Julia Willie Hamburg: Rede zum Nachtragshaushalt 2020

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

ich möchte mit Ihnen heute über Handlungsfähigkeit und Scheuklappen sprechen. Denn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, sind sich mit ihren Haushalten mal wieder so uneins über die Richtung, dass Sie am Ende viel Geld in die Hand nehmen, aber nur unzureichend damit vorangehen werden.

8,4 Mrd. Euro bringen Sie heute auf den Weg. Eine wirklich große Summe! Der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen sagt dazu: Wir werden kräftig gegen die Krise investieren. Er habe schon als Kämmerer der Stadt Hannover erlebt, dass man sparen könne, so viel wie man wolle, am Ende würden die Steuereinnahmen dafür sorgen, dass es der öffentlichen Hand gut geht. Eine richtige Analyse. Aber schauen wir uns deshalb ganz nüchtern einmal die Zahlen an:

5,1 Mrd. Euro wendet das Land auf, um Einnahmeausfälle zu kompensieren. Soweit, so richtig. Aber nüchtern betrachtet geht von all diesen Mitteln nicht ein einziger zusätzlicher Konjunktur- und Investitionsimpuls aus.

Dann verwenden Sie 626 Millionen Euro für die Vorsorge. Auch das ist absolut vernünftig. Zieht man diese Gelder aber ab, dann merkt man schnell, dass für ein kraftvolles, zusätzliches Investitionspaket am Ende wenig Geld übrig bleibt.

Und das Fatalste daran ist: Sie investieren mit Ihren Vorhaben auch nicht langfristig und nachhaltig. Genau darüber haben wir in den letzten Wochen und Monaten immer wieder gesprochen. Um die Konjunktur verlässlich anzukurbeln und das Ziel zu erreichen, dass wir in vier Jahren wieder Steuereinnahmen auf dem Vorjahresniveau haben, ist es entscheidend, jetzt als Staat langfristige und verlässliche Finanzierungszusagen zu tätigen. Und das erwarten wir von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir regen deshalb die Umsetzung eines Niedersachsenfonds an, wie der DGB ihn in die Debatte gebracht hat. Die Summe, die sie direkt investieren wollen, würden wir in einen Fonds investieren, als Grundlage für die Aufnahme von Krediten. So könnten am Ende mit einer Milliarde Euro bis zu zehn Milliarden Euro gehebelt werden. Das liebe Kolleginnen und Kollegen wäre eine kraftvolle Investition. Wir wären damit auf der einen Seite in der Lage, die zwingend notwendigen Investitions- und Konjunkturimpulse zu setzen und auf der anderen Seite würden wir unseren Landeshaushalt entlasten und handlungsfähig bleiben. Denn das was Sie gerade planen, nimmt uns landespolitisch langfristig die Luft zum Atmen nehmen.

Der Niedersachsenfonds bietet den Kommunen die Möglichkeit, in den nächsten Jahren wieder Investitionsprogramme aufzulegen. Sie alle wissen, welch einen Sanierungsstau Land und Kommunen vor sich herschieben und das 50% der öffentlich getätigten Investitionen durch die Kommunen erfolgen. Ob es die Schulsanierungen, die Digitalisierungsinvestitionen, der Hochschulbau oder die Investitionen in Klimaschutz, Erneuerbare Energien und in die Mobilität sind. Sie alle warten darauf, erledigt zu werden. Auch die Gründung einer Landeswohnungsbaugesellschaft, die dann über den Wohnungsbau Wertschöpfung und Einnahmen generiert, könnte aus einem solchen Fonds realisiert werden. Überfällige Investitionen in den Umbau unserer Industriestandorte, Joint Venture Programme und Investitionen in die Forschung von Wasserstoff und andere Zukunftstechnologien – all das müssen Bund und Land in den nächsten Jahren vorantreiben. Ich frage Sie: Womit wollen Sie das bewerkstelligen? Der Niedersachsen-Fonds bietet hier Perspektiven. Konkrete Projekte dieses Fonds können direkt mit einem Tilgungsfonds hinterlegt werden. Infrastrukturmaßnahmen sich durch den Verkauf oder die Wertschöpfung einzelner Maßnahmen refinanzieren. Und das Land behielte die Handlungsfähigkeit im Haushalt, um Maßnahmen voranzutreiben, die dringend auf die Agenda gehören:

  • einen Zuschuss zum Pflegebonus für alle – und nicht nur für die Altenhilfe
  • die Ausweitung der Corona-Testkapazitäten
  • Der Erhalt unserer Bildungs- und kulturellen Infrastruktur - durch das Auflegen eines Rettungsfonds für die Erwachsenenbildung oder und für Soloselbstständige
  • Oder die Investition in zusätzliches Personal an Schulen, Maßnahmen zur Begegnung der sozialen Krise oder der Begegnung des Fachkräftemangels

Sie sehen, die Liste ist lang. Aber das wissen Sie selbst natürlich auch: Schließlich haben Sie verkündet, dass das 365-Euro-Ticket für Azubis und Schüler*innen oder die Verbesserungen der Kita-Qualität oder auch A13 für Grund- Haupt- und Realschullehrkräfte nicht mehr kommen werden.

Und jetzt werden Sie mir gleich erzählen, dass wir ja genauso wie Sie einen Schattenhaushalt anlegen wollen, der jenseits des Parlamentes Geld ausschüttet. Und da sage ich Ihnen: Das wollen wir gerade nicht. Wir wollen, dass die N-Bank zu einer Investitionsbank ausgebaut wird und dafür einen Auftrag durch den Landtag erhält, der definiert, wofür die Gelder ausgegeben werden sollen und welche Ziele zu erreichen sind. Auch finden wir, dass es ein Aufsichtsgremium unter parlamentarischer Beteiligung geben soll.

Was mich aber noch einmal dazu bringt, Ihnen etwas zu ihrem parlamentarischen Selbstverständnis zu sagen. Ich finde es wirklich erschreckend, wie dieser Nachtragshaushalt beraten wurde. Wir haben in diversen Ausschüssen Anträge auf Unterrichtung gestellt, die von ihnen liebe Groko schlicht abgelehnt wurden. Gleichzeitig wurde auch im Haushaltsausschuss nur ungenügend beraten. Es ist inakzeptabel, dass die Landesregierung nicht zielgerichtet sagen konnte, wofür genau sie welche Summe ausgeben möchte und welchen Zweck sie damit verfolgt. Sie wollen hier und heute der Landesregierung Blanko-Schecks erteilen, ohne dass Sie wissen, wofür. Da fragen wir uns, in welcher Rolle Sie sich als Haushaltsgesetzgeber eigentlich sehen? Als Souverän jedenfalls nicht! Wenn wir schon Milliarden ausgeben, dann sollten wir wenigstens auch als Haushaltsgesetzgeber selbstbewusst entscheiden, wofür und was konkret damit gemacht wird. Jedenfalls ist das unser Verständnis von Parlamentarismus! Ihr Vorgehen in Bezug auf diesen Haushalt können wir absolut nicht billigen. Wir wären bereit gewesen, den Haushalt - auch über die Sommerpause - vertieft zu beraten und glauben fest, dass das dem Haushalt gut getan hätte!

Und auch auf Ihre andere Unterstellung möchte ich gerne noch eingehen: Nämlich, dass wir zu viele Schulden machen und finanzpolitisch unseriös agieren würden. Liebe Kolleginnen und Kollegen: Das Gegenteil ist der Fall! Man kann einen Haushalt auch durch Unterlassen ruinieren und dabei zusehen, wie unsere marode Infrastruktur den Bach runtergeht oder wir die wichtigen Zukunftsinvestitionen verschlafen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist die Alternative zu diesem Niedersachsenfonds? Die Alternativen wären Nichts tun oder Öffentliche-Private Partnerschaften, bei denen der Staat die finanziellen und politischen Risiken trägt und andere die Gewinne kassieren. Denn nichts anderes werden Sie machen müssen, um die Schuldenbremse für die anstehenden Investitionen zu umgehen. Und da ist für uns zumindest klar: Wir wollen transparent und verlässlich sagen, wie und in was der Staat künftig investiert. Wir wollen schlagkräftig investieren und wenn wir schon Milliarden bewegen, dann in zukunftsfähige Investitionen, die nachhaltig die Wirtschaft ankurbeln. Und wir wollen mit Ihnen gemeinsam einen Weg bestreiten, der unseren Haushalt noch lange handlungsfähig hält. Denn eines dürfte uns allen klar sein: Wir alle wollen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter politisch gestalten und nicht nur den Mangel verwalten. Deshalb würde ich mich freuen, wenn wir die jeweiligen Scheuklappen in dieser Frage ablegen und uns ernsthaft in die Augen sehen und miteinander beantworten, wie wir die nächsten Jahre und Jahrzehnte handlungsfähig bleiben wollen. Denn das Interesse eint uns über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg.

Vielen Dank.

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