Meta Janssen-Kucz: Rede zum Kinderschutz (Aktuelle Stunde CDU)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede

Vor fast 30 Jahren haben die Vereinten Nationen die Kinderrechtskonvention verabschiedet, um die Situation von Kindern weltweit zu verbessern.

Sie enthält fundamentale Rechte, die jedem Kind zustehen, damit seine Menschenrechte gewahrt werden können. Auch die Bundesregierung hat sich dazu verpflichtet. Aber in Deutschland bestehen noch immer Defizite in der Umsetzung, der Verwaltung und der Gesetzgebung. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Unrecht, das Kindern zustößt und dem Umstand, dass Kinderrechte einfach noch nicht gesellschaftlich etabliert sind.

Der direkte Weg für die Umsetzung der Kinderrechte ist die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. Passiert ist bis heute auf Bundesebene nichts. Und auch auf Landesebene haben wir noch Arbeit vor uns.

Diese Aktuelle Stunde der CDU sollten wir zum Anlass nehmen, in eine längst überfällige Auseinandersetzung einzusteigen.

Wir haben regelmäßige Unterrichtungen und jetzt die Anhörung zum Fall Lügde hinter uns. Zwischenzeitlich sind einzelne Straftäter zu hohen Haftstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Aber unabhängig davon, dass Kinder weiterhin Opfer von Gewalt und Unrecht werden, sind die Kinder, die Opfer solcher Gewalt wurden, traumatisiert und schwer belastet. Diese Menschen, denen als Kinder und Jugendlichen so schweres Unrecht widerfahren ist, sind diejenigen die jetzt umfassende Hilfe und Unterstützung brauchen.

Konsens besteht darüber, dass der Fall Lügde und seine Ursachen in Niedersachsen aufgearbeitet werden müssen.

Auch wenn einzelne Straftäter verurteilt wurden, ist es damit nicht getan, denn viele Fragen zu dem jahrelangen Versagen von Kinderschutz bleiben offen. Nicht geklärt bleibt, wie über Jahre hinweg Kinder auf einen so ungeeigneten Campingplatz in Pflege gegeben wurden und wie die Gewalt, die ihnen angetan wurde, über Jahre unentdeckt blieb. Wir müssen nach diesen schlimmen Vorfällen klären, wie eine kindgerechte Justiz aussieht und was wir zukünftig für einen Umgang mit Opfern sexuellen Gewalt brauchen.

Klar ist, dass wir uns zukünftig eng vernetzt gemeinsam mit den strukturellen Defiziten im Kinderschutz und den unterschiedlichen Formen der Kindeswohlgefährdung auseinandersetzen müssen. Dazu gehört aber vor allem anderen eine umfassende Analyse der Schnittstellen zwischen Land und Kommunen und den Schwächen dieser Schnittstellen. Kindeswohl muss zukünftig stärker im Mittelpunkt aller Entscheidungen über Pflege und Sorgerecht stehen.

Anrede

Die weiter existierenden strukturellen Defizite wurden in den letzten Wochen deutlich. Im Fokus steht die Unterbringung von auffälligen Jugendlichen in einem Sozialprojekt in Maramures in Rumänien durch einen niedersächsischen Jugendhilfeträger. Einige Kolleg*innen hatten beim Bekanntwerden der neuerlichen Missbrauchsvorwürfe sicher ein Deja vu, denn schon 2009/2010 war die Einrichtung Wildfang in Bothel im Rahmen von Petitionen Thema im Sozialausschuss.

Die Fragen, die schon damals im Raum standen, wurden in den letzten 10 Jahren offenbar nicht ausreichend bearbeitet. Bis heute fehlt ganz offensichtlich eine ausreichende Kontrolle durch die örtlichen Jugendämter und das Landesjugendamt.

Bis heute wissen wir nicht, wie viele Jugendliche aus Niedersachsen im Rahmen der Erziehungshilfe im europäischen und sonstigen Ländern untergebracht sind. Es gibt keinen klaren Rechtsrahmen, keine Meldepflicht!

Schwierig ist, dass das Land Niedersachsen, die Jugendämter und Eltern keinen ausreichenden Kontakt zu den rumänischen Behörden haben. Unklar ist die Situation des Jugendlichen, die von den rumänischen Behörden in Obhut genommen wurde. Aktuell bekommt die deutsche Botschaft in Bukarest keinen Zugang zu ihnen. Das sind unhaltbare Zustände, die der Aufklärung im Wege stehen und Kinderschutz verhindern.

Dazu kommt, dass bei dem Verein Wildfang offenbar seit Jahren Rechtsradikale als Pädagogen beschäftigt sind und mit sadistischen Methoden wie beispielsweise kilometerlangen nächtlichen Gewaltmärschen und anderen fragwürdigen Methoden versuchen, schwierige Jugendliche zu demütigen.

Allein die uns jetzt bekannten Vorgänge, bei denen sichtbar der Schutz der Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend funktioniert hat, machen deutlich, wie wichtig es ist, dass wir den Verfassungsauftrag mit Leben füllen müssen.

Wir sind hier als Parlament gefordert, ähnlich wie bei den Patientenmorden des Krankenpflegers in Delmenhorst und Oldenburg, in diesem Fall das Themenfeld Kinderschutz und mögliche strukturelle Ursachen für das Versagen gründlich aufzuarbeiten. Kinderschutz muss verhindern, dass Kindern unentdeckt weiter Gewalt angetan wird.

Wir haben bei der Aufarbeitung der Morde des Krankenpflegers gute Erfahrungen mit der gemeinsamen Arbeit in einem Sonderausschuss gemacht, warum entscheiden wir uns also nicht für einen Sonderausschuss Kinderschutz?

Sich für eine Kinderschutzbeauftragte auf Landesebene auszusprechen, reicht angesichts des dramatischen Versagens von Kinderschutz nicht aus. Auch das Vorhaben, den Kinderschutz stärker als Querschnittsaufgabe zu verstehen und einen interministeriellen Arbeitskreis einzurichten, wird den Kinderschutz auf allen Ebenen erst dann ausreichend nach vorn bringen, wenn wir in einem Sonderausschuss die Gründe für das Versagen aufgearbeitet haben.

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