Helge Limburg: Erwiderung auf die Regierungserklärung zur aktuellen Corona-Lage in Niedersachsen

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

zunächst vielen Dank für Ihre Regierungserklärung

Guter Brauch wäre es allerdings gewesen, die Regierungserklärung so rechtzeitig anzukündigen, dass sich der Landtag beim Erstellen der Tagesordnung darauf einstellen kann. Aber da wussten Sie ja nicht, dass es vielleicht angezeigt wäre, im ersten Plenum nach der parlamentarischen Sommerpause, nach ersten Urlauben und Schultagen, im Parlament Ihr Vorgehen in der nach wie vor nicht beendeten Pandemie darzulegen. Sie brauchten erst einen Anstoß der FDP, um sich dazu herabzuzulassen hier ans Redepult zu treten. Das ist leider symptomatisch für den Umgang Ihrer Landesregierung mit diesem Parlament. Kommen Sie endlich von Ihrem hohen Ross gegenüber den gewählten Abgeordneten herunter. 

Vielsagend und aussagekräftig ist ja bekanntlich auch das, was man nicht gesagt hat. Und das war bei Ihnen leider einiges. Sie liefern weitgehend zutreffende Zustandsbeschreibungen und lobende Worte für viele Menschen in diesem Land. Sie sagen nahezu nichts dazu, was Ihre Regierung in den kommenden Monaten konkret zu unternehmen gedenkt angesichts einer nach wie vor für einen ungewissen Zeitraum fortdauernden Pandemie, einer dramatischen Wirtschaftskrise, riesigen Herausforderungen im Bildungsbereich und einem dramatischen Einbruch der kommunalen Einnahmen. Konkrete Maßnahmen und Handlungsschritte? Völlige Fehlanzeige bei Ihnen, Herr Ministerpräsident. Sie sagen ganz allgemein, Arbeitsplätze werden zukünftig bei Ihnen im Mittelpunkt stehen. Das klingt ja salbungsvoll, aber was heißt das denn konkret für Ihre Politik? Und - die Klimakrise macht keine Corona-Pause – wir müssen gleichzeitig mit der Pandemiebekämpfung auch den Klimaschutz vorantreiben.

Wie stehen Sie denn zur Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes nach einem Investitionsfonds des Landes etwa für sozialen Wohnungsbau, in Krankenhäuser, für die Energiewende und die Digitalisierung? Dazu kein Wort von Ihnen. Die Krise muss als Chance begriffen werden, die sozial-ökologische Modernisierung unserer Gesellschaft voranzutreiben, der DGB liefert hier sehr umfassende Vorschläge, wir haben Ihnen dazu konkrete Vorschläge unterbreitet, aber Sie finden nicht die Kraft, sich gegen Ihren kleineren Koalitionspartner durchzusetzen und jetzt nachhaltig sozial und ökologische Investitionen auf den Weg zu bringen. Allgemeinplätze sind zu wenig, Herr Weil. Sie machen sich Sorgen um die Zulieferindustrie, zurecht, das machen wir uns auch, Herr Ministerpräsident. Aber die Lösung kann doch nicht sein, mit Autokaufprämien am alten zu kleben, sondern die muss doch sein, den Umbau der Autoindustrie zu beschleunigen. Wo bleibt beispielsweise ein Landesladesäulenprogramm? Wo bleibt die Unterstützung der Niedersächsischen Fahrradindustrie? Warum gibt es kein Förderprogramm für Taxis zur Umstellung auf Elektroantriebe? Viele Vorschläge liegen auf dem Tisch, Sie müssen nach vorne gehen und nicht ständig der Vergangenheit hinterhertrauern.

Sie verharren in einer alten Industriepolitik. Das zeigt auch das jüngste Beispiel Meyer-Werft: 20 Mio. für Kreuzfahrtschiffe, für eine Art des Reisens, die maßgeblich zur Verbreitung des Virus beigetragen hat, für eine Art des Reisens, die schon vor Ausbruch von Covid-19 große Schäden an der Umwelt verursacht hat.

