Miriam Staudte: Erwiderung auf die Regierungserklärung zur Endlagersuche

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

Umweltminister Lies hat zu dem anstehenden Suchprozess schon eine Menge Richtiges gesagt. Gestatten Sie mir, dass ich auf die Vergangenheit nochmal ausführlicher eingehe. Es geht mir dabei nicht um politische Schuldzuweisungen, sondern darum, dass wir uns a) diese Vorgänge nochmal ins Gedächtnis rufen, um sicherzustellen, dass die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden und b) dem neuen Ammenmärchen aus Bayern, Gorleben sei aus „politischen Gründen“ aus dem Verfahren geflogen, entschieden zu widersprechen!

Am vergangenen Montag hat der Geschäftsführer der Bundesgesellschaft für Endlagerung Steffen Kanitz -ehemals CDU-Bundestagsabgeordneter- mit ruhigen, sachlichen Worten und fast einem Nebensatz das Gorleben-Kapitel offiziell beendet. Zwei von Herrn Kanitz nüchtern, aber bestimmt vorgetragene Sätze, die nicht nur bei uns in Lüchow-Dannenberg, sondern bundesweit wie ein Paukenschlag ankamen. Mit diesen knappen Worten wurde ein Kapitel beendet, das die niedersächsische Landespolitik über Jahrzehnte wie kein anderes Thema geprägt hat. Und das war eine große, große Erleichterung für viele von uns. Erst jetzt kann man zurecht von einer ergebnisoffenen Suche sprechen.

Die BGE hat in ihrem Zwischenbericht einen Absatz mit der Überschrift „Positive Fehlerkultur und Lessons learned“ betitelt, den ich allen nur zur Lektüre empfehlen kann. Es geht darin um eine positive Fehlerkultur, dass nur durch offene Kommunikation Folgen von Fehlern eingeschätzt und begrenzt werden können.

Also zurück zu den Gorleben-Fehlern, die gemacht wurden.

Allen voran der Einstieg in die Atomkraftnutzung. Geprägt von einer Fortschritts- und Technikgläubigkeit, begann man in den 60er Jahren in Deutschland Atomkraftwerke für die kommerzielle Stromproduktion zu bauen.

Oft wird der Vergleich bemüht:
Man ließ Flugzeuge starten, aber man hat bis heute keine Landebahn.
Konkret wurde es 1977 beim Bau des AKW Brokdorf. Dort wurde - von Atomkraftgegnern erzwungen - ein gerichtlicher Baustopp verhängt, weil die Betreiber keinen Entsorgungsvorsorgenachweis für den Atommüll hatten, obwohl er in §6 des Atomgesetzes seit 1976 verlangt wurde. Die Betreiber konnten sich an 5 Fingern abzählen: Dieses Problem würden bald alle hochprofitablen AKW haben. Mit Hochdruck begann man nach einem Endlager zu suchen.

Die Akten, die Greenpeace ab 2009 im Zuge einer umfangreichen Akteneinsicht - bei uns in der niedersächsischen Staatskanzlei beginnend - durchgearbeitet hat, beweisen, dass

Gorleben im ersten Auswahlverfahren des Bundes für ein Nukleares Entsorgungszentrum inklusive Endlager 1974-76 in der ersten Runde rausgefallen ist – genau wie heute. Denn es ging tatsächlich um geologische Bewertungskriterien. Da hätte die Geschichte schon zu Ende ein müssen, bevor sie überhaupt angefangen hat.

Das - unter der Regie der Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungsgesellschaft mbH geführte - so genannte KEWA-Verfahren landete dann 1976 bei drei Standorten, die allesamt in Niedersachsen lagen. Genau dort wohnten aber damals einflussreiche CDU-Politiker - die Brüder Walter und Werner Remmers und der spätere Bundesinnenminister Rudolf Seiters. Ernst Albrecht war in geheimer Wahl als Oppositionskandidat ja überraschend auch aus den eigentlichen Mehrheitsfraktionen gewählt worden und führte nun eine Minderheitsregierung an -er war folglich auf jede Stimme im Landtag angewiesen. Auch an den beiden anderen favorisierten Standorten gab es heftigen Widerstand aus den eigenen Reihen, allen voran aus den Reihen des Landvolks.

