Lena Nzume: Rede zum Potential der Sprachvielfalt an Schulen (Aktuelle Stunde GRÜNE)
Rede TOP 39b: Mehrsprachig aufzuwachsen ist ein Schatz – Potential der Sprachvielfalt an Schulen nutzen!
- Es gilt das gesprochene Wort -
Anrede,
Ich freue mich, dass wir heute mit unserer Aktuellen Stunde ein Thema beleuchten, das oft sehr wenig Beachtung findet: die Mehrsprachigkeit.
Mehrsprachigkeit ist in unseren Schulen ist Mehrsprachigkeit gelebte Realität, denn Niedersachsens Schüler*innen sind vielfältig. Aber eher auf dem Pausenhof als im Unterricht. Diesen Umstand wollen wir mit dem neuen Erlass ändern.
Für viele Kinder und Jugendliche ist es normal, zwischen verschiedenen Sprachen hin und her zu wechseln. Diese Fähigkeit, nach Bedarf und Anlass – ja auch nach Gefühl und Situation oder wie Meta Janssen-Kucz im Traum - zwischen mehreren Sprachen zu wechseln ist ein unschätzbarer Gewinn. Es ist ein großes Geschenk, wenn Sie mich fragen, und zwar nicht nur für die Personen selbst, sondern für unsere gesamte Gesellschaft.
Mehrsprachigkeit ist – global gesehen– mittlerweile der Standard.
Oft genug wird dieses Potenzial nicht ausreichend gefördert, noch gewürdigt oder genutzt. Bestimmte Sprachen werden leider nicht als Bereicherung gesehen, sondern als Herausforderung oder Störfaktor. Meist werden nordeuropäischen Sprachen ein höheres Prestige und damit eine größere Bedeutung zugesprochen. Andere Sprachen werden als weniger wertvoll, weniger brauchbar und weniger bedeutsam betrachtet. Zugleich erfahren die Menschen, die diese Sprache sprechen, eine Abwertung. Es gibt sogar einen Begriff dafür: Linguizismus!
Eine Didaktik der Mehrsprachigkeit trägt im Gegensatz dazu bei, ein Verständnis zu entwickeln, dass alle Sprachen gleich gut und alle Menschen wertvoll sind. Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl!
Diejenigen, die einen „monolingulen Habitus in eine multilingualen Schule“ (Ingrid Gogolin 2008) fordern, werden sich nun wundern.)
Studien zeigen deutlich, dass Kinder, die gute schrift-sprachliche Kenntnisse in ihrer Herkunftssprache besitzen, auch bessere Leistungen in Deutsch und allen weiteren Fremdsprachen erzielen. Es konnte gezeigt werden, dass eine mehrsprachige Förderung – also ein Unterricht, in dem Herkunftssprachen zugelassen sind und ihr Gebrauch gezielt unterstützt und gelehrt wird, – nicht nur zu sprachlichen, sondern auch zu fachlichen Leistungszuwächsen führt.
Bislang steht allerdings nur einem geringen Teil der Kinder und Jugendlichen ein öffentlich gefördertes Angebot herkunftssprachlichen Unterrichts offen. Auch die Zahl der Sprachen, in denen ein solches Angebot vorgehalten wird, ist bei weitem geringer, als die Zahl der von Migrantinnen und Migranten gesprochenen Sprachen. Zudem gehen die herkunftssprachlichen Angebote seit Jahren zurück. Dieser Zustand arbeitet gegen den Erfolg derjenigen, die das Geschenk erhalten haben, mehrsprachig aufzuwachsen. Gleichzeitig führt es dazu, dass nicht staatliche und somit nicht-reglementierte Angebote zunehmen. Das kann nicht in unserem Sinne sein.
Der neue Erlass zur Förderung der Mehrsprachigkeit setzt hier an und verändert die Perspektive: Er erkennt alle Sprachen als gleichwertig und als wertvollen Bestandteil der Identität und Bildung unserer Schülerinnen und Schüler an.
Ziele des Erlasses:
Mit dem Erlass schaffen wir die Grundlage, Mehrsprachigkeit als Bildungsvoraussetzung und Bildungsziel in unseren Schulen zu verankern. Ein ganzheitliches Gesamtsprachenkonzept soll die sprachlichen Potenziale aller Schülerinnen und Schüler fördern und sichtbar machen. Das Ziel ist klar: Bildungserfolg für alle – mit der Herkunft und den mitgebrachten Sprachkenntnissen.
Konkrete Maßnahmen und Chancen:
Gern möchte ich einige besonders wichtige Regelungen des Erlasses hervorheben:
- Informationsweitergabe an Eltern: Schulen sind künftig verpflichtet, Eltern aktiv über die Möglichkeiten des Erstsprachenunterrichts zu informieren. Dies erleichtert den Zugang zu diesen Angeboten erheblich und fördert die Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus.
- Erstsprachenbeauftragte: Die Möglichkeit, einen Erstsprachenbeauftragten zu benennen, stärkt die Unterstützung für Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern. Diese Funktion schafft eine wichtige Schnittstelle zwischen Schule und Gesellschaft.
- Anerkennung von Sprachkompetenzen: Schülerinnen und Schüler, die neu nach Deutschland gekommen sind, können ihre Kenntnisse in ihrer Erstsprache durch Zeugnisse aus dem Herkunftsland oder Sprachprüfungen anerkennen lassen. Dies ist ein bedeutender Schritt, um Bildungsgerechtigkeit zu fördern und den Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen zu erleichtern. Gleichzeitig wird ihre Herkunftssprache als wichtiger Teil ihrer Identität und als Kompetenz anerkennt.
- Qualifizierung von Lehrkräften: Der Erlass legt hohen Wert auf qualifizierte Lehrkräfte im Erstsprachenunterricht. Um dies zu gewährleisten, sind berufsbegleitende Weiterqualifizierungen und Programme wie „Back to School“ für geflüchtete Lehrkräfte entscheidend. Diese Maßnahmen eröffnen neue Perspektiven und stärken unser Bildungssystem.
Damit der Erlass erfolgreich umgesetzt werden kann, sind weitere Schritte erforderlich. Schulen benötigen Unterstützung bei der Entwicklung von Gesamtkonzepten zur Sprachbildung, und Lehrkräfte brauchen umfassende Fortbildungen. Ebenso entscheidend ist es, die Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse zu beschleunigen und mehrsprachige Lehrkräfte gezielt zu fördern.
Mit diesem Erlass senden wir ein starkes Signal: Wir erkennen die sprachliche Vielfalt unserer Schülerinnen und Schüler als Bereicherung an und machen sie zu einem zentralen Bestandteil unserer Bildungsarbeit. Dabei führt der Raum, der für Mehrsprachigkeit geschaffen wird, ganz Nebenbei zur Steigerung der Motivation, indem Lernende erleben, dass ihre Herkunftssprachen wertgeschätzt werden und als Ressource für das Lernen genutzt werden können. Dies ist ein wichtiger Beitrag zu mehr Chancengleichheit und einer Schule der Vielfalt in unserer Migrationsgesellschaft.
Vielen Dank.