Julia Hamburg: Erwiderung auf die Regierungserklärung "Nach der dritten Welle - Schritte in Richtung Normalität" (Video)

(Die Regierungserklärung wurde gemeinsam mit unserem Antrag (siehe Link) behandelt.)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ist er also: der Stufenplan. Man muss ja sagen, das war ja eine wirklich schwere Geburt. Denn rückblickend müssen wir doch einmal festhalten  das hätte ich heute gerne auch von Ihnen gehört : Hätten wir früher gehandelt, hätten wir konsequenter gehandelt, hätten wir früher Klarheit gehabt und die Zahlen konsequent gesenkt, hätten wir früher getestet  uns wären Monate einer Hängepartie erspart geblieben, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nun aber ist er da, und vieles von dem, was wir gefordert haben, findet sich in ihm. Draußen ist das neue Drinnen  ich weiß nicht, ob sie das noch hören können, Herr Ministerpräsident. Das scheint sich auf jeden Fall gesetzt zu haben. Sie sind hier deutlich differenzierter geworden. Auch das Soziale findet in Ihrem Stufenplan plötzlich Raum. Das können wir nur begrüßen. Auch die Altenheime werden beispielsweise explizit aufgefordert, Teilhabe zu ermöglichen. Vielen Dank dafür! Das sind wichtige Signale.

Was Sie uns heute aber immer noch nicht beantwortet haben, Herr Ministerpräsident: Was ist Ihre Zielperspektive?  Sie haben kein Wort dazu verloren. Was streben Sie als Landesregierung an?

Sie stochern im Nebel, öffnen alles auf einmal, halten damit die Zahlen oben und arbeiten nicht an Erkenntnissen darüber, wie Infektionen eigentlich geschehen. Herr Ministerpräsident, das ist keine Strategie, um die Zahlen weiter zu senken!

Außer das Hoffen auf Impfen haben Sie nämlich keine Strategie. Sie tun nichts! Sie hoffen, dass wir die nächsten Wochen durch die Impfungen kommen und dass dann am Ende alles besser wird. Keinerlei Prognose, wann und ob sich Öffnungen wie auswirken und wie das mit dem Impfen zusammenhängt.

Herr Ministerpräsident, das reicht nicht aus! Hier braucht es mehr Antworten! Hier braucht es Forschung! Wir brauchen Erkenntnisse, liebe Kolleginnen und Kollegen, um zielgerichtet gegenzusteuern!

Auch Ihr Testregime ist lückenhaft, Herr Ministerpräsident. Ihr Stufenplan ist hier inkonsistent. Warum soll in der Stufe 2 nicht mehr getestet werden? Warum sollte das Prinzip, andere zu schützen, dann nicht mehr gelten? Warum sollten Kinder nicht auch getestet werden? Zweimal in der Woche in der Schule reicht hier nicht aus, Herr Ministerpräsident!

Wenn wir Sicherheit haben und die Maßnahmen zusammendenken wollen, dann müssen wir das immer und auch konsequent tun. Auch ein Inzidenzwert von 50 heißt nicht, dass die Infektionen verschwunden sind.

Dann die große Frage der Kommunikation: Seit Wochen hören wir: „Hin und her“ und „Das geht, und das geht nicht“. Dass z. B. Click & Meet wieder möglich ist, wissen die Leute in den Orten immer noch nicht, Herr Ministerpräsident; denn Sie haben die entsprechende Regelung zwar geändert, aber niemandem davon erzählt.

Meine Frage dazu ist: Wie sollen die Menschen da durchsteigen, die sich nicht 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche damit beschäftigen? W ie wollen Sie hier Klarheit schaffen? Wie wollen Sie insbesondere die Menschen erreichen, die nicht Zeitung lesen? Wie wollen Sie hier Konsistenz schaffen?

Nehmen wir das Beispiel Sport: Auf der FAQListe ist von einer Inzidenz von 35 die Rede, aber in Ihrer Verordnung von 30. Die AJugend ist nicht vernünftig definiert. Schon gibt es wieder Fragen über Fragen und Unsicherheit und damit am Ende auch wieder Menschen, die sich nicht an die Maßnahmen halten werden.

Herr Ministerpräsident, Sie äußern zwar Bedauern darüber, was alles in den letzten W ochen und Monaten nicht passiert ist. Aber wo bleibt Ihre Anstrengung jetzt, für die Zukunft Erkenntnisse zu gewinnen, um diese in der Pandemiebekämpfung zu nutzen? Ich kann sie nicht erkennen.

Sie, Herr Siebels, haben beim letzten Mal geunkt, dass wir Selbstverständlichkeiten in unsere Anträge schreiben.