Demgegenüber lassen Sie eine Branche, die Tausenden Arbeit und Auskommen bietet am langen Arm verhungern. Die Veranstalter von Messen und anderen Großveranstaltungen versuchen unter dem #alarmstuferot seit Wochen die politisch Verantwortlichen – also auch Sie - auf ihre dramatische Lage aufmerksam zu machen. Sie versuchen verzweifelt, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Die wollen nicht in erster Linie Geld, sie wollen keine 20 Millionen Euro aus Steuergeldern. Sie wollen vor allem gehört werden, ihre Konzepte und Ideen vorstellen, wie auch unter Pandemiebedingungen ihrer Branche über die schwierige Zeit geholfen werden kann. Dieses Nichtreden ist symptomatisch ist für Ihr Agieren, Herr Ministerpräsident: Sowenig Sie das Parlament und die Opposition in Ihre Entscheidungen einbeziehen, sowenig Vertrauen haben Sie darin, dass auch andere als Sie und Ihre Berater, Verantwortungsgefühl und Ideen haben.

Beispiel Hochschulen und Universitäten: Niedersachsen ist auch Wissenschaftsland, die Hochschulen des Landes aber sind dem Ministerpräsidenten in seiner Rede keine einzige Silbe wert, das ist traurig, Herr Weil. Aber vielleicht liegt es daran, dass Sie hier einfach nichts Neues anzubieten haben. Ihr Wissenschaftsminister hat ja nach Wochen der Ungewissheit verlautbaren lassen, dass er erwägt, unserer Forderung nachzukommen und das Sommersemester 2020 nicht auf die Regelstudienzeit anzurechnen. Elf andere Bundesländer haben das längst getan. Wenn Sie für einen solchen eigentlich selbstverständlichen Schritt solange brauchen, dann wundert mich nicht, dass Sie das Thema lieber gar nicht ansprechen und hoffen, dass es keiner merkt. Das wird den Ängsten und Sorgen der Studierenden nicht gerecht, hier müssen Sie dringend liefern!

Beispiel Kommunen: Kein Wort von Ihnen zur dramatischen finanziellen Lage unserer Kommunen, nicht nur Steuereinnahmen, sondern auch ein Großteil anderer Einnahmen wie Nahverkehrstickets oder Gebühren für Schwimmbäder und andere Einrichtungen sind weggebrochen. Wir brauchen in Niedersachsen einen kommunalen Rettungsschirm, wir müssen die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen sichern, sonst nimmt auch die kommunale Demokratie schweren Schaden. Leider kein Wort dazu von Ihnen, Herr Weil.

Beispiel Kultur: Bundesligen finden bei Ihnen Erwähnung und Kinos. Theater, die Kleinkunstszene, Clubs, soloselbständige Künstler? Kein Wort dazu. Es kann nicht sein, dass Musiker*innen und Künstler*innen, die de facto mit Arbeitsverboten belegt worden sind, stumpf auf die Grundsicherung verwiesen werden. Das ist zu wenig, Herr Ministerpräsident. Und zum Breitensport, den wir alle immer wieder zurecht für seinen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, gerade auch auf dem Land gelobt haben, ebenfalls kein Wort von Ihnen Herr Ministerpräsident.

Beispiel Pflegekräfte: Die bekommen von Ihnen erneut einen verbalen Dank. Das ist gut, dem schließen wir uns an. Aber ansonsten überhaupt nichts Konkretes von Ihnen, wie Sie denn die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte verbessern wollen. Und das, nachdem gerade der Beschluss gefallen ist, die Pflegekammer aufzulösen. Da hätten Sie doch jetzt Orientierung bieten müssen, wie Sie sich stattdessen die Interessenvertretung der Pflegenden vorstellen. Leider nichts dazu von Ihnen.

