Michael Lühmann: Rede zur niedersächsischen Polizei (Aktuelle Stunde AfD)
TOP 25a – Rede Aktuellen Stunde der AfD „Rassismusdebatten statt Unschuldsvermutung und Rückendeckung - steht die Landesregierung noch hinter der niedersächsischen Polizei?“
- Es gilt das gesprochene Wort -
Anrede,
Ich bin zwar nicht die Landesregierung, aber ich kann Ihnen versichern, dass diese Landesregierung unmissverständlich hinter der niedersächsischen Polizei steht. Das gilt auch für meine Fraktion Bündnis90/Die Grünen. Was die AfD versucht, ist daher das Stöckchen nicht wert, über das hier gesprungen werden soll. Den Gefallen werde ich der, auch aufgrund ihres Rassismus als gesichert rechtsextremistisch eingestuften Partei, auch nicht tun.
Vielmehr möchte ich den Versuch wagen, die Debatte zu versachlichen. In der großen MEGAVO Polizeistudie lesen wir, dass auch Polizei „in einer rassifizierten Gesellschaft“ ihren Dienst versieht. Also einer Gesellschaft, die Menschen nach äußeren Merkmalen abwertet. Es ist also eine gesamtgesellschaftlich notwendige Aufgabe, aus einer „rassifizierten, eine diskriminierungssensible und für Vielfalt offene Gesellschaft zu machen“, so die Autor:innen.
Dies ist auch der Hintergrund, warum nach dem Todesfall in Oldenburg so viele Menschen öffentlich gedachten und Debatten aufkommen, über Rassismus, über Bodycams, über die Zuständigkeit bei Ermittlungen. Und ich stehe hier, evangelisch, deutsch und weiß und werde mir nicht anmaßen, darüber zu urteilen, was ein solcher Fall bei Menschen auslöst, die in ihrem Alltag Rassismus erfahren haben oder erfahren. Und das empfehle ich allen, die sich hierzu zu Wort melden.
Zugleich stehe ich hier auch als Innenpolitiker, in einer Verantwortung für die politische Debatte, in der wir unser Urteil in alle Richtungen zu wägen haben. In der wir am konkreten Fall natürlich die Ermittlungen abwarten und aufkommende Debatten zugleich ernst nehmen.
Das ist der einzig richtige Weg, den auch Boris Pistorius erkannt hatte, als die Debatte im Zuge des Todes von George Floyd aufkam und er als Minister eine entsprechende Studie an der Polizeiakademie in Auftrag gab. Es war und bleibt richtig, neben den Einstellungsuntersuchungen, die rassistische Muster in allen gesellschaftlichen Bereichen aufzeigen, insbesondere beim Träger des staatlichen Gewaltmonopols Diskriminierungsrisiken erforschen zu lassen. Und zwar nicht auf der Ebene der Einstellungen, sondern auf der Ebene des institutionellen Handelns.
Denn, so Astrid Jacobsen und Jens Bergmann in ihrer wichtigen Studie zu Herausforderungen, Bewältigungsstrategien, Risikokonstellationen in der niedersächsischen Polizeipraxis: „Einstellungen finden sich nicht zwangsläufig in Handlungen wieder, umgekehrt finden praktizierte Handlungen nicht zwangsläufig Entsprechung in der Einstellung.“
Wie beide Polizeiforscher:innen durch teilnehmende Beobachtung herausgearbeitet haben, „kann es Routinen, Handlungsmuster und Verfahren der polizeilichen Alltagspraxis geben, die diskriminierende Wirkung entfalten können.“ Wir sprechen hier von institutionalisierten Mechanismen von Diskriminierung, die, so Jacobsen und Bergmann „auf polizeiliche Arbeitsprozesse selbst Einfluss nehmen, ohne dass die Betroffenen es bemerken.“ Ein beredtes Beispiel für eine polizeiliche Praxis, in der genau das fatale Wirkung entfaltet hat, waren die Ermittlungen zum NSU. Es hat gute Gründe, dass wir auch politisch lange darüber debattiert haben und umfassende Empfehlungen erarbeitet worden sind, dass sich solche Ermittlungsfehler nie wiederholen.
Und mit Blick nach Solingen, wo eine Familie mit zwei kleinen Kindern vor einem Jahr einem Brandanschlag zum Opfer fiel, bei den Ermittlungen das rechte Tatmotiv aber erst durch die Nebenklage aufgedeckt worden ist, zeigt, wir befinden uns weiterhin in einem notwendigen Prozess.
Hier in Niedersachsen machen wir das, indem wir nun polizeilich und politisch die Studie von Astrid Jacobsen auf Handlungsanleitungen prüfen und etwa kritisch auf Praxen schauen, denen Diskriminierung innewohnen können, auch beim Konzept der „sogenannten Clankriminalität“.
Und wir tun das, indem wir das Projekt Polizeischutz für die Demokratie stärken und damit Resilienz in unserer Polizei. Und wir tun das auch, indem wir dort unmittelbar disziplinarrechtlich eingreifen, wo sich der Verdacht verfassungsfeindlicher Einstellungen erhärtet. Und wir tun das, indem wir die Ermittlungen zu Oldenburg auswerten werden, wenn sie abgeschlossen sind, Pauschalisierungen vermeiden und die politische und gesellschaftliche Debatte ernst nehmen, statt sie zu missbrauchen. Und wir tun das nicht zuletzt auch, indem wir auch öffentlich und gemeinsam um Todesopfer wie Lorenz in Oldenburg trauern.
Vielen Dank.