Marie Kollenrott: Rede zu den Haushaltsberatungen 2022/2023 – Schwerpunkt Justiz

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

lassen Sie mich auch an dieser Stelle zuerst Danke sagen für den freundlichen Empfang im Rechtsausschuss. Vielen Dank, das macht mir das Hineinfinden deutlich leichter und es macht im guten Miteinander einfach auch viel mehr Spaß.

Jetzt zur Sache: Uns allen ist bewusst, dass die Justiz auch im zweiten Corona-Jahr vor besonderen Herausforderungen stand. Unter Bedingungen von ohnehin schon hoher Belastung, einer viel zu langsam umgesetzten Digitalisierung und sich ständig ändernden Rahmenbedingungen wurde allen Beteiligten viel abverlangt. Daher gilt zu allererst mein Dank und Respekt allen Beschäftigten in der Justiz!

Doch als Parlament schulden wir der Justiz nicht nur Beifall und Dank, sondern auch, dass wir uns für reale Verbesserungen der Arbeitsbedingungen einsetzen. Dazu gehört insbesondere eine bessere Ausstattung - hier fordern wir ein Plus von 200.000€ über den Niedersachsen-Fonds zur Verbesserung der Sicherheitsstandards an den Gerichten und Förderung der Inklusion in den Gerichten und Staatsanwaltschaften -, eine Reduzierung der Arbeitszeitbelastung sowie spürbare Fortschritte bei der Digitalisierung.

Und hier muss ich feststellen: die rot-schwarze Koalition tut einfach zu wenig! Einzelne zusätzliche Richterstellen werden es hier im wahrsten Sinne nicht richten – liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU.

Im Bereich der Arbeitsbelastung möchte ich einen Aspekt einmal herausgreifen: In unseren Gefängnissen sitzen zu viele Menschen, die dort nicht hingehören. Ob schwarzfahren, der Besitz von Cannabis oder das Retten von Lebensmitteln aus Containern - unsere Justiz muss sich vielfach mit Dingen beschäftigen, für die aufgrund fehlender Rechtsgutsverletzung oder der Geringfügigkeit ein Strafbedürfnis fehlt. Das steht nicht nur einem freiheitlichen Rechtsstaat schlecht zu Gesicht, sondern es belastet auch die Justiz unnötig, der so weniger Zeit für wirklich wichtige Verfahren bleibt. Und natürlich ist hier zunächst der Bundesgesetzgeber gefragt. Deshalb freue ich mich auch über das Vorhaben der neuen Ampelkoalition zu einem Cannabis-Kontrollgesetz.

Doch auch das Land könnte mehr tun. Warum lassen wir kurz vor der Entkriminalisierung von Cannabis noch immer den Besitz selbst kleinster Mengen so streng verfolgen? Hier könnte die Landesregierung etwa durch die Anhebung der Besitzgrenze schon jetzt unnötige Verfahren verhindern und die Justiz entlasten - gerade im Hinblick auf eine baldige Entkriminalisierung halte ich dies für vertretbar. Auch im Bundesrat sollte die Landesregierung mehr Engagement zeigen und nicht blockieren!

Ebenso bereitet mir Sorgen, dass sich die Gefängnisse immer mehr mit Menschen füllen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. Laut Straffälligenhilfe sitzen in Niedersachsen 450 Menschen pro Jahr ein, weil sie nicht zahlungsfähig sind.

Lassen Sie es mich klar sagen: diese Menschen sind überwiegend inhaftiert, weil sie arm sind. Und das ist ein für einen sozialen Rechtsstaat unerträglicher Zustand. Auch hier erwarte ich mehr Engagement der Landesregierung. Programme wie "schwitzen statt sitzen", die nebenbei dem Land auch viel Geld sparen können, sollten gestärkt werden anstatt sie in der Pandemie einschlafen zu lassen. Hier wäre gerade jetzt besonderes Engagement gefordert und das vermisse ich bisher, Frau Justizministerin! Und warum nimmt sich die Landesregierung eigentlich kein Beispiel an Berlin, wo zumindest für einige Monate während der aktuellen Corona-Welle die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe ausgesetzt wurde?

Zum Thema Digitalisierung: Die Ministerin hat ja richtig erkannt, dass wir mehr Tempo bei der Digitalisierung bei Polizei und Justiz brauchen. Das gilt schon angesichts der immer komplexer werdenden Aufgaben und Unmengen von Daten, die in vielen Verfahren ausgewertet werden müssen. Aber das gilt auch in ganz alltäglichen Dienstabläufen. Wenn ich aus dem Polizeialltag höre, wie Akten noch für eine einzelne Unterschrift zur Staatsanwaltschaft mit dem Auto gefahren werden müssen und dann wieder zurück, dann zeigt das doch ganz offensichtlich: es gibt hier noch viel zu tun.

Und insbesondere die ländlichen Räume dürfen wir hier nicht vergessen. Es reicht nämlich eben nicht, wenn nur in Hannover, Oldenburg und Göttingen die E-Akte nutzbar ist.

Einen Punkt möchte ich zum Ende noch ansprechen, der mir sehr wichtig ist.

Viel zu oft führen wir eine zu sehr auf die Täter fokussierte Debatte, bei der es um Verschärfungen und Straferwartungen der Allgemeinheit geht - hier kann ich nur an die Initiative der Ministerin zur Beendigung von Kettenbewährungen erinnern -anstatt uns darum zu kümmern, was den Opfern wirklich hilft. Hier brauchen wir aber mehr. Beratungs- und Unterstützungsangebote müssen ausgebaut und flächendeckend gewährleistet sein - das gilt in einem Flächenland wie Niedersachsen gerade auch für die ländlichen Räume. Unsere Justiz muss noch besser für einen sensiblen Umgang mit Opfern geschult werden. Und Initiativen wie "ProBeweis" an der MHH zur Sicherung von Beweisen bei häuslicher und / oder sexualisierter Gewalt - hier ist die Fallzahl in den letzten Jahren stark angestiegen - müssen konsequent unterstützt werden. Auch die Prävention ist ein elementarer Grundstein des Opferschutzes. Das muss im Haushalt unter dem Stichwort Täter-Opfer Ausgleich unserer Ansicht nach noch weitaus besser gewürdigt werden als jetzt. Die Koalition hat mit ach und krach über die politische Liste am jetzigen Stand festgehalten. Wir sagen das reicht nicht aus. Und deshalb wollen wir hier auch 150 000 Euro mehr bereitstellen.

 

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