Lang ersehnt, pannenbehaftet, aber irgendwann war er da im Sommer, der neue Bußgeldkatalog. Und was stand drin? Sie setzen alle Bußgelder herauf, sowohl die Höchstsummen aber vor allem auch die Mindestsummen. Bei den Höchstgrenzen gab es sicherlich gute Gründe zu sagen: Bei hartnäckigen Maskenverweigerern da wollen wir einen größeren Spielraum nach oben. Aber alle Mindestsummen heraufsetzen? Hier die Bürger*innen verbal für ihre Akzeptanz der Maßnahmen und ihr Durchhaltevermögen loben und an anderer Stelle schärfere Strafen rausholen? Zur Erinnerung: Die Mindeststrafe ist das, was im Regelfall bei erstmaligen oder fahrlässigen Verstößen verhängt werden soll. Da nur auf Ausnahmemöglichkeiten im Einzelfall zu verweisen reicht nicht aus, ihr Signal ist: Strafen statt Überzeugen, das ist die grundfalsche Herangehensweise dieser Großen Koalition, meine Damen und Herren.

Das Ganze wird umso absurder, wenn man sich vor Augen führt, dass parallel Verkehrsminister Althusmann für mehr Milde und niedrigere Bußgelder bei Rasern eintritt. Milde für gefährliche Raser, Härte für die Oma, die im Bus ihre Maske vergessen hat, diese Linie ist fatal und nicht akzeptabel, meine Damen und Herren.

Und während sich Bernd Althusmann als Schutzheiliger der Raser geriert, sagen Sie nichts über Gegenwart und Zukunft des öffentlichen Personennahverkehrs. Der braucht jetzt im ganzen Land die Unterstützung des Landes. Busse und Bahnen werden, erfreulicherweise, wieder voller. Aber damit steigt eben auch die Übertragungsgefahr. Wir müssen die Kapazitäten deutlich erhöhen, um dauerhaft den Belangen des Infektionsschutzes und der Mobilität Rechnung zu tragen. Auch dazu leider nichts von Ihnen.

Beispiel Europa: Niedersachsen hat sich immer stolz als europäisches Land begriffen, die Europaflagge steht nicht zufällig an prominenter Stelle hier im Landtag. In Ihrer Rede aber kam Europa nur einmal am Rande vor. Es war gut und richtig Herr Ministerpräsident, dass Niedersachsen in höchster Not das Angebot unterbreitet hat Patient*innen aus Italien aufzunehmen, dafür unseren Dank. Aber jetzt, wo hier viele Betten frei sind, welche Vorbereitungen treffen Sie denn, um beim nächsten Mal schneller reagieren, schneller und organisierter Patienten aus europäischen Nachbarländern, zum Beispiel den Niederlanden, aufnehmen zu können? Dazu leider kein Wort von Ihnen. 

Der Schulstart war holprig, wir alle hoffen, dass es gut geht und dass flächendeckende Schulschließungen mit all ihren schädlichen sozialen und psychischen Auswirkungen auf unsere Kinder, mit all den schwerwiegenden Einschnitten für Bildungschancen erspart bleiben. Aber dafür müssen Sie doch jetzt aktiv werden und nicht alles allein den Kommunen überlassen. Staffellungen beim Unterrichtsbeginn, um den Schulbusverkehr zu entlasten, soviel Unterricht wie möglich im Freien, Nutzung aller vorhanden Kapazitäten von großen Räumen, gezielte Unterstützung bei digitaler Bildung für einkommensschwache Haushalte, um nur einige Beispiele zu nennen. Und unseren Schulen brauchen endlich Investitionen und Lüftungskonzepte für Herbst und Winter. Stattdessen von Ihnen Prinzip Hoffnung. Das wird der Bedeutung der Schulbildung nicht gerecht.

Meine Damen und Herren, SPD und CDU machen sicherlich nicht alles falsch, aber eben vieles auch gar nicht. 

Ihre Regierungserklärung Herr Ministerpräsident lässt sich insofern in drei knappen Sätzen zusammenfassen.

„Es ist doch bisher ganz gut gegangen. Wir sind uns immer voll des Ernstes der Lage bewusst. Ansonsten schau‘n wir mal, dann seh‘n wir schon.“ Das reicht aber nicht, der Landtag, aber vor allem die Menschen in diesem Land haben mehr verdient. Ein Ministerpräsident muss nicht nur Optimismus, sondern Orientierung für die Zukunft Niedersachsens geben. Dazu sind Sie mit dieser Großen Koalition leider nicht in der Lage.

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