Aber ich sage Ihnen deutlich: Die dritte W elle ist noch nicht vorbei, und Sie machen umfangreiche Lockerungen. Beim letzten Mal haben Sie gesagt: Frau Hamburg, dass wir eine Inzidenz unter 50 wollen, ist doch eine Selbstverständlichkeit. Warum schreiben Sie das in den Antrag? Dass wir einen R Wert unter 1 wollen, ist doch eine Selbstverständlichkeit. Warum schreiben Sie das in Ihren Antrag?  Herr Siebels, weil es eben keine Selbstverständlichkeit ist, weil der Ministerpräsident heute nicht gesagt hat, dass das seine Marschroute ist, und weil er etwas anderes macht. Die Landesregierung gibt sich vorsichtshalber keine Ziele, damit sie sie nicht reißen kann. Am Ende werden die Maßnahmen dazu führen, dass wir das Niveau bestenfalls halten und eben nicht unter einen Inzidenzwert von 50 in ganz Niedersachsen kommen werden, sondern der Wert zwischen 50 und 100 bleibt oder wieder nach oben schießt.

Die nächste Verordnung planen Sie perfiderweise auch noch für Himmelfahrt und Pfingsten.

Wissen Sie, was dann der Effekt ist, Herr Ministerpräsident?  Die Zahlen werden sinken, weil die Gesundheitsämter dann nicht melden. Das ist doch keine Datengrundlage, auf der man weitere Entscheidungen treffen kann!

Genau, wir wollten über Himmelfahrt die Zahlen senken. Sie haben gesagt: Das ist viel zu spät.  Herr Siebels, Sie haben die Zahlen immer noch nicht aktiv gesenkt!

Himmelfahrt ist schon am Donnerstag. Hätten Sie es wie von uns vorgeschlagen gemacht, hätten wir jetzt wenigstens eine Maßnahme, um die Zahlen zu senken.

Auch möchte ich Ihnen deutlich sagen: Das ist gerade für die betroffenen Wirtschaftsbereiche so wichtig, Herr Siebels; denn diese leiden unter dieser Unsicherheit. Natürlich freuen sich am Ende alle über Lockerungen. Natürlich freut sich ein Gastronom, wenn er die Außengastronomie wieder öffnen darf.

Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass sie langfristige Perspektiven brauchen. Die Gastronomie und die Hotels machen eben nicht „schnipp“ und sind ab heute oder ab nächster Woche wieder geöffnet, sondern schreiben ihren Kunden jetzt: Entschuldigung, wir wurden von dieser Landesregierung vollkommen überrumpelt! Wir müssen erst mal das Personal zurückholen, die Räumlichkeiten vorbereiten und alles mögliche machen! Wir öffnen erst in zwei Wochen!  Auch das gehört zur Wahrheit. Sie ermöglichen nichts ab dieser Woche, weil Sie der Wirtschaft viel zu spät Bescheid gesagt haben, als dass sie hätte Vorsorge treffen können.

Am Ende sind es nur niedrige Infektionszahlen, die es uns ermöglichen, Gastronomen auch dauerhaft eine Perspektive zu geben. Was nützt es ihnen, wenn sie jetzt Außengastronomie betreiben können, wenn sie nicht schon jetzt sagen können, dass bei ihnen im Sommer Hochzeitsfeiern stattfinden können? Sie wissen es nämlich nicht, weil die Landesregierung nicht sagt: Wir halten die Zahlen niedrig, damit Sie geöffnet bleiben können!  Das ist eben nicht das Credo. Aber genau das bräuchten wir als Signal in die Wirtschaft. Das wäre das Allerbeste!

Auch dürfen wir nicht einem weiteren Trugschluss aufsitzen. Herr Althusmann, da möchte ich explizit Sie adressieren. Den Wirtschaftsbereichen geht es nicht einfach plötzlich gut, nur weil es diesen Stufenplan gibt.

Ihnen wird es auch im Sommer und im Herbst nicht gut gehen. Deswegen müssen Sie gleichzeitig mit der Veröffentlichung dieses Stufenplans sagen, dass die Überbrückungshilfen fortgeführt werden  bis in den Herbst und in den Winter hinein.

Denn die Hochzeiten und Familienfeiern sind bereits abgesagt. Dem müssen wir Rechnung tragen.

Herr Weil, Sie sind auch hier Ihrer Linie wieder treu geblieben. Beim Arbeitnehmerschutz sagen Sie wieder: Bitte, bitte, bitte! Wir gucken einfach nicht hin, dann ist es vielleicht nicht so schlimm!  Herr Weil, auch das ist keine Strategie für Arbeitnehmerinnen und arbeitnehmerschutz. Wir fordern Sie erneut auf: Stärken Sie die Gewerbeaufsicht! Schauen Sie genau hin! Gehen Sie in die Bereiche, wo Arbeitnehmerinnen und arbeitnehmerschutz nicht großgeschrieben wird, und stellen Sie die Zustände dort ab!

