Miriam Staudte: Rede zu "Corona: Ausbrüche bei Erntehelferinnen und Erntehelfern"

TOP 5: Corona: Ausbrüche bei Erntehelferinnen und Erntehelfern - Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten schützen und testen

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am 1. Mai haben Abgeordnete der SPD und CDU und Mitglieder der Landesregierung für Arbeitnehmerrechte demonstriert und sich digital mit den Forderungen der Gewerkschaften solidarisiert.

Doch wenn es um den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Saisonarbeitskräfte geht, wird es erstaunlich leise in der Landesregierung.

Man hat den Eindruck, dass nur für die Rechte von Bürger*innen demonstriert wurde, die wahlberechtigt sind.

Die Beantwortung unserer Dringlichen Anfrage gerade eben hat deutlich gemacht, dass die Landesregierung immer noch nicht entschieden tätig werden will und so weiterhin große Infektionsausbrüche in Kauf nimmt und damit letztendlich Menschenleben gefährdet.

Anlass unseres vorgelegten Antrags sind die aktuellen Corona-Ausbrüche bei über 130 Spargelstechern im LK Diepholz. Derzeit läuft nicht nur die Spargelernte, auch pflanzen viele Arbeitskolonnen Gemüsepflanzen wie Porree. In Kürze geht die Erdbeersaison in die heiße Phase.

Es muss damit gerechnet werden, dass es immer wieder zu Ausbrüchen kommt, wenn nicht eingeschritten wird.

Menschen wegzusperren und dauerhaft  in Arbeitsquarantäne zu schicken kann ja wohl nicht die Antwort sein. 

Eine Arbeitsquarantäne, die bislang vor allem bei Arbeitsmigrant*innen angewendet wird, nicht bei deutschen Staatsbürgern. Circa 1 000 Arbeiterinnen und Arbeiter kamen in Diepholz in Arbeitsquarantäne.

Arbeiten ja, ansonsten Aufenthalt in den beengten Unterkünften. Für die Spargelstecher ist das das Gegenteil von Infektionsschutz.

Nicht, dass hier irgendjemand denken würde, da hätte abends noch jemand Kraft für ausgiebige Freizeitaktivitäten, die Leute sind kaputt, nach einem Tag Spargelstechen gerade, wenn es so nasskalt ist.

Es geht aber auch um das Einkaufen:

Für die Menschen in Arbeitsquarantäne bedeutet das Verbot die Unterkunft zu verlassen, dass sie z.B. nicht mehr selbst einkaufen gehen können, sondern auf die Versorgung und die Verpflegung durch die Betriebe bzw. die Betreiberinnen und Betreiber der Sammelunterkünfte angewiesen sind. Es ist damit zu rechnen, dass in den neu entstandenen „Hofläden“ die Waren nicht immer zum Selbstkostenpreis abgegeben werden. Die Arbeitsmigrantinnen und-migranten tragen also neben dem erhöhten Infektionsrisiko, der Freiheitseinschränkung auch die finanzielle Last der Arbeitsquarantäne. Und dass das Infektionsrisiko in beengten Unterkünften viel höher ist als draußen, ist ja auch eine Binsenweisheit.

Die Massenausbrüche unter Saisonarbeitskräften sind nicht nur für die Betroffenen eine große Gefahr, auch treten dadurch in ganzen Landkreisen die Notbremse-Regelungen in Kraft.

Leidtragende sind also auch Kita-Kinder, Jugendliche und alle Nicht-Geimpften, sowie die lokale Wirtschaft.

Eine Gesundheitsgefährdung durch die prekäre Unterbringung wird seit Beginn der Corona-Pandemie von der Landesregierung durch unzureichende Vorgaben und Kontrollen in Kauf genommen. 

Anstatt dafür zu sorgen, dass den schwer arbeitenden Menschen verpflichtend Einzelzimmer zur Verfügung gestellt werden, drückt die Landesregierung hier beim Infektionsschutz weiter beide Augen zu.

Und machen wir uns doch nichts vor:

Warum gehen vielleicht Menschen weiter zur Arbeit, auch wenn sie Krankheitssymptome haben: Weil es für sie hier keine Lohnfortzahlung gibt.

Das ganze System der Saisonarbeitskräfte beruht auf körperlicher Ausbeutung. Dennoch wird für ihren Gesundheitsschutz nichts investiert. So waren 2019 rund 15 % aller Beschäftigungsverhältnisse im Agrarsektor kurzfristige Beschäftigungen ohne Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Überproportional betroffen waren dabei Tätigkeiten als Erntehilfen. Auf Drängen von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner wurde Ende April im Bundestag der Regierungsvorschlag beschlossen, dass in diesem Jahr coronabedingt ausländische Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft sogar 102 statt 70 Tage sozialversicherungsfrei arbeiten dürfen.

Die Gesundheit ist eigentlich schon Argument genug, aber schauen wir uns mal die wirtschaftliche Seite an.

Die Wertschöpfung, zu der die Saisonarbeitskräfte beitragen, ist im Milliardenbereich anzusiedeln. Allein bei der Spargelernte tragen die Spargelstecher dazu bei, dass jährlich Millionenumsätze erwirtschaftet werden. So wurden 2019 bundesweit über 130 000 Tonnen Spargel im Wert von ca. 845 Millionen Euro geerntet. Auch im Corona-Jahr 2020 wurden allein in Niedersachsen 26 600 Tonnen Spargel geerntet, was ca. 200 Millionen Euro entspricht, denn der Kilopreis ist im Jahr 2020 gestiegen.

Auch bei der Erdbeerernte oder beim Setzen von Gemüsepflanzen im Frühjahr sind osteuropäische Arbeitskräfte die tragende Säule der anschließenden Wertschöpfung.

- Wir haben uns letzte Woche gefreut, dass auf unser Nachfragen zu den kostenlosen Bürgertests so schnell reagiert wurde. Jetzt sollen alle, nicht nur deutsche Staatsbürger*innen getestet werden können. Aber dieses freiwillige Testangebot reicht nicht aus.

Jetzt brauchen wir aber umgehend eine verpflichtende Testung an jedem Arbeitstag für Saisonarbeitskräfte, solange diese nicht in Einzelzimmern untergebracht sind. Die Kosten sind von den Arbeitgebern zu tragen.

Die Landesregierung muss die Unterbringung von Saisonarbeitskräften und anderen Arbeitsmigrantinnen und -migranten in Einzelzimmern anordnen. Ausnahmen sind gemeinsam untergebrachte Familienangehörige.

Die Transportfahrten dürfen bei Saisonarbeitskräften nur für feste Bezugsgruppen, die zusammenarbeiten, zugelassen werden.

Das Instrument der Arbeitsquarantäne darf nur für direkte Kontaktpersonen von Infizierten angewendet werden und muss zeitlich befristet sein. Arbeitsquarantäne darf nicht als Mittel der allgemeinen Infektionsprophylaxe angeordnet werden.

Wir fordern die Landesregierung auf, sofort zu erfassen, welcher Berufsgruppe eine infizierte Person angehört, damit endlich Schwarz-auf weiß festgehalten ist, dass Corona eine Zwei-Klassen-Gesellschaft offenbart.

Demonstrieren am 1.Mai reicht nicht.

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