Was zur Folge hatte: Das KEWA-Verfahren wurde hinter den Kulissen einfach eingestellt und das sogenannte IMAK-Verfahren ins Leben gerufen. IMAK steht für „Interministerieller Arbeitskreis“. Wenn schon in Niedersachsen, dann wollte die Landesregierung wenigstens selbst entscheiden. Das Wirtschaftsministerium zuständig für Industrieansiedlung nennt das erste Mal den Standort Gorleben. Der Entwurf erhält den handschriftlichen Zusatz „nun: LK Lüchow-D.“

Der Zeitzeuge Klaus Stuhr, erinnert sich später: „Lüchow-Dannenberg war die ärmste Region von Niedersachsen; da war die Welt zu Ende. Die Idee war: Das ist die Chance.“

Wenig später Tage später taucht Gorleben schon in mit Schreibmaschine getippten offiziellen Vergleichstabellen auf und Anfang 1977 galt Gorleben sogar als Gewinner dieses Verfahrens. Noch 2010 behauptete das Niedersächsische Umweltministerium unverdrossen, Gorleben sei das Ergebnis eines wissenschaftlichen Auswahlverfahrens gewesen!

Auf die Standortbenennung folgte die obertägige Erkundung. Sie endete aufgrund der vorgefundenen geologischen Mängel 1983 mit der Empfehlung: „Erkundung anderer Lagerstätten!“. Spätestens hier hätte Schluss sein müssen! 1983! 

Trotzdem wurde auf politischen Druck hin die Entscheidung zur untertägigen Erkundung getroffen, fortan wurden die Kriterien den negativen Erkundungsbefunden angepasst. 2010 wurde noch vom Niedersächsischen Umweltministerium blockiert.

Dann kam der Gorleben-Untersuchungsausschuss, dann die Initiativen zum Standortauswahlgesetz. Am Montag nun die Bestätigung, dass Gorleben eine ungünstige Geologie aufweist. Eine wahnsinnige Erleichterung für alle Aktiven vor Ort und ihre Unterstützer*innen bundesweit. An dieser Stelle möchte ich meinen tiefen Dank aussprechen, für dieses jahrzehntelange Durchhaltevermögen. Es gibt in der bundesdeutschen Geschichte keinen vergleichbaren Fall, bei dem man einen so langen Atem haben musste. Martin Donat und Torben Klages von der BI Lüchow-Dannenberg sind auch anwesend heute. Ihnen stellvertretend der Dank für ihr außerordentliches persönliches Engagement. Diese Protestbewegung hat den Weg geebnet, damit die Parlamente überhaupt ein neues Verfahren auf den Weg bringen konnten. Namentlich will ich hier die Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Ursula Heinen-Esser und Ute Vogt nennen. Aber ausdrücklichen Dank auch Stefan Wenzel, der in der Endlagerkommission hart gekämpft hat.

Doch was passiert, wenn eine Fehlentscheidung wie die eben dargestellte gegen die Bürger*innen durchgedrückt werden soll. Zu welchen Mitteln ist der Staat bereit zu greifen? Welche Eigendynamik entwickelt sich?

Robert Jungk warnte schon zu Beginn der Atomkraftnutzung vor einem Atomstaat. Er hatte Recht.

Das Offensichtlichste waren die 13 Castor-Transporte, mit denen 113 Castoren schon mal gen Gorleben gefahren wurden, obwohl von der Pro-Gorleben-Seite immer nur von einem „Erkundungs“bergwerk gesprochen wurde.

Alle Grünen Landtagsfraktionen waren traditionell bei den Castor-Transporten vor Ort, um den Polizeieinsatz kritisch zu beobachten und einige von uns haben dort den Staat von einer bislang ungekannten Seite erlebt. So z.B. unser verstorbener, hoch geschätzter Kollege Ralf Briese, der den Erfahrungsberichten zunächst mit einer Grundskepsis begegnete und der als innenpolitischer Sprecher, obwohl unbeteiligt die Unverhältnismäßigkeit der Einsätze mit einer Ladung Pfefferspray und einem heftigen Tritt gegen das Knie am eigenen Leib erfahren musste. 