Herr Siebels und Frau Modder, das ist das, was uns unterscheidet. Wir definieren Ziele für Maßnahmen, und die Maßnahmen müssen den Zielen gerecht werden. Das führt am Ende zu Nachvollziehbarkeit. Das ist der große Punkt.

Uns unterscheidet noch etwas von Ihnen, und zwar, dass wir uns im Gegensatz zu Ihnen hier nicht für einen Stufenplan abfeiern, den wir schon vor einem halben Jahr gefordert haben, sondern dass wir jetzt darüber reden wollen, was im Sommer und Herbst dieses Jahres passieren muss.

Denn unser Ziel muss es doch sein, endlich vor die Lage zu kommen, anstatt uns dafür abzufeiern, dass wir drei Monate zu spät ein Testregime hier in Niedersachsen etablieren.

Zu genau diesen Fragen haben Sie, Herr Ministerpräsident, nichts gesagt.

Ich gebe Ihnen erneut recht: Wir müssen auf Sicht fahren. Das heißt aber nicht, dass wir im Nebel stochern müssen. Ich finde dieses Bild sehr treffend. Denn wir wissen doch eigentlich schon jetzt, welche Fragen sich in den nächsten Wochen und Monaten stellen werden. Also lassen Sie uns hier und jetzt im Parlament mit Ihnen genau diese Fragen und auch Ihre Antworten diskutieren!

Wir sind eben nicht auf der Zielgeraden, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern wir müssen jetzt die nächsten Schritte klug wählen, damit wir überhaupt auf die Zielgerade kommen.

Was ist beispielsweise mit den Kindern, wenn alle anderen geimpft sind? Was passiert dann? Wie schützen wir sie?

Sie feiern hier Schulöffnungen, Herr Ministerpräsident  es ist auch wichtig, dass Kinder wieder in die Schule gehen dürfen. Aber wo ist Ihr Investitionspaket für Lüftungskonzepte in den Schulen? Wo sind die Investitionen in Waschbecken, in Toilettensanierungen? Wo ist das Konzept für DraußenSchulen? Wenn Sie sagen, dass Kinder und Jugendliche  als Einzige, die nicht geimpft sind  zur Schule gehen sollen, dann müssen wir sie besonders schützen! Wo sind da Ihre Antworten? Das wird eine für die Familien wirklich herausfordernde Zeit; denn das Virus sucht sich immer das schwächste Glied. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das werden im Sommer die Kinder und Jugendlichen sein, für die es keinen Impfstoff gibt.

Eine weitere Frage ist: Wie gehen Sie eigentlich mit den Impfzentren um? Was wird passieren? Wie organisieren wir die Auffrischungsimpfungen? Herr Ministerpräsident, es war Dezember, als Sie, Ihre Sozialministerin und auch Herr Althusmann die ersten Impfungen begleiteten. Bald ist ein halbes Jahr um. Es wurden noch nicht einmal alle geimpft, und schon stellt sich die Frage nach Auffrischungsimpfungen. Wie soll das organisiert werden?

Wie wollen Sie Mutationen controllen? Sie lehnen Abwasseruntersuchungen ab. Aber wie wollen wir unsere Impferfolge gegen impfresistente Mutationen sichern, wenn wir hier kein System entwickeln, um in den nächsten Wochen und Monaten genau darauf zu schauen, Herr Ministerpräsident?

Und was passiert mit den LongCovidErkrankten? 13 % der Erkrankten sind davon betroffen. Wir senken die Zahlen nicht drastisch. Das bedeutet, dass es noch mehr Menschen geben wird, die daran erkranken. Wir brauchen hier und heute Antworten, um diese Menschen gut versorgen zu können. Herr Ministerpräsident, auch darüber sollten wir hier und heute reden und nicht nur über diesen Stufenplan.

Unsere Anträge dazu liegen doch vor! Öffnen Sie einfach Ihre Mappe und schauen Sie sich unsere Anträge an!

Wenn Sie keine Antwort haben, ist es nicht schlimm.

Aber diskutieren wir doch mal über Antworten! Sie diskutieren ja noch nicht mal darüber! Ich bin sehr gespannt, was Sie gleich zu all diesen Fragen sagen werden; denn die Menschen in Niedersachsen interessiert das. Der Ministerpräsident hat dazu heute kein Wort gesagt.

