Meta Janssen-Kucz: Rede zum Abschlussbericht der Enquetekommission zur Verbesserung des Kinderschutzes und zur Verhinderung von Missbrauch und sexueller Gewalt an Kindern

Rede Top 7: Enquetekommission zur Verbesserung des Kinderschutzes und zur Verhinderung von Missbrauch und sexueller Gewalt an Kindern

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

in jeder Schulklasse sind Schätzungen zufolge im Durchschnitt zwei Kinder von sexualisierter Gewalt betroffen. Zwei Kinder, die auf die Hilfe von Erwachsenen angewiesen sind.

Zwei Kinder, die darauf angewiesen sind, dass es ein funktionierendes Hilfesystem gibt. Zwei Kinder, die im Schnitt mit acht Erwachsenen Kontakt haben, bis sie Hilfe finden.

Am Landgericht Frankfurt läuft gerade der Prozess gegen die Gründer der Darknet-Plattform Boystown, die bis zu ihrer Stilllegung durch das Bundeskriminalamt rund 400.000 Mitglieder und über eine Million Beiträge mit kinderpornografischem Inhalt hatte.

Sexualisierte Gewalt an Kindern ist somit nicht das Randphänomen, für das es häufig gehalten wird.

Sie ist für viele Kinder in diesem Land schmerzhafte Realität.

Die Enquete-Kommission hat sich selbst einen sehr breiten Arbeitsauftrag erteilt. Und das war eine gute Entscheidung. Denn wenn wir jetzt in den Abschlussbericht gucken, sehen wir, dass wir in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen noch Möglichkeiten haben, Kinder besser als bisher zu schützen, sie zu stärken und ihnen ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen.

Wenn es um sexualisierte Gewalt an Kindern und um Kinderpornografie geht, wird häufig als Erstes über Strafverschärfungen diskutiert. Wissenschaftlich ist der Nutzen von Strafverschärfungen – auch das ist eine Erkenntnis der Enquete-Kommission – mittlerweile eindeutig widerlegt. Aber klar ist, dass es nicht die eine ultimative Maßnahme gibt. Wenn wir Kinder in unserer Gesellschaft besser schützen wollen, müssen alle mit ran.

In Niedersachsen gibt es bereits sehr viele Angebote.       

Es gibt Kinderschutzzentren, Beratungsstellen, Fachkräfte für Kinderschutz; es gibt zahlreiche Projekte von „Mein Körper gehört mir“ bis „Ziggy zeigt Zähne“; es gibt haufenweise Ratgeber, Flyer, Informationsmaterial und vieles Weitere.

Was es jedoch nicht gibt, ist eine Strategie. Eine Strategie, die ein flächendeckendes, gut erreichbares und tragfähiges Hilfesystem in ganz Niedersachsen sicherstellt. Denn Täter (und manchmal auch Täterinnen) kennen die Lücken im Kinderschutz sehr genau und nutzen sie gezielt aus.

Sie wissen – das hat auch der Fall Lügde gezeigt – ganz genau, wo die Zuständigkeiten einzelner Jugendämter aufhört. Sie wissen die ärztliche Schweigepflicht zu nutzen. Und sie wissen, dass ihre Spuren im Darknet nur sehr schwer zu verfolgen sind. Und sie wissen, dass sie keine Angst haben müssen vor Sicherheitsbehörden, die noch mit Fax und Papierakten arbeiten.

Die technische und personelle Ausstattung der Sicherheitsbehörden ist für uns ein wichtiges Handlungsfeld aus dem Abschlussbericht.

Eine weitere zentrale Herausforderung ist die Situation der Beratungsstellen. Sie leisten hervorragende Arbeit, obwohl sie seit Jahren zunehmend überlastet sind, dauerhafter Unterfinanzierung und finanzieller Unsicherheit ausgesetzt sind. Zu allem Überfluss hat die Landesregierung mit dem letzten Haushalt auch noch die Finanzierung der so wichtigen Koordinierungsstelle auslaufen lassen. Uns allen muss deshalb klar sein, dass es so nicht weitergeht.

Wir müssen hier endlich zu einer auskömmlichen Finanzierung und einer vernünftigen Personalausstattung kommen.

Schließlich kommt auf die Beratungsstellen auch eine neue Aufgabe zu. Sie sollen Kitas, Schulen und andere Einrichtungen für Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, Schutzkonzepte zu entwickeln. Wenn wir es damit ernst meinen, müssen wir die nötigen Voraussetzungen schaffen – auch im Landeshaushalt.

Gleichzeitig müssen wir das Thema Kinderschutz in der Ausbildung aller Berufe verpflichtend vorsehen, die mit Kindern arbeiten. Bisher ist Kinderschutz in den meisten Studiengängen ein freiwilliges Seminar und Fortbildungs-möglichkeiten sind rar gesät. Ziel muss es jedoch sein, dass alle Erzieherinnen, Lehrkräfte, Kinderärzte usw. wissen, was zu tun ist, wenn sie ein komisches Gefühl haben. Denn dieses Gefühl wird in der Rückschau häufig beschrieben, führt aber bisher selten zu weiterem Handeln.

 

Anrede

ein weiteres Anliegen ist uns die Unterstützung für kindliche Opfer. Wir brauchen dafür Childhood Häuser in Niedersachsen. Orte, an denen Kinder und ihre Familien in einer absoluten Ausnahmesituation aufgefangen werden und alle nötigen Hilfen erhalten - von der medizinischen Untersuchung, über Befragungen und psychosoziale Betreuung bis hin zur Prozessbegleitung. Wir werden es nicht schaffen, alle Kinder vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Aber das Mindeste, was wir im Fall der Fälle tun können, ist den Opfern jede erdenkliche Hilfe zukommen zu lassen.

In den letzten beiden Jahren haben wir in jeder Anhörung neue Impulse bekommen, wie wir Kinderschutz wirksam verbessern können. Jetzt geht es darum, für all die Handlungsempfehlungen in unserem Abschlussbericht einen sinnvollen Rahmen zu setzen. Manches davon müssen wir flächendeckend einsetzen, anderes wiederum gezielt in bestimmten Bereichen. Dafür brauchen wir eine Kinderschutzstrategie.

Und wir brauchen ein Kinderschutzgesetz, das ein tragfähiges Hilfesystem und einheitliche Standards in ganz Niedersachsen sicherstellt. Es ist die ureigene Aufgabe der politisch Verantwortlichen, den zahlreichen Schutzmaßnahmen und Hilfsangeboten eine solide Basis zu verschaffen. Nur so ist entschlossenes und konsequentes Handeln möglich.

Für uns ist das eine der wichtigsten Aufgaben für die neue Legislaturperiode.

Abschließend möchte ich mich bei allen bedanken, die die Enquete Kinderschutz und Schutz vor sexueller Gewalt unterstützt, begleitet und vor allem ihre Expertise eingebracht haben.

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