Und noch einige Beispiele aus meinen direkten Umfeld: Meine ehemalige Mitbewohnerin, die NACH einer Sitzblockade mit Schlagstöcken malträtiert wurde, und der im Schwimmbad zwei Wochen später aufgrund ihrer gigantischen blauen Flecken noch angeraten wurde eine Beratungsstelle gegen häusliche Gewalt aufzusuchen. Mit erschreckender Regelmäßigkeit zählte die Bürgerinitiativen bei jedem Castortransport über einhundert Verletzte, und dabei waren auch Schädelbrüche. Den schlimmsten Vorfall, sah ich 2009 auf dem Gorleben-Treck nach Berlin, als ein junger Bursche von der sachsen-anhaltinischen Polizei einem Lüchow-Dannenberger Landwirt von der bäuerlichen Notgemeinschaft bei einem friedlichen Protest vor dem Endlagerprojekt Morsleben mit der gezogenen Pistole aus nächster Nähe auf den Kopf gezielt hat. In den Zeitungen wurde ein Schnappschuss der Situation veröffentlicht. Ich denke, dieser Mann ist danach länger zu keinem Protest mehr gegangen. Das Land Niedersachsen als Genehmigungsbehörde aber auch zuständig für die Einsatzleitung bei allen Transporten kann froh sein, dass wir kein amerikanisches Rechtssystem haben, das finanzielle Schadensersatzforderungen der betroffenen Bürger einfacher zulässt. Dann könnten wir gleich noch einen Nachtragshaushalt beschließen.

Nach der Laufzeitverlängerung für AKW haben sind viele Polizist*innen kritischer geworden und haben sich selbst geärgert, dass sie den Kopf für eine politische Fehlentscheidung hinhalten müssen.

Und an der Stelle muss man sich einmal fragen, was ist wohl am Montag in den vielen Beamtinnen und Beamten vorgegangen, die plötzlich amtlich bestätigt bekommen haben, dass sie auf der falschen Seite gestanden haben? Der Umgang des Staates mit seinen eigenen Polizeibeamten, ist genauso zu kritisieren wie der Umgang mit den demonstrierenden Bürgerinnen!

Aber auch unabhängig von den Castor-Transporten, wurden kritische Bürger*innen und Journalisten vom Verfassungsschutz beobachtet. Erst vor zwei Wochen war ein Bericht über einen inzwischen mit Preisen ausgezeichneten Journalisten von vor Ort in der Lokalzeitung. Wegen der Beobachtung durch den Verfassungsschutz hat die Redaktion ihn 40 Jahre nicht festangestellt. Oder die hochqualifizierte inzwischen pensionierte Lehrerin, die sich heute noch fragt, ob sie wegen des Engagements im Gorleben-Widerstand nie Schulleiterin worden ist. Lebensgeschichten wurden verändert. Spitzel wurden in Wohngemeinschaften eingeschleust. Menschen, denen man mit drakonischen Konsequenzen für Verwandte gedroht hat, für den Fall das sie sich nicht dafür hergeben. Methoden, die viele nur in der DDR vermuten würden. Mehrere Verfahren wegen angeblicher Bildung einer terroristischen Vereinigung wurden angestrengt. Regelrechte Fallen gestellt, um vermeintliche Beweise zu haben.

Man kann sagen, ein ganzer Landkreis wurde kriminalisiert. Und das sind die unweigerlichen Folgen, wenn eine politische Fehlentscheidung von solcher Tragweite durchgedrückt werden soll.

Fehler ziehen Fehler nach sich. Und deswegen brauchen wir in diesem neuen Suchverfahren nicht nur unser Bekenntnis, dass es diesmal anders zugehen MUSS, sondern auch Nachbesserungen im Verfahren und eine Novelle des Geologie-Datengesetzes. Denn nur Transparenz kann Manipulationen verhindern. Die Wissenschaft muss gehört werden, der Bundestag, der die großen Schritte beschließen muss, muss frei sein von politischer Einflussnahme und Ränkespielchen. Dafür müssen wir uns alle in unseren Parteien und Fraktionen einsetzen. Ich bin dankbar, dass wir einen sehr guten Antrag zur Endlagersuche im parlamentarischen Verfahren haben. Andere Bundesländer können sich davon eine Scheibe abschneiden.

Bei einem Zeitraum von einer Million Jahre spielen lokale Aspekte doch eigentlich eh keine Rolle. Es geht um über 25.000 Generationen. Wissen Sie, ob ihre Kinder und Kindeskinder nicht ganz woanders leben werden? Vielleicht wohnen dafür die Kinder, Enkel oder Urenkel von Herrn Söder mal in Niedersachsen? Das bedeutet, wir alle müssen das größte Interesse haben, den bestmöglichen Standort zu finden. Egal wo.

Noch ein Satz zum Abschluss: Zu dem anderen großen Thema, der Klimakrise. Hier können wir uns keine weiteren 40 Jahre leisten. Diese Fehler lassen sich nicht mit drei Jahren Aktenstudium und einer Bundespressekonferenz heilen. Auch hier müssen wir an einem Strang ziehen und vom Reden ins Handeln kommen.

Vielen Dank.

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