Ich muss Ihnen sagen: Auch ich freue mich über diese positive Entwicklung. Es geht gar nicht darum, hier alles schlechtzureden. Darum geht es nicht.

Herr Nacke, wenn Sie unsere Anträge lesen würden, dann wüssten Sie, dass wir seit einem halben bis einem Jahr Maßnahmen fordern, die Sie heute umsetzen. Ja, wir wussten einiges früher, und dafür muss ich mich auch nicht schämen.

Man kann sich über die derzeitige Entwicklung freuen, aber trotzdem schon sagen, welche Probleme noch vor uns liegen; denn diese sind nicht plötzlich weg. Ich freue mich, dass es eine positive Entwicklung gibt. Aber die Pandemie wird erst vorbei sein, wenn wir sie weltweit in den Griff bekommen haben, wenn auch in anderen Ländern geimpft wird. Auch hier stellt sich die Frage:

Was leistet Niedersachsen, um beispielsweise auch in anderen Ländern Impfungen voranzutreiben?

Auch darüber sollten wir dringend reden; denn wir sind eine weltweite Solidargemeinschaft.

Auch andere schwierige Fragen liegen vor uns: Was passiert, wenn alle Freiwilligen geimpft wurden, aber die Impfquote nicht ausreichen wird? Was passiert eigentlich mit all den Einschränkungen und der Pflicht, Masken zu tragen?

Und dann sind da die Fragen mit Blick auf die Zukunft: Was ist mit Investitionen? Wie wollen wir sie in den nächsten Wochen und Monaten leisten?

Wie wollen wir die Wirtschaft ankurbeln? Wie wollen wir Soziales und Bildung weiterhin auskömmlich finanzieren und Entwicklungen vorantreiben, wenn wir für Corona so viel Geld ausgegeben haben, dass wir eigentlich erst einmal kein Geld mehr haben? Ein Streichkonzert in diesen Bereichen wäre das schlechteste und das fatalste Signal, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Dann, Herr Ministerpräsident, haben Sie sich mal wieder sehr über den Impffortschritt gefreut. Das ist auch gut. Wir freuen uns über jede Impfung, die in Niedersachsen gesetzt wird.

Aber auch hier steckt der Teufel im Detail! Am Ende darf man doch nicht ignorieren, welche Schwierigkeiten es noch gibt. Jetzt öffnen Sie die Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson für alle, die damit geimpft werden wollen. Aber diejenigen, die das wollen, wissen nicht, wo sie sich damit impfen lassen können, weil es keinerlei Informationen dazu gibt, wie das geht.

Oder das noch viel Perfidere, Herr Ministerpräsident: Sie freuen sich, dass Sie sofort einen Impftermin bekommen haben. Das freut mich für Sie persönlich auch. Aber den 500 000 Menschen, die am Donnerstag noch auf der Warteliste standen, ist noch kein Impftermin angeboten worden. Auch darüber müssen wir einmal reden.

Nein, das möchte ich damit explizit nicht sagen. Ich möchte sagen, dass es Zufall ist, ob man noch einmal auf die Homepage guckt und noch einen Termin kriegt; denn die Warteliste ist eben nicht mit dem Tool für die Impfungen synchronisiert. Das ist ein riesiges Problem!

Am Ende kommt es so, dass ich z. B. mit Menschen aus Vechta rede, die klagen, dass sie seit vier Monaten warten, aber einfach nicht kontaktiert werden. Dann rate ich ihnen, mal auf die ImpfHomepage zu schauen. Und dann höre ich: Donnerwetter, dort gibt es Termine! Aber diese Menschen stehen doch auf der Warteliste! Sie denken, dass sie drankommen, wenn es Zeit ist. Dieses Problem müssen wir abstellen, und zwar sofort!

Deswegen möchte ich, dass wir weiter darüber reden, wie wir solche Fehler abstellen können. Denn ich meine es doch gut! Ich will hier doch nichts zerreden!

Ich will einfach nur die Punkte ansprechen, die man ändern muss, Herr Nacke.  Ja, ja, was ich denke und tue! Aber egal!

Ich möchte mit Ihnen über solche Probleme reden. Ich möchte mit Ihnen Lösungen finden. Und vor allem möchte ich mit Ihnen über die zukünftigen Fragen reden. Die Fragen, die ich heute angesprochen habe, werden wir hier diskutieren. Wir haben heute die Wahl, sie jetzt zu diskutieren, anstatt sie holterdiepolter nach der Beschlussfassung durch die Landesregierung zu diskutieren. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre fatal. Denn wir haben jetzt die Chance, nicht mehr nur hinterherzustolpern, sondern die Probleme von vornherein gemeinsam anzupacken.

Vielen Dank.

 

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