt durch die Forderung der Landesregierung nach einem Ausgleich der Lasten für die Region. Mit Geld sei das wohl am einfachsten zu machen, hat Herr Sander gesagt.

Da werden Erinnerungen an überdimensionierte Schwimmbäder im Wendland wach. Das alte Modell Ausgleichsgelder, die der Bund bis Mitte der 90er Jahre gezahlt hatte. Bei dem immer der Geruch von Bestechung in der Luft lag. Geld gegen Sicherheit. Soll vielleicht auch der jetzt angestrebte Lastenausgleich mit einer Klausel zum Wohlverhalten – wie damals in Gorleben – verbunden werden?

Warum die Landesregierung einen Ausgleich fordert, obwohl sie doch im gesamten Verfahren behauptet hat, es gäbe keine nennenswerten Lasten für die Endlagerregion, bleibt wohl ein Geheimnis.

Wenn man aber Gerechtigkeit will, dann geht das nicht durch Freikaufen. Der Anspruch auf Gerechtigkeit lässt sich nur durch eine neue Endlager-Standortsuche einlösen.

Anrede,

in Einem ist das Land Niedersachsen wirklich einmalig in der Welt: Eine regionale Regierung, die alles dafür tut, drei einhalb Atommüll-Endlager in ihr Land zu kriegen: Asse, Schacht Konrad und Gorleben plus Morsleben knapp hinter der Grenze zu Sachsen-Anhalt. Der Begriff Atomklo formuliert drastisch, was Sie, Herr Ministerpräsident und meine Damen und Herren von der CDU und FDP, für unser Land anstreben.

Zurück zum Pressearchiv